Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend - Rudolf Stratz


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schaute verklärt dem kleinen Rotkopf unter dem grünen Mützchen nach. Die schwere Tatze des Wotan legte sich ihm auf die Schulter.

      „Mir scheint, du hälscht es mehr mit dem Maidli da als mit dem Hund!“ sagte er strafend. „Schämsch di nit? Dafür bisch zu jung! Du brauchsch noch kein’ Schatz’! Los! ’s Zügli geht bald ab! Kumm mit nach Strassburg!“

      Stockfinster stand die Nacht vor den Scheiben, als der Zug, sich der Festung näherte. Hoch über der unsichtbaren, wunderschönen Stadt glomm am schwarzen, sternenlosen Himmel ein einziger, rötlicher Punkt, und der Ernst dachte an den alten Strassburger Spass, dass da der höchstgestellte Beamte der Reichslande wohne: nämlich der Feuerwächter auf dem Münster. Den Dom selbst hatte die Herbstnacht verschluckt. Wie hatte der Vater vor ein paar Wochen gesagt? ,Guck dir das Strassburger Münster nur noch mal genau an! Vielleicht siehst du es bald gar nicht mehr!’ Der Papa war die ganze Zeit seitdem unruhig und erwartungsvoll, anders, als der Ernst ihn sonst in seinen verschiedenen Gestalten kannte: Gehetzt und zerstreut, die Uhr in der Hand, mit den Seinen am Frühstückstisch, gemütlich-grob mit den Patienten, kurz und barsch zu den Schwestern, in tiefem Ernst, nachdrücklich, langsam mit vielen lateinischen Worten sprechend, zu der Schar der ehrfurchtsvoll lauschenden Assistenten und Studiosen, und endlich, seiten einmal, fremdartig, fast unheimlich, in der Vermummung der Klinik, im langen, weissen, blutgesprenkelten Operationskittel, von einem durchdringenden Karbolgeruch und Ätherdunst umweht. Aber so ganz ohne Veranlassung nervös, wie am Nachmittag des nächsten Tages, gleich nach Tisch, hatte der Sekundaner seinen alten Herrn noch nicht gesehen. Es war noch lange nicht Zeit zur Sprechstunde. Trotzdem hob der Professor schnell den bebrillten Kopf, als es draussen klingelte, und brummte dann unwirsch: „Herrgott — Strohsack — ja!“, wie ’s Jülie, das Mädchen, den Kopf durch den Türspalt steckte und meldete:

      „S’isch e Mann drausse mit’m kleinen Maidel! Das hat e Boukettche in’d Händ! Der Mann schwätzt so e Schwoweditsch üs d’r Pfalz! Er sait, er muess barduh zum Herr Professor!“

      „Na herein mit der Landplag’!“ sagte der Gelehrte mit der Geduld des Arztes und seufzte gottergeben. Gleich darauf übersonnte ein väterliches Lächeln sein strenges, ironisches Gesicht. „Guck emal an: Das ist ja das Mamsellche, das neulich der böse Hund gebissen hat! . . . Und einen so schönen Strauss aus blauen und weissen Astern bringt’s mit — in den bayrischen Farben! Ha, Respekt: jetzt kannst du ja wieder ein Knickschen machen wie bei Hof! Setz’ dich, mein Töchterle!“

      „Ich bin so frei!“ sprach die Walburg hübsch hochdeutsch mit ihrem feinen hellen Stimmchen und nahm Platz. Ihr Vater, der sonntäglich angezogene Werkmeister Lortz, blieb stehen. Der sonnengebräunte Pfälzer lachte dabei gutmütig.

      „So unscheniert bin ich net, Herr Professor, dass ich Ihne Ihre koschtbare Zeit schtehl! Ich hab’ norr grad uff Strassburg gemusst, um e paar Armaturstücke zu hole! No hab’

      ich mir gedenkt: Du nimmst die Walburg mit, damit die Krott sich noch emol schön bedankt!“

      „Bist du denn wieder ganz beisammen, Kind?“ erkundigte sich der Ernst herablassend, mit der Würde des Gymnasiasten. Er hatte sich neben die Kleine gesetzt. Sie hob eifrig bejahend das zarte, blondbezopfte, mit einer blauen Schleife gezierte Köpfchen. Sie war für den Besuch in Strassburg niedlich von der Mutter herausgeputzt, blitzsauber abgeseift und glatt gestrählt, funkelnagelneu eingekleidet, mit roten Bäckchen und blanken blauen Augen wie eine eben frisch im Spielzeugladen gekaufte lebensgrosse Puppe.

      „Mir fehlt nix mehr!“ sagte sie.

      ,,Aber eine Narbe hast du behalten?“

      ,,Sell schon!“ Sie klopfte mit der mageren Kinderhand auf die weisszwirnen bestrumpfte dünne Wade. „Aber das macht nix! Wir sind ja gehupft und gesprunge! So ein Pläsier haben wir g’habt!“

      „Was hat euch denn so riesig gefreut?“

      „Geld hawwe die in der Protzeburg zahle müsse!. . .ja . . . du liebi Zeit!“ Die kleine Pfälzerin vergass ihr mühsames Hochdeutsch. Sie schlug die Hände zusammen und hob mit offenem Mund andächtig die Augen zum Himmel. „Das Kleidche hier hab’ ich davon gemacht gekriegt mit Schuhche und e Hut — und Hemderche — e halbs Dutzend — und das Korallekettche um den Hals — is das net lieb? und ’s is noch arg viel Geld übrig gebliebe! Das liegt in der Sparkass’! Das g’hört mal für mei’ Hochzeit — sächt der Babbe!“

      „Na — dann bist du ja jetzt eine gute Partie!“ Der Ernst lachte. „Vielleicht heiraten wir uns noch mal!“

      „Ich lass’ mich alleweil wieder vom Hund vom Herrn Dietsch beisse, wann er mag! Der Babbe hat g’sächt: des hab’ ich gar net gewusst, dass so e Wädche so viel wert is!“

      „Allons, Walburgche!“ Der Werkmeister nahm die Kleine bei der Hand. „Dem Herrn Professor is sei’ Zeit heilig! Do kummt ebe auch noch die Magd mit eme dicke Brief! . . . Also noch emol: Bleiwe Sie gesund und fröhlich! Sie auch — der junge Herr! Adje!“

      Der Ernst geleitete Vater und Tochter auf den Vorplatz hinaus. Als er in das Zimmer zurückkam, stand da der Professor und schaute ihn, das geöffnete Amtsschreiben in der Hand, nach seiner Art über die Brille weg an.

      „Jetzt ist es entschieden, Ernst!“ sagte er. „Meine Berufung auf den Lehrstuhl nach Giessen ist da!“

      „Au! Fein!“ Der Bub machte einen Luftsprung. „Warum freut denn dich das so?“

      „. . . weil’s was Neues ist!“

      „. . . und hoffentlich was Gutes! Also: von jetzt ab gehst du in Giessen ins Gymnasium, und in vier Jahren machst du mir dort’s Abiturium und wirst ein Medizinmann wie dein Vater.“

      II

      „Heil Kommilitonen!“ Die helle Jünglingsstimme gellte durch die dicke heisse Rauchluft, in dem die Deckenlampen nur noch undeutlich wie trübe, gelbe, mitternächtige Monde schwammen. „Gestern hat man uns zum letztenmal Primaner geschimpft! Gestern haben wir uns zum letztenmal die Stiebel auf der Südanlage schief gelaufen! Das Zwing-Uri, das dort ragt, das Gymnasium, liegt hinter uns! Das Leben ruft! Gewaltig rauscht der Flügelschlag der neuen Zeit um unsere Ohren! Prost den Ganzen, ihr jungen Männer und Muli!“

      Ernst Wachsmuth schwenkte, hoch in schlanker Jünglingsgestalt vom Präsidentenstuhl aufgereckt, das schäumende Seidel gegen die Abschiedskommers-Tafel der Abiturienten. Er hatte den erhitzten dunklen Krauskopf zurückgeworfen. Ein stolzes Lächeln spielte ihm um die trotzig geschnittenen vom ersten Flaum seiner neunzehn Jahre beschatteten Lippen. Seine braunen Augen flatterten hitzig den Tisch entlang und fegten in verächtlichem Mitleid über die leeren Stühle.

      „Ich sehe viele hier, die nicht mehr da sind! Unsere Herren Professoren haben sich sachte verkrümelt! Die Schlappiers unter uns Freigelassenen, die Spiesser, die Nachtwächter, die Schürzenkinder haben sich gedrückt! Aber du, du heiliges Dutzend, du Leuchte dieser langstieligen Schuljahre — du Klassenbund: die Räuberhöhle — ihr seid mir treu geblieben! Prost! Euer Hauptmann grüsst euch!“

      „Hippt in die Heh’! wir lebe hoch!“ rief in gutem Frankfurterisch das hagere, dürftige Stutzerchen neben dem Redner und feixte ironisch über das pfiffige, junge Gesicht.

      „Silentium, Philippche!“

      „Ei — man wird doch noch redde därfe!“

      „Aber würdige Dinge . . .“

      „Gott — ich bin halt ’n blasierter Mensch . . .“

      „Kommilitonen!“ Der Sprecher wandte sich feurig an das Rund der Räuberhöhle. „Wir wollen dem Leben in das Medusenantlitz schauen!“

      „Hört! Hört!“

      „Es war nicht jeder so schlau, Philippche, wie du und hat ’nen Frankfurter Bankier zum Vater! Wir andern müssen aus eigener Kraft das Leben zwingen! Hoch das Leben!“

      „Hoch die Weiwer!“

      Halt’s Maul, du gottloser Frankfurter! Es lebe die Jugend! Es


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