Barca. Dietrich Schulze Marmeling

Barca - Dietrich Schulze Marmeling


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Deutschland wurde über die Drehscheibe Schweiz versorgt. Den deutschen Fußballpionier Walther Bensemann, Sohn eines jüdischen Bankiers aus Berlin, schickten seine Eltern im Alter von zehn Jahren auf eine Privatschule in Montreux. Am Genfer See entwickelte Bensemann eine Begeisterung für alles, was er für „typisch englisch“ hielt. 1883 wurde Bensemann erstmals Zeuge eines Fußballspiels englischer Mitschüler, die allerdings Rugby spielten. 1887 gründete er mit englischen Mitschülern den Footballclub Montreux, anschließend war er in Süddeutschland an der Gründung zahlreicher Fußballklubs beteiligt, so beim Karlsruher Fußballverein (Deutscher Meister von 1910) und den Vorgängervereinen von Eintracht Frankfurt und Bayern München. Bensemann, der später die Fußballzeitung Der Kicker ins Leben rief, zählte 1900 auch zu den Gründungsvätern des DFB.

      Mobile Eliten und Protestanten

      „Fußball-Pioniere kamen in der Regel aus wohlhabenden Familien und wurden stark beeinflusst von britischen Traditionen, die mit der industriellen Revolution assoziiert waren“, schreibt der Fußballhistoriker Pierre Lanfranchi. Nicht der Fußball führte sie in fremde Länder und machte sie zu Migranten. Vielmehr handelte es sich um „mobile Eliten“, die aus beruflichen bzw. geschäftlichen Gründen ihre Heimat verließen.

      Das Fußballspiel war ein Bestandteil des von den industriellen Eliten in aller Welt bewunderten „English Way of Life“. Der Schweizer Historiker Christian Koller: „Mit seinen universellen Regeln und seinem offenen Wettbewerb verkörperte es für die aufstrebende Jugend auf dem Kontinent eine Modernität, die sich an den Prinzipien des Freihandels, des Kosmopolitismus und des Wettbewerbs orientierte.“

      Nicht von ungefähr verbreitete sich der Fußball besonders rasch in den drei Ländern des Kontinents mit dem höchsten Bruttosozialprodukt pro Kopf. Dies waren Belgien, Dänemark und die Schweiz.

      Lanfranchi charakterisiert die kontinentaleuropäischen Fußballpioniere als „Missionare der freien Marktwirtschaft“ und „Gegner einer protektionistischen und xenophoben Spielart des Nationalismus“. Sport wurde nicht einer Karriere wegen betrieben, spielte aber in ihrem Leben eine zentrale Rolle. Und auch ihre Religionsangehörigkeit war nicht ohne Bedeutung, wie Lanfranchi anmerkt. Die ersten Mitglieder des Sporting Club de Nîmes waren Mitglieder des Jugendklubs der lokalen calvinistischen Gemeinde. Gründer Monnier, der seinen Vornamen von „Henri“ zu „Henry“ anglisieren ließ und seinen Sohn „Willy“ nannte, war Sohn eines protestantischen Bankiers und hatte seine Ausbildung in der Calvin-Stadt Genf absolviert. Stade Helvétique war eng mit der reformierten Gemeinde Marseilles verbunden. Und auch der FC Barcelona war, wie eingangs erwähnt, zunächst eine vorwiegend protestantische Angelegenheit.

      Lanfranchi: „Im katholischen Südeuropa reproduzierten protestantische Sportsleute mittels des Fußballs eine ‚alternative Kultur’, die dazu in der Lage war, Protestanten unterschiedlicher Nationalität anzuziehen.“ Der kontinentale Fußball war damals noch eine sozial-elitäre Angelegenheit. „Die jungen Protestanten und die Angehörigen der Klasse der Geschäftsleute“, so Lanfranchi weiter, „waren häufig identisch, und sie lieferten eine der fruchtbarsten Umgebungen für die Verbreitung des Spiels. Sport entwickelte sich in protestantischen Milieus schneller und erfolgreicher – als eine Art Übertragung von Max Webers Theorie der säkularen Askese in körperliche Aktivität.“

      Unter Europas Fußballpionieren und ersten Vereinsgründern befanden sich in der Tat auffallend viele Protestanten (und Juden). Protestantische (wie auch jüdische) Milieus waren für die kapitalistische Moderne mit ihren Konkurrenz- und Leistungsprinzipien gewappnet. Und der Fußball als ein Produkt des modernen Industriezeitalters wurde in Europa zu dessen Spiel.

      Kataloniens Metropole: Barcelona

      Doch zurück zu Hans Gamper, der dem Rat seines Vaters folgt und sich 1898 auf den Weg nach Afrika macht, um auf Fernando Poo, einer Insel im Golf von Guinea und spanische Kolonie, Firmen für den Handel mit Zucker und Kaffee aufzubauen.

      Der Weg führt über die katalanische Metropole Barcelona, wo Gampers Schiff einige Tage anlegt. Gamper besucht seinen dort lebenden Onkel Emili Gaissert. Die Zwischenstation wird zur Endstation, denn der Handelsreisende verguckt sich in die Stadt und bleibt hier hängen. Emma Gamper: „Mein Großvater ließ sich vom sonnigen und mediterranen Klima erobern.“ Emili Gaissert bringt den Neffen zunächst als Buchhalter bei der Crédit Lyonnais unter. Später wird Gamper Chefbuchhalter einer Straßenbahngesellschaft im Bezirk Sarria, ist aber auch weiterhin im Zucker- und Kaffeehandel tätig. Außerdem gründet er die eingangs erwähnte Sportzeitung Los Deportes und betätigt sich als Kolumnist für zwei Sportzeitungen in der Schweiz.

      Gamper tritt der lokalen Gemeinde der schweizerischen evangelischen Kirche bei. Dem Schweizer Protestanten gefällt es im katholischen Barcelona: Die am Meer gelegene katalanische Metropole ist eine Handelsstadt und älter als Madrid. Das Wirtschaftliche spielt eine dominierende Rolle. Der Historiker Juan Beneyto attestiert den Katalanen einen „Händlerkomplex“, während die Kastilier ein „Kriegerkomplex“ kennzeichne. Barcelonas Bürger gelten, trotz der nahezu permanenten Unruhe in der Stadt, als pflichtbewusst, korrekt und arbeitsam. Ein altes Sprichwort behauptet, die Katalanen seien so fleißig, dass sie Steine in Brot verwandeln könnten. Katalonien beherbergt keine Bodenschätze, die Region ist deshalb besonders auf den Fleiß ihrer Bürger und die Qualität ihrer Arbeit angewiesen. In Kastilien galt die Arbeit lange Zeit als entehrend. Für jeden, der etwas auf sich hielt, war die Tätigkeit in einem bürgerlichen Beruf undenkbar. Nicht so in Katalonien und Barcelona, und nicht von ungefähr firmieren die Katalanen heute auch als „die Schweizer Spaniens“.

      Barcelona ist, als Folge der katalanischen Geschichte, anders als der Rest des erzkatholischen Spaniens: „eine kuriose und geglückte Mischung von Nord und Süd, von protestantischer und katholischer Lesart“ (Werner Herzog). Katalonien, im Nordosten Spaniens gelegen und ursprünglich auch das heute französische Roussillon umfassend, genoss lange Zeit eine starke Eigenständigkeit und orientierte sich traditionell eher Richtung Frankreich als nach Süden. Im Pyrenäenfrieden 1659 zwischen der spanischen und der französischen Krone geriet Katalonien zur Verhandlungsmasse und musste das Roussillon abtreten. Am 11. September 1714 marschierten 40.000 Soldaten eines französisch-spanischen Heeres in Barcelona ein. König Felipe V. hob alle bis dahin gültigen Sonderrechte auf und ließ sämtliche Institutionen einer katalanischen Selbstverwaltung schließen sowie die katalanische Sprache verbieten. Katalonien wurde zu einer spanischen Provinz degradiert und durfte erst ab 1778 mit Amerika uneingeschränken Handel treiben.

      Doch Katalonien sucht schon früh den Anschluss an die industrielle Entwicklung Europas . Bereits 1741 eröffnet die erste Textilfabrik in Barcelona, und bald hat die Stadt mit ihrer prosperierenden Industrie, ihren Kaufleuten und Händlern gegenüber Madrid die Nase vorn, wird zur reichsten und am stärksten industrialisierten Region der iberischen Halbinsel, zum Motor der industriellen Revolution Spaniens und zur heimlichen Hauptstadt. Das katalanische (wie auch das baskische) Bürgertum besitzt – anders als das Bürgertum im restlichen Spanien – einen industriellen Charakter. Zwischen 1820 und 1860 verzehnfacht sich die Textilproduktion Kataloniens, eine Metallindustrie entwickelt sich, und die Region wird zum Zentrum der verarbeitenden Industrie in Spanien.

      Mitte des 19. Jahrhunderts befördert diese wirtschaftliche Expansion das Wiederaufleben der katalanischen Literatur, die Erneuerungsbewegung wird „La Renaixença“ getauft. Um 1865 erscheinen erste kulturelle Zeitschriften. Das geistige Leben Barcelonas erfährt einen Aufschwung. Theater, Musik und Literatur treffen beim zu Wohlstand gelangten Bürgertum auf ein dankbares Publikum. Aus der Sicht des katalanischen Bürgertums befindet sich der Rest Spaniens in einem Zustand kultureller Unterentwicklung. Und Madrid erscheint als bürokratischer Schmarotzer, der sich von der Arbeit der wenigen dynamischen Regionen wie Katalonien ernährt.

      Auch in der Weltausstellung 1888, die zu einer großen Ausdehnung der städtischen Bebauung führt, demonstriert Barcelona Wohlstand, Modernität und Selbstbewusstsein. Kataloniens Bürgertum bezweifelt die Reformfähigkeit des spanischen Staates und sympathisiert zunehmend mit dem politischen Katalanismus. 1892 gelangt ein Plan für katalanische Autonomie (Bases de Manresa) an die Öffentlichkeit.

      1898, das Jahr, in dem Hans Gamper in Barcelona eintrifft, markiert für Spanien


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