GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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Fantasie, um das Haus als gelb zu bezeichnen. Wobei auch hier der Unterschied zum Rot auf der anderen Straßenseite eher im Nuancenbereich anzusiedeln war. Na, egal.

      Jetzt, ein Jahr später, kam ich wieder nach Leipzig und wir hatten immerhin Sommer, die Luft wirkte auf mich nicht ganz so schlecht und das Grau heller. Wir fanden die Adresse von Hildegard und Walter ohne Probleme und wurden auch schon sehnsüchtig erwartet. Westbesuch stand ins Haus, das war immer ein großes Ereignis in der DDR. Es gab jede Menge Kuchen, natürlich Jacobs Kaffee und dann

      »‘nen kleinen Braunen? Oder lieber einen Wodka?«

      Nee, nee, wiegelten wir ab, denn wir mussten an dem Tag noch nach Hannover zurückfahren. Hildegard und Walter waren so Mitte fünfzig, beide berufstätig und total gespannt, wie das nun weitergehen würde im Staate, mit dem Staate. Aber sie hatten auch ihre Zweifel: ob ihr Kombinat wohl bestehen bleiben würde, ob sie ihre Arbeit behielten und wie das mit dem Ersparten wäre. Das ging ihnen im Moment alles zu schnell. Als ich Walter erzählte, was ich hier im Osten plante, guckte er mich groß an. Erst recht als ich ihn fragte, ob er nicht bei mir mitarbeiten wolle. Ja, Interesse zeigte er schon, nur so recht vorstellen konnte er es sich nicht.

      Wie auch? In der DDR kannte man nur die Sparkasse, da konnte der Bürger ein Sparbuch eröffnen oder vielleicht einen Kredit für die erste Schrankwand oder das Häuschen aufnehmen. Mehr gab es da nicht. Dann war da noch die staatliche Versicherung der DDR. Dort konnte man eine kleine Lebensversicherung abschließen, seinen Trabi oder die Pressplatteneinrichtung der Plattenbauwohnung versichern und noch eine Haftpflichtversicherung abschließen. Mehr gab es auch da nicht. Walter wusste zwar, vor allem aus dem Westfernsehen, dass man sich im Westen gegen alles Mögliche versichern konnte und dass es bei unzähligen Banken unzählige Möglichkeiten gab, sein Geld anzulegen, aber das war hier im Osten noch Zukunftsmusik.

      Am späten Sonntagnachmittag brachen wir von Leipzig aus, zur Heimfahrt nach Hannover auf. Ein total aufregendes Wochenende mit tausend und mehr Eindrücken ging zu Ende. Besonders auffallend: die Freundlichkeit, Offenheit und Herzlichkeit der Menschen. Das kannte ich so aus dem Westen kaum, denn da war cool sein angesagt und alle darauf bedacht diese Fassade immer schön hochzuhalten. Die Menschen, die ich hier im Osten kennengelernt hatte, kamen so ehrlich sie selber, so natürlich und menschlich rüber und damit erfrischend normal. Ganz anders als oft bei uns im Westen.

      Am nächsten Tag, einem Montag, hatte ich ab zehn Uhr Bürodienst im Firmenbüro in der hannoverschen Bultstraße. Als meine Chefin später dazu kam, sollten meine Erlebnisse in Halle natürlich das Thema überhaupt sein. In den kommenden Tagen verflüchtigten sich ihre Vorbehalte gegen ein Engagement im Osten mehr und mehr. Der Zug war nicht mehr aufzuhalten. Meine Chefin blieb nicht untätig und knüpfte erste eigene Kontakte. Sie orientierte sich nach Magdeburg und Aschersleben, einen anderen Kollegen von uns zog es nach Greifswald. Es entwickelte sich eine richtige Aufbruchsstimmung. Man konnte die Spannung förmlich knistern hören. Die Tage in Hannover vergingen wie im Fluge. Ich hatte etliche Kundentermine und dann gab es noch Meetings im Büro.

      Auch abends zu Hause sollte mein Besuch in Halle das große Thema sein. Meine Freundin Sylvie zeigte sich erst einmal etwas skeptisch, was mein mögliches Engagement im Osten anging, vor allem, weil ich oft weg sein würde und sie sich einen eventuellen Umzug nach Halle so gar nicht vorstellen konnte. Sie wusste aber auch, dass Halle eventuell meine große Chance sein konnte, und wollte sich da nicht quer stellen. Sylvie war damals fünfundzwanzig Jahre alt, hundertachtzig Zentimeter groß, sehr schlank mit karottenroten Haaren. Sie selber sagte immer etwas ironisch über sich: »Eine große Dürre wird kommen.«

      Sie managte die Fitnessetage »Panorama 17« des Hotels am Stadtpark in Hannover, passenderweise im siebzehnten Stock. Ein Job mit toller Aussicht über die Dächer der Stadt. Wir waren seit sieben Jahren glücklich zusammen und teilten seit einigen Jahren eine erste gemeinsame Wohnung. Unser Leben war bislang nie ganz geradlinig verlaufen, doch das störte uns nicht. Und jetzt sollte für uns beide das spannendste Kapitel überhaupt folgen.

      Zwei

      Am 1. Juli 1990 kehrte ich nach Halle zurück. Seit diesem Tag galt die D-Mark in der DDR als offizielles Zahlungsmittel. Es war ein heißer Sonntag und man spürte die Spannung, die über allem lag, wie ein Sirren in der Luft. An einem solch heißen Sonntag im Juli wären die Dörfer und Städte normalerweise wie ausgestorben gewesen. Die Menschen hätten sich auf ihre Datsche zurückgezogen oder würden sich zumindest in irgendeinem Freibad oder an einem See erholen. Heute verhielt sich das anders. Die Sparkassen hatten Sonderöffnungen eingerichtet und gaben das neue Geld an die aufgeregt wartenden Massen aus. Bereits in den Ortschaften auf dem Weg nach Halle hatte ich vereinzelt Menschenschlangen vor den Banken in der Mittagsglut ausharren gesehen. In Halle selbst kam es mir total wuselig vor, alles schien auf den Beinen zu sein.

      Zurück in Anitas Wohnung in HaNeu, wie Halle-Neustadt umgangssprachlich hieß, berichteten mir Anita und Rolf davon, dass letzte Nacht in ganz Halle eine riesige Party stattgefunden hatte. Überall wurde bis tief in die Nacht der Abschied von der Ostmark, den »Aluchips«, gefeiert.

      Nachmittags machten wir dann einen Spaziergang durch Halle-Neustadt und kamen dabei auch an »unserer« Kaufhalle vorbei. Auch hier war einiges los. Die Leute waren entweder auf dem Weg zur Bank oder kamen gerade von dort mit dem neuen Geld zurück, blieben an den Schaufenstern der Kaufhalle stehen und guckten in den geschlossenen Markt. Warum schaut man in einen geschlossenen Supermarkt, fragte ich mich, und ging nun selbst hin. Beim Hinsehen erschloss sich mir der Grund. Da, wo letzte Woche noch die leeren Regale standen, hatte man nun die neuen Westprodukte eingeräumt. Doch heute am Sonntag hatte die Kaufhalle geschlossen und es gab nichts zu kaufen, nur zu gucken.

      Voller Begeisterung drückten sich die Leute die Nasen an den Scheiben platt und machten sich gegenseitig aufmerksam auf die schönen Dinge, die sie durch die Scheibe erkennen konnten.

      »Ah, gucke nur, soo viel Coca Cola.«

      »Boah, da ist ein ganzes Regal voll Nutella.«

      »Da, der gute Westkaffee.«

      Rolf und ich fanden die Situation kurios, weil wir so etwas nie erlebt hatten. Was sollte daran Besonderes sein, in einen geschlossenen Supermarkt zu gucken. Aber Anita sah das anders und fühlte sich und ihre Landsleute auf den Arm genommen.

      Später in der Stadt stießen wir wieder auf die fliegenden Händler am Hansering. Dort herrschte absolut Hochkonjunktur, denn hier konnte man gleich etwas für die neue D-Mark kaufen. Die begehrte Halbliterdose Holsten war ruckzuck ausverkauft. Aber egal, dann nahmen die Leute eben einen Würstcheneintopf oder ein paar Tütensuppen, Hauptsache, man konnte Westwaren für Westgeld kaufen. Alles ging weg. An einer dieser Buden trafen wir auf Werner, den Cousin meines Freundes Frank aus Hannover. Der weilte schon seit Mai hier in Halle und betrieb einen solchen Pavillon. Gerade lud er etliche Paletten Dosenbier aus einem alten Lieferwagen und trug sie in den Verkaufsstand. Wir begrüßten uns und quatschen kurz miteinander. Er hatte zu tun, was nicht zu übersehen war, meinte aber, dass er abends noch bei Anita vorbeikäme und dann mehr Zeit hätte.

      Abends kam Werner dann tatsächlich und erzählte von seinen Geschäften. Den Pavillon hatte er in Hildesheim billig gebraucht erstanden. Nun verkaufte er hier, mit inzwischen drei Angestellten, jeden Tag Bier, Konserven und Kaffee. Zu durchaus zivilen Preisen und immer schon nur gegen »Westmark«.

      »Die reißen dir das Zeug nur so aus den Händen. Du hast die Paletten kaum aus dem Wagen gebuckelt, da sind sie schon weg. Das ist total irre«, schwärmte er.

      Jeden zweiten Tag fuhr er zurück über die Grenze in den Westen, um neue Ware anzukarren.

      »Du verdienst dich dumm und dusselig.« Als Beleg holte er ein dickes Bündel Geldscheine aus der Jacke und hielt sie hoch.

      »Hier, alles von heute.« Ja, verrückt. Es herrschte Goldgräberstimmung.

      »Darauf trinken wir erst mal einen«, stellte Rolf fest und schenkte allen einen ordentlichen Braunen ein.

      An


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