Barca. Dietrich Schulze Marmeling
Autonomie innerhalb einer spanischen Republik zu. Das „autonome“ Barcelona avanciert zu einem Zentrum der Avantgarde.
Am 12. Juni 1933 beerbt Lluís Companys den verstorbenen Francesc Marcià als Regierungschef Kataloniens. Bei den Wahlen zum spanischen Parlament am 19. November 1933 geht jedoch die vereinigte Rechte als Sieger hervor. Am 6. Oktober 1934 ruft Companys in einer „spanischen Oktoberrevolution“ den „Staat Katalonien innerhalb der föderalen Republik Spanien“ aus. Aber die Generalitat befehligt keine Armee, weshalb das Abenteuer schnell beendet ist. Madrid schlägt zurück: Das Autonomiestatut von 1932 wird aufgehoben, die Generalitat suspendiert, und ihre Führer werden verhaftet. Companys wird zunächst auf dem Kriegsschiff „Uruguay“ im Hafen von Barcelona festgehalten, später nach Madrid verlegt und mit der gesamten katalanischen Regierung zu 30 Jahren verschärfter Haft verurteilt.
Doch 1936 zerbricht die rechte Koalition in Madrid an internen Querelen. Bei den Wahlen vom 16. Februar 1936 gewinnt die Frente Popular (Volksfront) aus Stalinisten, Linkskommunisten, Republikanern und radikaldemokratischen Katalanisten. Allerdings verfügt die neue Regierung nur über eine knappe Mehrheit.
Infolge des Wahlsiegs wird Lluís Companys aus der Haft entlassen und in Katalonien die Generalitat wiederhergestellt – unter der Führung von Companys. Die Region erlebt einige ungewöhnlich friedliche Monate. In anderen Teilen Spaniens wachsen indessen die Spannungen. Rechte Politiker weigern sich, den Verlust der Macht anzuerkennen, und ihre Verbündeten im Militär starten Vorbereitungen für einen Staatsstreich.
Barça wird „kollektiviert“
Für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 1924 hatte sich auch Barcelona beworben. Doch der französische IOC-Präsident Baron Pierre de Coubertin hintertrieb dieses Ansinnen, indem er in einem Brief an alle IOC-Mitglieder um die Wahl von Paris als Austragungsort bat. Auch die Austragungsorte für 1928 (Amsterdam) und 1932 (Los Angeles) wurden sehr frühzeitig festgelegt.
1936 sollte es nun endlich klappen. Die IOC-Sitzung, die über die Ausrichterstadt entscheiden sollte, fand 1931 in Barcelona statt, was sich wegen der revolutionären Wirren aber nicht als Vorteil erwies. Nur 19 IOC-Mitglieder konnten nach Katalonien reisen. Die abwesenden Mitglieder mussten per Briefwahl entscheiden. Die Auszählung ergab 43 Stimmen für Berlin und nur 19 für Barcelona. Als infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme aus den Spielen in Berlin „Nazi-Spiele“ zu werden drohen, will die verhinderte Olympiastadt Barcelona der NS-Propagandashow etwas entgegensetzen: eine Volksolympiade auf dem Montjuic, die Olimpiada Popular.
Etwa 6.000 Sportler aus 22 Ländern melden sich an. Der größte Teil der Sportler soll aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen, Schweden und Algerien kommen. Auch im Exil lebende deutsche und italienische Sportler wollen nach Barcelona reisen. Viele Athleten werden von Gewerkschaften, sozialistischen und kommunistischen Parteien gesandt.
Die Spiele sollen vom 19. bis 26. Juli 1936 stattfinden und somit sechs Tage vor Beginn der IOC-Veranstaltung in Berlin enden. Doch am 17. Juli beginnt der bewaffnete Putsch von General Francisco Franco und anderen Armeeoffizieren gegen die Republik. Die Rebellion der Faschisten hat ihren Ausgangspunkt in einer Militärrevolte in Spanisch-Marokko. Die Fremdenlegion (Tercio) wechselt per Luftbrücke aufs europäische Festland – mit Hilfe von Hermann Görings Luftwaffe, es ist der erste deutsche Kriegseinsatz seit der Niederlage von 1918. Die Putschisten um Franco erhalten Unterstützung durch die antidemokratisch eingestellte katholische Kirche, die sich in einer zweiten Reconquista wähnt – diesmal nicht gegen die Mauren, sondern die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“. Bischöfe sprechen vom „erhabensten Kreuzzug“ gegen „absurde Doktrinen“ oder die „Söhne Kains“, gemeint sind „Kommunisten und Anarchisten“.
In Barcelona kommt es zu ersten bewaffneten Konflikten, die Olimpiada Popular wird abgesagt. Sehr zum Leidwesen von Angel Mur, Platzwart des Barça-Stadions Les Corts, der am 3.000-Meter-Hindernislauf teilnehmen will. Anstatt den Montjuic zu erklimmen, muss sich Mur zwei Tage lang in seinem Haus verschanzen: „Überall waren Schießereien. Den ganzen Tag über rannten Menschen mit Pistolen und Gewehren durch die Stadt. Ich war Sportler, kein Politiker, und mein Rennen war abgesagt worden.“ Die meisten der Olimpiada-Teilnehmer, die bereits in der Stadt sind, reisen schnellstmöglich ab. Mindestens 200 bleiben und schließen sich dem Kampf zur Verteidigung der Republik an, so beispielsweise Emanuel Mink, der Kommandant der jüdischen Einheit der Internationalen Brigaden „Botwin“ wird.
Einige Wochen nach Ausbruch des Bürgerkriegs muss der verhinderte Alternativ-Olympionike Angel Mur den FC Barcelona und Les Corts gegen die Anarchisten von der CNT-FAI verteidigen. Am Morgen des 16. August 1936 entdeckt er im Stadion eine Gruppe von Männern, die Plakate aufhängen, auf denen die sofortige Enteignung des Klubs durch die anarchistische Arbeiterbewegung verkündet wird. Der Platzwart alarmiert den Barça-Vorstand. Dieser erklärt tatsächlich seine Auflösung und wird durch ein „Arbeiterkomitee“ ersetzt. Doch in diesem Komitee sitzen auch Mur und Klubsekretär Rosendo Calvet. Zwei Monate später erhalten sie Verstärkung durch drei ehemalige Barça-Direktoren, die als Vertreter der Mitglieder ins Komitee einziehen. Mur, Calvet und ihre Mitstreiter sorgen dafür, dass der formal erste „kollektivierte“ Klub Europas weiterhin eine pluralistische Einrichtung bleibt.
Krieg zwischen Moderne und Konservativismus
Der europäische Bürgerkrieg, der de facto seit dem Ersten Weltkrieg schwelt und in dem ein großer Teil der europäischen Kulturlandschaft die Ideen von 1789 zurückweist, findet in Spanien seinen greifbarsten Ausdruck.
Der italienische Politologe Enzo Traverso resümiert in seinem brillanten Werk „Im Bann der Gewalt“ (2007) den Spanischen Bürgerkrieg als „einen Krieg zwischen der Moderne und dem Konservativismus, in dem die Vertreter des katholischen und ländlichen Spaniens denen des modernen Spaniens, das die Republik verkörperte, entgegentraten. Zudem war es ein Nationalkrieg, in dem die imperiale kastilische Tradition gegen das Autonomiebestreben der Regionen, vor allem Kataloniens, kämpfte. Darüber hinaus war es aber auch ein Klassenkrieg des städtischen und ländlichen Proletariats gegen das Kapital und den Grundbesitz, der von einem Krieg zwischen dem Faschismus und der Demokratie begleitet wurde. Überdies gab es auch noch einen Bürgerkrieg innerhalb des Bürgerkriegs, da sich auch im republikanischen Lager selbst Revolution und Konterrevolution gegenüberstanden, was im Mai 1937 in Katalonien sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte. Nicht zuletzt war es ein europäischer Krieg zwischen der Demokratie und dem Faschismus, in dem das franquistische Lager vom Italien Mussolinis und von Hitler-Deutschland unterstützt wurde, während die Sowjetunion die republikanischen Kräfte mit Waffen belieferte.“
Im Kampf gegen Francos Truppen erhält die republikanische Regierung Unterstützung durch Freiwilligenverbände aus zahlreichen Ländern. In den Internationalen Brigaden kämpfen ca. 40.000 Mann, darunter auch 5.000 Deutsche. Die Brigaden sind politisch heterogen. In ihren Reihen finden sich bürgerliche Liberale und Intellektuelle (George Orwell, Alfred Kantorowicz), Stalinisten, Sozialisten, Anarchisten etc. Prominente Schriftsteller arbeiten als Berichterstatter und schaffen eine Gegenöffentlichkeit zur Propaganda Francos und der Achsenmächte. Ilja Ehrenburg berichtet für Istwestija, Arthur Koestler für den New Chronicle, Kim Philby für die Times, Ernest Hemingway, Louis Aragon und Antoine de Saint-Exupéry sind ebenfalls vor Ort. Ebenso profilierte Fotografen wie Robert Capra, David Semur, Hans Namuth und Georg Reisner, die Fotoreportagen für Magazine in aller Welt erstellen. Erstmals wird die Fotografie zur politischen Waffe im Kampf um die Sympathien des Publikums.
Nach den Machtübernahmen Mussolinis (1924) und Hitlers (1933) sieht die europäische Linke in den Siegen der Volksfrontbündnisse in Spanien und Frankreich (Mai 1936) eine Trendwende. Spanien wird zum Schlachtfeld, wo der Gegner endlich zu stellen ist. Willy Brandt schreibt von der „ersten offenen Schlacht gegen den internationalen Faschismus“.
Tatsächlich scheitert der Putsch der Militärs um Franco und Emilio Mola zunächst in Katalonien mit Barcelona, in Valencia, Madrid, Andalusien, Asturien und im nördlichen Teil des Baskenlandes. Doch aus dem Putsch wird ein Bürgerkrieg, der fast drei Jahre tobt und einen enormen Blutzoll fordert. Der amerikanische Historiker Gabriel Jackson schätzt, dass 100.000 während der Kampfhandlungen fielen, 10.000 bei Bombenangriffen