Barca. Dietrich Schulze Marmeling
der den FC Barcelona mit Werten wie „Sportlichkeit, Fairness, Universalismus und Gemeinwohl“ verknüpft wissen will, für den Barça „ein schöner Lebensstil“ ist und dem eine „katalanische Republik des FC Barcelona“ vorschwebt. Das Barça als „Modell des Guten in der Fußballwelt“ (Financial Times Deutschland) bezieht ganz wesentlich seine Kraft aus der Kunst des schönen Spiels, der Liebe zum Ball, dem Spaß am Spiel. Denn auch für den FC Barcelona gilt: Ohne Fußball wäre alles nichts.
Dietrich Schulze-Marmeling
Frühjahr 2010
Kapitel 1
Hans „Joan“ Gamper oder: Vom „Klub der Fremden“ zum Symbol Kataloniens
Am 22. Oktober 1899 erscheint in der katalanischen Sportzeitung Los Deportes eine Kleinanzeige, in der zwei Herren mit ausländischen Namen, ein Hans Gamper und ein Walter Wild, über eine bevorstehende Klubgründung informieren: „Die Herren Gamper und Wild sind mit der Organisation einer Football-Gesellschaft weit fortgeschritten. Die Herrschaften, die dieser Gesellschaft angehören möchten, werden gebeten, des Dienstags oder Freitags in dieser Redaktion vorbeizuschauen, um über die noblen Vorhaben ihrer Organisatoren unterrichtet zu werden.“
Hans Gamper hat zwei Probleme, die ihn zu dieser offensiven Suche nach Mitspielern zwingen: Zum einen gehört er zur protestantischen Minderheit in Barcelona. Gampers erste Weggefährten sind folglich Mitglieder der kleinen protestantischen Gemeinde im Distrikt Sarrià-Sant Gervasi im Nordwesten der Stadt. Außerdem ist Gamper, wie auch sein Mitstreiter Walter Wild, Ausländer: Gamper stammt aus der Schweiz, Wild aus England. Ein bestehender Fußballklub namens Catalunya, bei dem Gamper anklopfte, mochte den Fremden nicht aufnehmen – er beschränkt sich auf katalanische Spieler. So bleibt Gamper nichts anderes übrig, als sich selbst nach Mitspielern umzuschauen, die der Katalanismus aufgrund ihrer Konfession oder Nationalität ebenfalls ausschließt.
Am 29. November 1899 wird in der in Barcelonas Altstadt gelegenen Turnhalle von Manuel Solé der Football Club Barcelona aus der Taufe gehoben. Neben Hans Gamper und Walter Wild sind der Schweizer Otto Kunzle, die englischen Brüder John und William Parson, der Deutsche Otto Maier sowie die Katalanen Lluís d’Osso, Enric Ducal, Pere Cabot, Carles Pujol, Josep Llobert und Bartomeu Terrades beteiligt. Die Hälfte der Gründungsmitglieder sind somit Ausländer und Protestanten. Die englische Vereinsbezeichnung Football Club verweist auf die anglophile Haltung der multikulturellen Kickerschar.
Ein Pionier aus der Schweiz
Hans-Max Gamper Häessig, der eigentliche Motor der Klubgründung, wurde am 22. November 1877 in der Jakobsstraße 7 in Winterthur geboren. Er ist das dritte von fünf Kindern und der älteste Sohn der Eheleute August und Rosine Emma Gamper (geborene Häessig); die Familie ist Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz. Winterthur, Tor zur Ostschweiz, hat sich mit Industrie und Banken zu einem international bedeutenden Wirtschaftsstandort entwickelt und verfügt auch über hervorragende Bildungsanstalten wie die Schweizerische Technische Fachschule.
August Gamper ist ein wohlhabender Bankdirektor. Als seine Ehefrau Rosine Emma 1886 an Tuberkulose stirbt, zieht die Familie nach Zürich, der Heimatstadt August Gampers. Dort besucht Sohn Hans das Polytechnikum. Wie im Übrigen auch der aus Turin stammende Vittorio Pozzo, der als Trainer Italien 1934 und 1938 zum WM-Titel führen sollte, zunächst aber lehrreiche Jahre in der Schweiz verbrachte, wo er in Zürich und Winterthur nicht nur einer kaufmännischen und sprachlichen Ausbildung nachging, sondern auch Fußball spielte – so 1905 bis 1906 bei Grasshoppers Zürich.
Der junge Gamper ist ein enthusiastischer Anhänger der „english sports“ und avanciert in Zürich bald zu einem Spitzensportler. Zunächst betreibt er vor allem Radfahren und Laufen. So gewinnt er die Ouvertüre auf der Radrennbahn Basel und ein internationales Rennen zwischen Zürich und Zug. 1898 hält er die Laufrekorde über 800 und 1.600 Meter. In seinem weiteren Leben spielt er auch noch Rugby, Tennis, Golf und natürlich Fußball. Enkelin Emma Gamper: „Mein Großvater war ein klassischer Sportsmann seiner Epoche. Er gehörte zu jenen jungen Schweizern, die den Fußball mit Freude und großem Idealismus verbreitet haben.“
In Zürich ist Gamper zunächst für den Züricher Klub FC Excelsior am Ball. Anschließend gehört der 18-Jährige zu den Gründungsmitgliedern des im akademischen Milieu beheimateten FC Zürich, einer am 1. August 1896 aus der Taufe gehobenen Fusion aus FC Excelsior, FC Turicum und FC Viktoria. Auch sein erst 14-jähriger Bruder Fredy ist mit von der Partie. Erster Präsident des Klubs wird der Jurastudent Hans Enderli; als Klublokal firmiert das vornehmlich von Studenten frequentierte Restaurant „Boden“. Emma Gamper: „Die Gründer bauten alles selber auf; sie bereiteten den Spielplatz vor, amtierten als Präsidenten, waren Trainer, organisierten die Matches, schrieben die Artikel als Sportjournalisten. Sie waren Pioniere, die sich mit ganzem Herzen dem Fußball verschrieben hatten.“
Im selben Jahr beschreibt die Zeitschrift Spiel und Sport Gamper als einen „der besten Schweizer Fußballer. Er zeichnet sich durch sein ruhiges Spiel, seine Beweglichkeit und seine Kaltblütigkeit aus.“
1896 läuft Gamper auch für den FC Basel auf, als dieser am 15. November gegen den FC Mülhausen aus dem Elsass spielt. Es ist das einzige registrierte Spiel, das Gamper, der in der Literatur viel mit dem FC Basel in Verbindung gebracht wird, für den Klub bestreitet. 1897 zieht Gamper nach Lyon, wo er für die Crédit Lyonnais arbeitet und für den Football Club de Lyon sowie den Rugby-Verein Atlétique-Union spielt. 1898 erhält der Stürmer eine Einladung zu einem sogenannten Repräsentativmatch Schweiz gegen Süddeutschland.
Doch nach den Vorstellungen seines Vaters soll Hans Gamper sein Leben nicht dem Fußball widmen. Ihm ist eine Laufbahn als Kaufmann im Import- und Exportgeschäft zugedacht. Dafür soll er im Ausland Erfahrungen sammeln.
Brutstätte des kontinentalen Fußballs
Die Geschichte des FC Barcelona beginnt nicht zufällig in der Schweiz. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich das Land zur Drehscheibe bei der Verbreitung des modernen Fußballs in Europa entwickelt. Verantwortlich waren die zahlreichen Engländer im Land, die der Schweiz auch den Ruf als „little england“ einbrachten. Noch heute lässt sich der anfängliche Einfluss Englands auf den Schweizer Fußball an Vereinsnamen wie Young Boys Bern oder Grasshoppers Zürich, 1886 vom Biologiestudenten Tom E. Griffith initiiert, ablesen.
In den Schweizer Fachschulen wurden seit den 1880er Jahren viele Ingenieure, Kaufleute und internationale Bankiers ausgebildet. Die Schulen genossen international hohes Ansehen und lockten auch Zöglinge der englischen Industriellen an. Die englischen Schüler brachten das Fußballspiel mit, das nun zu einem Bestandteil der modernen Erziehungsmethoden der Eliteschulen wurde. Die Wiege des kontinentalen Fußballs stand in den Genfer Instituten La Chátelaine und Cháteau de Lancy, wo bereits ab 1860 gekickt wurde.
Die englischen Schüler blieben beim Fußball nicht unter sich, sondern luden ihre einheimischen Mitschüler dazu ein und infizierten sie mit dem Spiel aller Spiele. Bald gründeten auch Schweizer Bürger Fußballklubs. Nicht nur im eigenen Land, sondern auch jenseits ihrer Landesgrenzen und hier insbesondere in Norditalien, Südfrankreich und Katalonien. So waren 15 der 25 Gründer des FC Torino Schweizer, darunter auch der erste Klubpräsident Schönfeld. In Mailand wirkte 1908 der Schweizer Enrico Hintermann als maßgeblicher Gründer eines Vereins, der sich bezeichnenderweise FC Internazionale – kurz: Inter – nannte. Als der junge Klub 1910 die Meisterschaft gewann, standen neun Schweizer im Team. Der FC Bari wurde 1908 vom Getreidehändler Gustav Kuhn ins Leben gerufen, beim FC Bologna wurde 1909 der Zahnarzt Louis Rauch erster Präsident. Neapels Fußballpioniere waren die Gebrüder Michele und Paolo Scarfoglio, die das Spiel während eines Praktikums in der Schweiz kennengelernt hatten. Der französische Banker Henri Monnier, 1901 Gründer des Sporting Club de Nîmes, war während des Studiums in Genf auf den Fußball gekommen, und auch die französischen Fußballpioniere Falgueirettes und Julien hatten in der Schweiz studiert.
In Marseille ging aus dem 1884 gegründeten Turnverein La Suisse Marseille der Klub Stade Helvétique hervor, initiiert von einem Zirkel Schweizer Geschäftsleute. Die Mittelmeer-Schweizer wurden 1909, 1911, 1913 und 1919 Französischer Fußballmeister,