Greisenkind. Daniel Mylow

Greisenkind - Daniel Mylow


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Gesicht nicht mehr sehen konnte?

      Jetzt konnte ich die Stimme hören. Sie war ganz dicht an meinem Ohr.

      Meine Augen öffneten sich. Ich sah in ein Blau, wie ich noch nie eines gesehen hatte. Auf der Netzhaut dieser Augen pulsierte etwas, das sich wie die Zeiger einer Uhr unaufhörlich im Kreis drehte.

      »Wach auf, hey, wach auf!«, drang eine Stimme an mein Ohr.

      Eine junge Frau saß neben mir. Sie sah mich an. Ihr gehörten diese großen blauen Augen mit den unruhigen Pupillen.

      »Soll ich einen Arzt rufen? Oder kann ich dich irgendwo hinbringen?«

      Ich schüttelte den Kopf. Meine Hände tasteten nach den Medikamenten in meinem Beutel.

      »Soll ich dir helfen?« Sie wartete meine Antwort nicht ab, öffnete den Beutel und legte die Medikamente auf die Bank.

      Ich zeigte auf zwei Röhrchen.

      Daraufhin drehte sie an den Verschlüssen und legte mir zwei Pillen auf die Handinnenfläche. Langsam führte sie dann meine Hand an meine Lippen.

      Ich schluckte die Pillen. Müde lehnte ich mich zurück.

      »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«

      »Es geht schon wieder.«

      »Hast du das öfter?«

      Ich nickte. Ja, möchte ich sagen. Es war ein Gefühl, als ob mir schon mal jemand sagen möchte, wie das ist, wenn man stirbt. Dabei möchte ich das gar nicht wissen. Ich wollte auch kein Grab. Nirgendwo. Ich wusste ja, dass es nur mein Herz war, das nicht mehr so schlug, wie ein Herz schlagen sollte in meinem Alter. Dann bekam man solche Halluzinationen.

      Doch man starb nicht. Noch nicht.

      Aber ich sagte nichts. Ich nickte nur weiter mit dem Kopf. Und dann erzählte ich dem fremden Mädchen doch etwas, aber nur das mit dem Gesicht im Spiegel.

      Zu meiner Überraschung sagte sie: »Ja, das kenne ich gut. Ich habe das auch manchmal. Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich nicht weiß, wer meine Eltern sind. Man sucht dann immer etwas, das gar nicht da ist.«

      Sie erzählte mir, dass sie in einem Waisenhaus aufgewachsen sei. Ihre Akte sei angeblich bei einer Überschwemmung vernichtet worden. Niemand könne ihr etwas über ihre Herkunft sagen. Die Sache mit dem Spiegel wäre dann möglicherweise so eine Art Effekt davon.

      Sie sah mich lange an. Einen unheimlichen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, ich würde sie sein, wenn ich noch länger leben würde. So würde ich aussehen. So sprechen. So leben.

      »Erzähl mir von dir!«, forderte sie mich auf. »Wie heißt du? Wer sind deine Eltern? Wo wohnst du?« Sie stellte mir noch ein paar solcher Fragen. Mit jeder Frage schien ihre Stimme trauriger zu werden.

      »Emelie«, sagte ich.

      In diesem Augenblick tauchte meine Mutter auf.

      Zwischenzeitlich hatte die Schule meine Mutter informiert, dass ich nicht mehr in den Unterricht zurückgekehrt sei. Man durchsuchte das Schulgelände. Meine Mutter war durch das Viertel gefahren. Kurz bevor sie die Polizei informieren wollte, fand sie mich. Ich saß inmitten eines verwilderten Gartenstücks auf einer halb in das Gras eingesunkenen Parkbank. Meine rote Jacke leuchtete durch das Grün. So hatte meine Mutter mich aus dem langsam fahrenden Auto heraus entdeckt.

      Die junge Frau, die neben mir gesessen hatte, war verschwunden. Ich erzählte nichts von dem, was passiert war.

      Der Bus fährt ruhig dahin. Manchmal fährt er in Städte, die ich nicht kenne. Menschen steigen aus, und andere steigen zu. Der Bildschirm zeigt an, dass wir noch hundertundvierzig Kilometer von unserem Fahrtziel entfernt sind.

      Später war ich immer wieder von der Schule aus durch das Viertel gelaufen. Ich wollte die Allee und den fremden Garten wiederfinden. Ich flunkerte meine Eltern an, Nachhilfestunden zu haben. Doch die Zeit reichte nie. Jedenfalls dachte ich, das sei der Grund, warum ich das Haus und den Garten niemals wiederfand. Dann wieder dachte ich, das alles sei nur ein Traum gewesen. Ich träumte sehr oft von meinem verschwundenen Gesicht im Spiegel.

      Vielleicht werde ich Fynn von diesem Traum erzählen.

      Fynn hatte ich kennengelernt, als ich das dritte Mal fortgelaufen war. Er sagte, er habe manchmal auch kein Gesicht, wenn er in den Spiegel blicke. Aber sein Erstaunen darüber hielte sich in Grenzen. Dumm schauen sollten die anderen. Auf seinem Grabstein sollte stehen: Guck nicht so doof, ich läge jetzt auch lieber am Strand.

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