Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend - Rudolf Stratz


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ein: „Also horch mal: Wenn du mein Bruder sein willst, dann darfst heut mit dem Charley kein Wörtche rede! Ich bin seit gestern bös’ mit’em!“

      „Ach geh!“

      „Aber arg! Gestern, beim Spazierereite im Wäldche, haben wir uns so wüst verzankt! Dem will ich’s zeige, dem Schlüffel!“ Das Frankfurter Patrizierkind schaute feindselig nach dem Sattelplatz hinüber. Dort stand, zwischen bunten Jockeijacken und farbigen Kavallerieuniformen gähnend ein glattrasierter schmächtiger junger Herr mit grossen Ohren und einer grossen Nase in dem sorgenvollen ältlichen Gesicht, eine Reihe von Klubwappen am Riemen des über die Schulter gehängten Opernglases, und drehte, die Hände in den Taschen des kurzen Sportpaletots, der Dorett’ herausfordernd den Rücken zu. Deren Augen funkelten.

      „Jetzt tut er, als wär’ ich für ihn Luft! Aber wart’ nur, Alterle!“

      „Loss ihn!“ sagte das Philippche nachlässig zur Schwester. „Ich hab’ e Nouveauté für dich auf Lager! Guck’ dir emol da drüben meinen Freund an!“

      „Den Grossen, mit den dunkeln Augen und dem Krauskopf? — Du — das is mal e hübscher Mensch!“

      „Gelt? E junger Maler aus München! Ich sag’dir: ’n Talent! Der hat ’ne grosse Zukunft!“

      „Ach!“ Das Dorettche schaute gespannt hinüber. Sie schien etwas zu überlegen.

      „Dabei aus stinkfeiner Familie! Der Vater ist Minister in München. Ein Baron Paur zu Rain! Kreuzzugsnoblesse!“

      „Warum net gar!“

      „Ich stell’ ihn dir vor! Ernst — geh bei! Das ist mei Schwester! Entschuldig’ mich! Ich seh’ da g’rad meinen Freund, den Grafen Rott!“

      Das Philippche stürzte sich auf einen blutjungen, rotbäckigen Husaren, noch ein halbes Kind in Uniform. Er schlenderte lässig, warm ums Herz in Nachbarschaft eines blauen Attila und einer Grafenkrone, dem Sattelplatz zu. Ernst Wachsmuth stand vor dem schönen fremden Mädchen. Er schaute ihr verwirrt und aufgeregt in das Kindergesicht. Sie erwiderte unschuldig lächelnd den Blick. Ihre Augen glänzten. Sie frug:

      „Das Philippche sagt, Sie täte male! Ist das wahr, oder redd’ er nur wieder so?“

      „Doch! Doch, gnädiges Fräulein!“ Das frische Gesicht des Jungmanns rötete sich in fröhlichem Eifer. „Ich führe schon tüchtig den Pinsel!“

      „Und er sagt, Sie hätten so arg viel Talent!“

      „Ich hoffe es wenigstens einmal zu ’was zu bringen, gnädiges Fräulein!“

      Ernst Wachsmuth sprach es mit klopfendem Herzen und holte beklommen Atem. Er hatte das Gefühl, dass er zum erstenmal in seinem Leben Eindruck auf eine Dame der Gesellschaft machte. Die Kleine sah ihn seelenvoll an.

      „Ein Maler — das ist doch etwas anderes! . . . Sonst reden die jungen Herren als nur von den Pferden oder von der Börs’ . . .“

      „. . . oder sie sagen Ihnen Schmeicheleien, gnädiges Fräulein!“ Ernst Wachsmuth suchte das recht lachend-leichthin und weltläufig zu bringen. Er stolperte aber doch ein bisschen über den kühnen Satz.

      „Ach — das mag ich schon gar nit hören! So bin ich nit! Ich bin ein ernsthaft Mädche!“ Die Dorett’ schaute zutraulich zu ihrem Gegenüber empor. „Was male Sie denn? Landschaften?“

      „Bäume, Tiere, Menschen, wie’s kommt!“ Der junge Mann lachte. „Vor mir ist nichts sicher, gnädiges Fräulein!“

      „Auch Porträts?“

      „Das ist gerade meine Stärke.“ Der Abiturient holte Atem. Es kam über ihn: „Wenn ich Sie einmal skizzieren dürfte, gnädiges Fräulein . . .“ Gleich darauf stand ihm das Herz still. Er erschrak hinterher. Er wusste auf einmal: ,Jetzt bin ich zu weit gegangen! Jetzt hat’s geschnappt!’ Aber das Dorettche sagte ganz harmlos, mit einem sanften Augenaufschlag:

      „Ja — warum denn nit?“

      Sporen klirrten, Säbel rasselten. Ein ganzer Trupp Kavalleristen kam vom Sattelplatz — Rennreiter und ihre Regimentskameraden aus nahen und fernen Garnisonen, silberverschnürte blaue Bockenheimer Husaren und Bonner Königshusaren, dunkle Hanauer Ulanen, russisch grüne Darmstädter und himmelblaue Mannheimer Dragoner, sogar der grüngesäumte weisse Kragen eines Deutzer Kürassiers. Junge Frankfurter Geldaristokraten in englischem Zivil pilgerten mit ihnen. Darunter auch der Sportsmann mit den grossen Ohren, den die Dorett’ vorhin Charley genannt hatte. Sein trockenes, faltiges Gesicht lächelte verächtlich. Er warf im Vorbeigehen einen raschen, feindseligen Blick auf Ernst Wachsmuth, und neben dem sagte gleichzeitig das Dorettche schnell und so laut, dass der drüben es hören musste:

      „Also abgemacht: Sie male mich! Wir rede nachher noch drüber! Ich sag’s gleich dem Baba!“

      Ein sehr kleiner, graubärtiger Herr kam humpelnd, aber eilig über den Rennplatz. Er hatte nichts zu tun, als Grüsse zu erwidern, und rief jedesmal laut, wenn er den Hut lüftete, den Namen des Geschäftsfreundes: „Herr Doll!“ — „Herr Medenwald“ — „Herr Pilgram“ in einem leicht singenden Ton. Vor den Damen hob er mit altmodischer Höflichkeit den Zylinder. Er dankte verbindlich den Offizieren, die regimenterweise die Hand an den Mützenrand hoben. Er schüttelte dem jungen Mann, den er im Gespräch mit seiner Tochter fand, die Hand, ohne erst die Vorstellung abzuwarten. „So, so — Sie malen! . . . Schön! . . . Schön! Das hör’ ich alleweil gern!“ und hinkte weiter, und das Philippche, das ihm gefolgt war, sagte zu Ernst:

      „Mein Baba versteht was von der Kunst! . . . Die Galerie Gallina, das is doch e Frankforter Sehenswürdigkeit! Vielleicht hängt der Baba sich auch emal was von dir an die Wand. Den Baba — den halt’ dir warm! Aber jetzt läutet’s! Des gibt e brilljant Renne!“

      Ernst Wachsmuth stand allein. Er schaute dem Bankier Johann Gallina nach, der drüben, abseits von den anderen Sterblichen, mit ein paar Fürstlichkeiten und Generalen zusammenstand. Er kümmerte sich nicht um das Flugbild des vorbeiflitzenden Pferderudels. Er starrte traumverloren vor sich in die blaue, sonnige, warme Weite, und in ihm stieg eine heisse Welle von Glücksgefühl empor, und er spähte umher, während draussen ein Mainzer Feldartillerist, mit der Trense wirbelnd, unter dem tosenden Geschrei der Tribünen, seinen Gaul um einen Kopf vor einem feuerroten Zietenhusaren durch das Ziel peitschte, und suchte nach dem Dorettche Gallina und fand es nicht unter der Menge, sondern nur den Herrn mit den grossen Ohren, der langsam, wie zufällig, dicht an ihm vorüberging und ihn eine Sekunde scharf, fast warnend oder drohend, fixierte.

      Hinter der Tribüne, an einer einsamen Stelle, stand zugleich jetzt, nach Schluss des Rennens, erhitzt das Philippche und zappelte mit den Händen der Schwester beinahe in das niedliche, naiv erstaunte Frätzchen.

      „Was ist das für e Manier? . . . Was soll denn des mit der Kokettiererei?“

      „Von mir doch nit?“ frug das Dorettche mit der Unschuldsmiene eines aus den Wolken gepurzelten Engels.

      „Du machst meinem Freund, dem Ernst, Aage . . . Jawohl, Aage machst du ihm!“

      „Meenste, Philippche?“ Das Patrizierkind lachte pfiffig.

      „Aage . . .e jedes wundert sich!“

      „Des sin mei’ Sorje!“

      „Der Charley schneidet vor Eifersucht e Gesicht, als dät er gleich verblatze!“

      „Des soll er ja gerad! Des is ja e Einfall von mir — nit mit Geld ze bezahle!“

      „. . . dass du meinen Freund an der Nas’ herumführst . . .“

      „Bloss e bissi, Philippche!“

      „Um den Charley eifersüchtig zu mache? Warum suchst du dir denn für den edle Zweck akkurat den Ernst aus?“

      „Dei’ Barönche? ha — warum denn nit?“

      „. . . weil junge Leuť aus Frankfurt, die sich für so was eigne, genug am Platz sind!“


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