GO EAST. Zaubi M. Saubert
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Zaubi M. Saubert
GO EAST
Erlebnisse zwischen Verfall und Aufbruch
Außer der Reihe 13
Zaubi M. Saubert
GO EAST
Erlebnisse zwischen Verfall und Aufbruch
Außer der Reihe 13
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: November 2020
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Zaubi M. Saubert
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Ellen Norten, Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 942533 91 1
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 872 2
Für Sylvie
Halle im Gegenlicht: Der Marktplatz mit der Marktkirche, dem Händeldenkmal und dem roten Turm.
Vorwort
Keine Zeit in meinem Leben hat mich so sehr beeindruckt und auch geprägt, wie meine Jahre in Halle an der Saale, zur Zeit der Wiedervereinigung und in den Jahren danach. Nun erzähle ich das Erlebte rückblickend in diesem Buch. Es beruht im Wesentlichen auf meinen persönlichen Erlebnissen. Geholfen haben mir dabei Fotos, Briefe und andere Erinnerungsstücke.
Das Buch schildert nicht die große Politik, sondern die kleinen Ereignisse und Geschichten am Rand. Es sind viele kuriose, skurrile, bewegende und spannende Begebenheiten dabei, die es verdienen, festgehalten zu werden. Irgendwann geraten solche Dinge in Vergessenheit, die Zeit entwickelt sich weiter und die Ereignisse sind so nicht mehr vorstellbar. Es hat letztlich bis zum Sommer 2011 gedauert, bis es mir tatsächlich gelungen ist, mich hinzusetzen und alles aufzuschreiben.
Keine der Geschichten ist frei erfunden, sondern sie haben sich in meiner Erinnerung so zugetragen. Die handelnden Personen gibt es wirklich, sie sind realer Teil der Geschichte. Ihre Charaktere und Beschreibungen wurden so weit verändert, dass sie nicht wiederzuerkennen sind.
Zaubi M. Saubert
Gelsenkirchen
im Sommer 2015
Eins
Es war ein schöner Tag im Juni. Die Sonne schien heiß aus blauem Himmel, während wir auf der Landstraße durch goldgelbe Getreidefelder fuhren. Aus den Lautsprechern begleiteten uns Campino und die Toten Hosen mit »Azzurro«. Wir waren bester Laune, total aufgeregt und gespannt auf das, was uns wohl erwarten würde.
Das erste Stück der Fahrt war noch ganz normal verlaufen. Wie oft hatte ich die A2 Richtung Berlin schon befahren? Aber spätestens seit Helmstedt hatte sich alles geändert. Musste man sich früher an der sogenannten innerdeutschen Grenze anstellen, sich von den stechenden Blicken der Grenzer durchbohren lassen und versuchen, bloß nicht aufzufallen, wurden wir jetzt einfach durchgewunken und befanden uns in der DDR. Und zwar richtig in der DDR, nicht nur auf der Transitautobahn nach West-Berlin.
In Magdeburg verließen wir die Autobahn und folgten den nur noch schwer leserlichen, ehemals gelben Schildern Richtung Halle. Es ging vorbei an einer dieser Plattenbausiedlungen, wie man sie aus dem Fernsehen kannte. Das Bild, das sich beim Blick aus dem Autofenster bot, hatte sich völlig gewandelt. Die Straße war deutlich schlechter geworden. Überall Schlaglöcher und Unebenheiten. Mein knallroter VW-Passat plötzlich umgeben von grauen Wartburgs und Trabis. Die Häuser und Dörfer entlang des Weges sahen auch anders aus, als ich es kannte, und hatten mehr als nur einen neuen Anstrich nötig. Wir passierten kleine graue Ortschaften, von deren Namen wir noch nie gehört hatten.
»Eh cool, Zaubi«, meinte Horst vom Beifahrersitz, wies mit der Hand nach vorne und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Ja, total spannend«, erwiderte ich.
»Und vielleicht fahren wir hier in einem Jahr in nem dicken Benz lang und ziehen erst mal eine schöne Line durch«, spann Horst vor sich hin.
Bei Horst handelte es sich um meinen Neffen, oder, wie er immer sagte, mein Schwippschwager. Der Sohn der Schwester meiner Freundin Sylvie. Mit seinen gerade mal zwanzig Jahren ein kleines, etwas pickliges Großmaul. Groß gewachsen und dürr. »Eh cool« gehörte zu seinen beliebtesten Redewendungen. Wir beide befanden uns auf dem Weg nach Halle an der Saale.
Zwischen den Obstbäumen am Straßenrand machten wir ein verrostetes Ortsschild aus. Bernburg. Der Straßenbelag wechselte auf eine gewölbte, alte Kopfsteinpflasterdecke. Hinter einer Rechtskurve ging es steil bergab auf einen geschlossenen Bahnübergang zu. Die Straße hatte sich in eine gepflasterte Buckelpiste verwandelt. Mir fliegt sicher gleich ein Reifen oder mindestens der Auspuff weg, ging es mir durch den Kopf, während wir uns rumpelnd dem Übergang näherten.
Zum Glück waren die Schranken geschlossen, denn ansonsten hätte man sich bei dem Versuch, den Bahnübergang in normaler Geschwindigkeit zu überqueren, wahrscheinlich die Achse gebrochen. So aber holperten wir im Schritttempo über die Gleise, nachdem sich die Schranken wieder geöffnet hatten, und wurden dabei nur ordentlich durchgeschüttelt. Mein Gott, was für eine Piste, dachte ich. Anschließend wurde die Straße wieder etwas besser.
Bernburg war die erste DDR-Stadt, durch die wir fuhren. An Magdeburg waren wir ja nur vorbeigekommen. In Bernburg ging es nun einmal mittendurch. Hier war alles anders, als ich es sonst kannte. Trotz des blauen Himmels und dem Sonnenschein wirkte alles grau. Die Fassaden, die Dächer, die Autos, eigentlich alles. Sogar die vereinzelten Menschen, die ich auf der Straße sah. Und es bröckelte. Überall bröckelte es. Von den maroden Dächern, den löchrigen Fassaden.
Bald hatten wir Bernburg hinter uns gelassen und rollten Halle entgegen. Einladend sah Halle nicht aus, als wir es dann vor uns liegen sahen. Am Straßenrand stand auf einmal ein großes, natürlich graues Betonteil mit zwei Sternen und einem liegenden Halbmond. Unwissend, wie ich damals noch war, brachte ich die Sterne erst mal mit den Sowjetsternen in Verbindung. Das behielt ich glücklicherweise für mich. In Wirklichkeit handelte es sich um einen geöffneten roten Halbmond zwischen zwei roten Sternen auf weißem Grund. Das hallesche Stadtwappen, das eine stilisierte Siedepfanne und Salzkristalle darstellt. Halle die Salzstadt.
Jetzt bemerkten wir erst mal eine leicht bräunlich-graue, diesige Glocke über der Stadt. Im leichten Schlingerkurs fuhren wir über Kopfsteinpflaster und Straßenbahngleise in die Stadt hinein und erreichten wenig später einen riesigen Kreisverkehr, den Thälmann-Platz, damals der größte Kreisverkehr der DDR. Fünf breite Straßen führten von dort in alle Richtungen, die Straßenbahnen hatten in der Mitte des Platzes ihre Haltestellen, überspannt wurde das Ganze zusätzlich von einer Hochstraße, umgeben von wuchtigen Plattenbauten. Ein futuristisches Ensemble.