GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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keinen von uns in die freie Hälfte ihres Ehebettes, Werner blieb auch über Nacht und Horst war inzwischen ebenfalls eingetrudelt. So suchte sich jeder eine Ecke im Wohnzimmer und breitete seine Luftmatratze aus. Bis auf Rolf, der hatte sich als Stammgast längst eine eigene Matratze mitgebracht und diese ständig in der Wohnung liegen.

      Als ich Montagfrüh in die Kaufhalle kam, um Brötchen zu holen, wurde das gleich richtig spannend. Es herrschte dort bereits ziemliche Betriebsamkeit trotz des regulierten Zugangs. Ich hatte Glück und brauchte nicht lange auf einen Einkaufswagen zu warten. Im Laden standen die Menschen vor den Regalen, drehten staunend irgendwelche Marmeladengläser in der Hand, verharrten völlig überfordert vor dem Regal mit den vielen verschiedenen Kaffeesorten oder debattierten heftig mit der Nachbarin darüber, welche Sorte Bonduelle man nun kaufen sollte.

      »Nu gucke nur, diese Vielfalt. Da gibt es Erbsen fein und hier sogar extrafein.«

      »Nee, das gloob ich jetzt nich.«

      Mütter versuchten ihre Kinder daran zu hindern, gleich das ganze Süßigkeitenregal in den Einkaufswagen zu stürzen. Die zugangsregulierenden Einkaufswagen standen kreuz und quer und versperrten die Gänge.

      Ein Durchkommen bis nach hinten zum Backwarenstand glich einem Hindernislauf. Nachdem ich meine Brötchen gegriffen hatte, wollte ich zügig zurück zur Kasse. Gleich, als ich mich mit der Brötchentüte umdrehte, lief ich beinah in zwei schwergewichtige Damen hinein, die hinter mir fassungslos auf die Brotpreise oben auf der Tafel starrten. Wie sollte man auch begreifen, dass sich der Preis für das gleiche Brot von Samstag auf Montag um ein Vielfaches erhöht hatte. Auch vor dem Spirituosenregal entdeckte ich zwei staunende Männer mit einer Flasche Goldbrand in der Hand, die einfach nicht fassen konnten, dass der Preis für ihren heiß geliebten DDR-Weinbrand praktisch über Nacht explodiert war.

      »Wieso isn der jetzt so teuer?«

      »Na, das ist die Westmark.«

      »Ja, aber auch für unseren Goldbrand?«

      An der Kasse stellte ich fest, dass meine Brötchen fast das Gleiche kosteten wie bei meinem Bäcker in Hannover.

      Die nächsten Tage in Halle verbrachte ich damit, etwas an meiner Karriere zu basteln. Ich gab bei der Mitteldeutschen Zeitung eine Anzeige auf, in der ich Mitarbeiter suchte. »Kontaktfreudige Menschen für abwechslungsreiche Tätigkeit bei überdurchschnittlichem Verdienst gesucht« oder so ähnlich. Am Montag, den 9. Juli, wollten Frau Gehrke und ich im Hotel Rotes Ross den ersten Informationsabend in Halle veranstalten.

      An einem Nachmittag fuhr ich noch mal zu den Bekannten nach Leipzig. Walter zeigte sich zwar skeptisch, aber auch interessiert, zumal sich abzeichnete, dass es sein Industriekombinat wahrscheinlich nicht mehr lange geben würde. Er sagte zu, in einer Woche zu der Veranstaltung nach Halle zu kommen und auch noch einen Kollegen mitzubringen. Na, den Anfang hatte ich gemacht. Am Mittwoch ging es wieder zurück nach Hannover. Es begann die Zeit des Pendelns. Die halbe Woche in Halle und die andere Hälfte in Hannover. Das hieß, viel Zeit im Auto zu verbringen. Für die etwa zweihundertvierzig Kilometer zwischen Halle und Hannover brauchte ich in der Regel etwa drei bis vier Stunden, meist aber auch länger, da sich die Fahrt über die Landstraße zwischen Magdeburg und Halle ganz schön in die Länge zog und es immer wieder Baustellen und Umleitungen gab.

      Am nächsten Sonntag war ich dann schon wieder »drüben«. Und zwar diesmal in Aschersleben, wo ich um elf Uhr vormittags mit meiner Chefin im Braunen Hirsch verabredet war. Sie hatte hier bereits erste Mitarbeiterkontakte anberaumt. Aschersleben entpuppte sich endgültig als staubige, graue Provinz, und der Braune Hirsch passte dort wunderbar rein. Grauer Hirsch hätte als Name noch besser gepasst. Frau Gehrke meinte, ich müsste mir unbedingt ihr Zimmer ansehen, denn der Hirsch vermietete auch Zimmer. Über eine schmale, abenteuerliche Stiege ging es steil nach oben zu einer verwinkelten kleinen Dachkammer. Mehrmals musste ich aufpassen, mir nicht den Kopf zu stoßen. Abenteuerlich, aber gemütlich.

      Montag, am Tag darauf, trafen wir uns wieder. Um achtzehn Uhr zum ersten Informationsabend im Hotel Rotes Ross in Halle. Horst war auch mit von der Partie. Ganz stolz packte ich meine neueste technische Errungenschaft aus, einen Overheadprojektor. Da mir die kleinen mobilen Reiseprojektoren viel zu teuer waren, hatte ich mir ein ganz normales Standgerät gekauft, wie man es auch in der Schule benutzte. Das bedeutete zwar immer etwas Schlepperei, diesen vom Auto in den Schulungsraum zu tragen und wieder zurück, aber was half es? Hauptsache ein richtiger Projektor. Denn keine Schulung ohne Folien, die man schön groß und anschaulich an die Wand werfen konnte. Und wunderbar schreiben ließ sich darauf auch.

      Ich war schon den ganzen Tag richtig aufgeregt. Ob wohl auch Leute auf meine Anzeige kommen würden? Und wenn ja, wie viele? Die Spannung stieg beim Warten. Als Erstes erblickte ich Walter im Türrahmen, der tatsächlich noch einen Kollegen mitgebracht hatte. Und sie blieben nicht die Einzigen, die kamen. Insgesamt erschienen etwa fünfzehn Männer und Frauen. Jetzt erst recht etwas aufgeregt begrüßte ich die Anwesenden und leitete dann zu Frau Gehrke über, die souverän die Firmenvorstellung der OVB übernahm und die Tätigkeit des Finanzkaufmanns vorstellte.

      Dadurch, dass Frau Gehrke nicht mehr ganz so jung war, kam sie etwas gesetzter und seriöser rüber, was mir besser gefiel, als manch einer dieser geleckten Bossanzugträger, die in der Branche sonst häufig vorkamen. Sie dagegen strahlte Seriosität aus, blieb auf dem Teppich und konnte trotzdem begeistern. Die Zuhörer machten einen interessierten Eindruck und es gab natürlich viele Fragen, auch eine Menge skeptische. Diese kamen besonders von den beiden Leipzigern. Am Ende waren wir alle mit der Veranstaltung zufrieden, die eigentlich zwei Stunden dauern sollte und dann doch drei Stunden währte. Hinterher saß ich noch eine Weile mit Frau Gehrke und Horst zusammen, bevor sie abends wieder zurück nach Hannover fuhr und wir nach HaNeu in die Zweiraumwohnung. Am kommenden Samstag sollte es dann mit einem ersten, ganztägigen Seminar als Einstieg für die Interessierten richtig losgehen. Da stellte sich natürlich die Frage, wie viele von den heute Anwesenden dann kommen würden.

      Wegen eines Termins musste ich in der kommenden Woche noch kurz nach Hannover. Inzwischen kannte ich die Strecke schon ganz gut, doch auf der Rückfahrt erlebte ich etwas Besonderes. In Bernburg bog ich hinter dem Ortseingang wieder rechts um die Kurve und rollte dann nichts ahnend auf der brutalen Holperpiste hinunter auf den Bahnübergang zu, dessen Schranken wie immer geschlossen waren. Plötzlich sah ich, wie ein paar Wagen vor mir, an einem Transporter die Türen aufflogen, etwa ein halbes Dutzend Männer in Kampfanzügen und mit Maschinenpistolen im Anschlag aus dem Wagen sprangen und sich auf der Straße verteilten.

      Was war das? Krieg, Überfall oder was? Erschrocken schaute ich mich um und überlegte, was zu tun war. Etwas weiter vorne entdeckte ich einen merkwürdigen grün-weiß lackierten LKW. Er sah wie ein Gefangenentransporter aus, nur mit winzigen Fenstern. Davor und dahinter befand sich je ein Polizeiwagen. Die bewaffneten Männer standen inzwischen um diesen LKW, die Waffen im Anschlag.

      Kurz darauf gingen die Schranken wieder hoch, die Männer verschwanden wieder in dem Transporter und der Spuk endete so plötzlich, wie er begonnen hatte. Inzwischen dämmerte mir, was da vor sich ging. Vor mir befand sich ein Geldtransport der besonderen Art. Hier wurde gerade frisches Westgeld in den Osten gefahren. Und so, wie der LKW gesichert war, hatte der bestimmt einiges an Barem geladen. In der Zeitung stand, dass für die Währungsumstellung insgesamt fünfundzwanzig Milliarden Westmark in den Osten gekarrt wurden. Sechstausend Tonnen Geldscheine und etwa fünfhundert Tonnen Münzen. Das musste man sich mal vorstellen. Das konnte man sich kaum vorstellen. Und da, vor mir an dem Bahnübergang, waren sicher gerade ein paar Millionen davon unterwegs.

      Trotz des schönen neuen Geldes gab es vieles vor Ort noch gar nicht, weil die Geschäfte noch die alten waren und oft noch gar keine oder nur wenige Westwaren auf Lager hatten. Da standen eben immer noch die alten RFT-Fernseher im Schaufenster. Und so einen wollte halt keiner mehr, auch wenn die inzwischen natürlich auch in Farbe ausstrahlten. Genauso wie diese klobigen Stereokompaktanlagen. Da musste jetzt einfach ein richtiger Gettoblaster her. So verwunderte es dann nicht, dass man abends im Fernsehen Berichte darüber sehen konnte, wie im sogenannten ehemaligen Zonenrandgebiet im Westen alles


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