Barca. Dietrich Schulze Marmeling

Barca - Dietrich Schulze Marmeling


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Mitbegründer Lluís D’Osso betreibt die „Katholisierung“ des FC Barcelona, die sich später auch im Klubemblem niederschlägt. Barça zieht nun mehr und mehr die katalanisch-katholische Elite an.

      Gamper sieht sich aufgrund seiner Konfessionszugehörigkeit zunehmend Angriffen ausgesetzt. Die damalige spanische Verfassung gestattet nur den Katholizismus. Gamper aber fühlt sich den Freimaurern verbunden, seine Enkelin führt sogar die Auswahl von Barças Vereinsfarben darauf zurück. Die Farbe Blau gilt als am wenigsten materielle Farbe und wird daher als Symbol für Wahrheit und Treue aufgefasst, die Farbe Rot gilt als Urfarbe aller materiellen Existenz und des Lebens. Violett, zu gleichen Teilen aus Blau und Rot entstanden, steht in der Farbsymbolik für Besonnenheit, Maßhalten und Gleichgewicht – zwischen Himmel und Erde, Sinnen und Geist, Liebe und Weisheit.

      Die Ziele der Freimaurer lauten Befreiung der menschlichen produktiven Kräfte, Streben nach schöpferischer und künstlerischer Freiheit in allen Lebensbereichen, Förderung von Glaubens- und Gewissensfreiheit, Produktions- und Handelsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit. Die Schnittmengen mit Reformation und Protestantismus sind erheblich größer als mit dem Katholizismus, weshalb der katholische Klerus die Freimaurer aufs Schärfste bekämpft. Für Lessing, dem wichtigsten Dichter der deutschen Aufklärung, Religionsphilosophen und Vordenker eines neuen, selbstbewussten deutschen Bürgertums, war die Freimaurerei „nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist“.

      In protestantischen Ländern wie England übt die Freimaurerei einen eher kirchenfreundlichen Einfluss aus, in katholischen wie Spanien indes einen eher antiklerikalen. So lag es nahe, dass Gamper sich seinem nun zunehmend katholischen Klub entfremdet sah.

      Retter Gamper

      Anfang des neuen Jahrhunderts baut Barcelona seinen Rang als katalanische Metropole weiter aus – und demonstriert dabei zugleich Weltoffenheit. Aus einer Ausschreibung zur Stadterweiterung geht 1903 ein französischer Architekt als Sieger hervor, in dessen Plänen die Ästhetik eine wesentliche Rolle spielt. Barcelona soll zum Paris des Südens werden.

      1906 erfolgt die Gründung des Institut d’Estudis Catalans und die Herausgabe eines ersten katalanischen Wörterbuches durch Pompeu Fabra. In Barcelona entsteht eine vibrierende Künstlergemeinde aus Architekten und Malern, darunter auch Pablo Picasso. Ebenfalls 1906 verüben katalanische Anarchisten ein Attentat auf König Alfonso XIII., Ausdruck einer wachsenden antimonarchistischen Militanz.

      1903/04 wird erstmals der Campeonato de Catalunya ausgespielt; erster Meister der katalanischen Fußballliga wird Barças Lokalrivale Español. 1904/05 heißt der katalanische Meister erstmals FC Barcelona.

      In den folgenden Jahren nähert sich Gamper wieder seinem alten Verein an. Nicht ganz schuldlos daran ist wohl seine Eheschließung mit der aus Chatel-Saint-Denis stammenden Maria Emma Pilloud, einer „Dame von großer Schönheit und Bildung“, wie Kicker-Herausgeber Walther Bensemann notiert. Vor allem aber ist die Angetraute streng katholisch.

      Gampers Faible für den Katalanismus und seine Annäherung an den Katholizismus fördern seine gesellschaftliche Anerkennung in Barcelona, und 1908 wird er zum Präsidenten von Barça gewählt. Anders als Arthur und Ernest Witty will Gamper ein „echter Katalane“ werden. Er lernt Katalanisch, erst anschließend erwirbt er auch spanische Sprachkenntnisse. Der „katalanische Schweizer“ oder „Schweizer Katalane“, wie Gamper auch genannt wird, spricht bald perfekt die Sprache der Region, während sein Spanisch holperig bleibt. Beim FC Barcelona wird Gamper seine Reden ausschließlich auf Katalanisch vortragen. Seinen Vornamen lässt er zu „Joan“ katalanisieren, und im Hause Gamper – das Ehepaar hat zwei Söhne – wird nur noch katalanisch gesprochen.

      Es ist Gampers erste von fünf Amtszeiten an der Spitze des FC Barcelona. Der Klub befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer existenzbedrohenden sportlichen und finanziellen Krise und hat viele Mitglieder verloren. Auf der Krisensitzung im Gimnasio Solé, dem Gründungsort Barças, finden sich nur noch 38 Getreue ein. Präsident Vicenc Reig hat nach nur 22 Tagen das Handtuch geworfen. In seiner Abschiedsrede hat Reig den Football Club Barcelona de facto für tot erklärt. In die anschließende Stille fragt ein Spieler namens Carlos Wallace hinein: „Gibt es denn niemanden, der bereit ist, den Klub zu retten?“ Sollte es diese Person doch geben, würden die Spieler sie geschlossen unterstützen. Nun meldet sich Gamper, der sich bis dahin mit der Rolle des Zuhörers begnügt hat, zu Wort. Und sein Statement ist wohl das bedeutendste eines Barça-Mitglieds in der Geschichte dieses Vereins überhaupt, denn ohne die folgende Sätze wäre der FC Barcelona wohl bereits neun Jahre nach seiner Gründung wieder von der Bildfläche verschwunden: „Barcelona kann nicht sterben und muss nicht sterben. Wenn es kein anderer versuchen will, dann übernehme ich ab sofort die Führung des Klubs.“

      Gamper gelingt nicht nur die finanzielle Rettung des Klubs, sondern – mit der von ihm mobilisierten Unterstützung lokaler Geschäftsleute – der Bau eines ersten eigenen Stadions in der Carrer de la Indústria mit einem Fassungsvermögen von 6.000 Zuschauern. Das vom Volksmund „L’Escopidora“ getaufte Stadion ist das erste in Spanien mit einer zweistöckigen Haupttribüne und Flutlichtanlage. Hier erwerben Barças Fans ihren Spitznamen Culés (Ärsche). Die letzte Reihe der Zuschauer sucht auf der das Stadion umgebenden Mauer Platz. Für den vorbeigehenden Passanten ergab sich so das Bild aneinandergereihter Hinterteile.

      Nach der Bewältigung der Krise betreibt Gamper die Annäherung des FC Barcelona an den politischen Katalanismus. Der Klub will nun als dessen höchster Repräsentant innerhalb des Sports betrachtet werden. Nach 322 Tagen tritt Gamper aus beruflichen Gründen zurück. Er hinterlässt einen auch sportlich gefestigten Verein. In der Saison 1908/09 gewinnt der FC Barcelona ungeschlagen den Campeonato de Catalunya, und auch in den folgenden beiden Spielzeiten 1909/10 und 1910/11 heißt Kataloniens Champion Barça.

      1910 erhält der FC Barcelona ein neues Klubemblem, nachdem man sich bis dahin mit der Übernahme des Stadtwappens begnügt hatte, versehen mit der Aufschrift „Football Club Barcelona“. Ein Wettbewerb wird ausgerufen. Es gewinnt der Entwurf des Spielers Carles Comamala, Medizinstudent mit künstlerischen Qualitäten. Das neue Emblem dokumentiert die Verzahnung des Klubs mit Katalonien und dem Katalanismus. Links oben erscheint ein rotes Kreuz auf weißem Grund, das Zeichen des heiligen Georg, katalanisch St. Jordi, Schutzpatron der Liebenden und Kataloniens; rechts oben das Muster der senyera, der katalanischen Flagge, mit ihren rot-gelben Längsstreifen. Den unteren Teil des Emblems bilden die Vereinsfarben des FC Barcelona, angeordnet wie die der senyera, sowie ein Fußball.

      Kapitel 2

      Ein Fußballklub, ein Diktator und erste Stars

      In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts spitzen sich in Spanien die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme weiter zu. Dies gilt auch für Barcelona: Einige seiner Stadtviertel sind hoffnungslos überbevölkert; die Kindersterblichkeit in der Stadt ist eine der höchsten Europas. Barcelona wird zu einer Stadt des Protests und Widerstands, zur europäischen Hochburg der Gewerkschaften sowie der sozialistischen und anarchistischen Arbeiterbewegungen.

      Im Juli 1909 werden im Hafen von Barcelona Soldaten für den Kolonialkrieg in Marokko rekrutiert. Bei Barcelonas Unterschicht stößt dies auf massiven Protest, zumal wohlhabende Familien ihre Söhne vom Kriegsdienst freikaufen können. Die Proteste fallen mit einer Streikwelle zusammen und eskalieren in den Tagen vom 26. bis 31. Juli zu einer Rebellion, deren Zentrum der heutige Stadtteil Raval ist. Insbesondere kirchliche Einrichtungen geraten ins Visier der Rebellen. So werden in dieser Woche in Barcelona zwölf Kirchen, 40 Konvente und 24 weitere kirchliche Einrichtungen in Brand gesetzt. Der Kriegszustand wird ausgerufen, und Militär schlägt die Revolte nieder. Binnen einer Woche kommen über 100 Menschen ums Leben. Eine Reihe der Aufständischen wird exekutiert, unter ihnen auch der Anarchist und antiautoritäre Pädagoge Francesc Ferrer i Guàrdia, Gründer der ersten Volksbildungshäuser, in denen Barcelonas Analphabetismusrate von 70 Prozent bekämpft werden sollte. Ferrer ist an den Unruhen zwar nicht beteiligt, wird aber der „moralischen Verantwortung“ bezichtigt. Die Ereignisse gehen als Setmana Tràgica in die Geschichte Kataloniens ein.

      Ein


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