GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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ein spezielles optisches Highlight. Die Männer kamen normalerweise mit Hemd, Stoffhose, Sakko und Schlips zu den Schulungen. Die beiden im Prinzip auch. Nur dass sie als Hose kurze graue Shorts trugen, dazu weiße Socken und graue Halbschuhe. Das war gepaart mit einer alten braunen Aktentasche schon ein ganz besonderer Hingucker. Doch der Hit an sich bestand in dem bunt geblümten Hawaiihemd, das sie dazu trugen. Nun, okay, warm genug war es ja, aber Krawatte und kurze Hose, zusammen mit dem bunten Hemd, das sah schon ziemlich gewöhnungsbedürftig aus.

      Auch für mich war hier im Osten im beruflichen Ablauf einiges neu. Da ich noch kein Büro hatte, spielten sich alle Zusammenkünfte im Rahmen der Schulungen ab. Am gewöhnungsbedürftigsten stellte sich für mich die Sache mit dem Telefon dar. Denn das war für mich völlig ungewohnt, plötzlich nicht mal eben zum Hörer greifen zu können, sei es, weil sich Termine verschoben, um Fachliches zu klären oder einfach nur, um abends mal mit meiner Freundin Sylvie quatschen zu können.

      In Halle konnte ich höchstens mal bei dem einen oder anderen Mitarbeiter von zu Hause aus telefonieren, sofern dieser ein Telefon hatte, oder ich ging zur Hauptpost. Es gab zwar auch einzelne Telefonzellen oder besser gesagt Münzfernsprecher, aber mir sollte es in der ganzen Zeit nie vergönnt sein, diesen wuchtigen, grauen Kästen auch nur ein Freizeichen zu entlocken, geschweige denn eine Verbindung herzustellen. Ein paar Mal hatte ich schon die schicke alte Hauptpost aufgesucht. Darin kam man sich vor wie im Ausland. In der hübschen, aber düsteren Halle musste man sich erst einmal zum Telefonieren anmelden und dann natürlich warten, bis man eine frei gewordene Zelle zugewiesen bekam.

      Diese Zellen waren total klein und eng, schwach beleuchtet und mit einer winzigen Ablage in der Ecke, auf die nicht viel mehr als das alte Telefon passte. Der Versuch, sich während des Telefonates etwas zu notieren, grenzte an Artistik. Man musste sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter klemmen, den Kalender mit der rechten Seite auf die Ablage legen und mit der linken Hand die linke Hälfte des Kalenders festhalten. Dann konnte man mit der rechten Hand schreiben. War man mit dem Telefonieren fertig, hieß es das Gespräch noch am Schalter zu bezahlen. Meistens musste man sich dafür in der Warteschlange anstellen. Eine umständliche Prozedur, der man sich nicht häufiger als unbedingt nötig unterzog.

      Als wäre mein Büroalltag damit nicht kompliziert genug, musste ich meist auch noch freitags nach Hannover fahren. Denn dort wartete neben einem Samstag im Büro auch noch meine Freundin Sylvie auf mich. Die gemeinsame Zeit mit ihr kam dabei ziemlich kurz. Sylvie und ich waren damals nicht glücklich, dass wir uns nur noch so wenig sahen, aber wir wussten auch, dass die Sache in Halle die große Chance für mich bedeutete. So versuchte sie, dass sie am Wochenende frei hatte, damit wir möglichst viel Zeit gemeinsam hatten, was aber bei ihrem Schichtbetrieb im Hotel nur teilweise klappte.

      Manchmal schaffte ich es, freitags bis kurz vor zweiundzwanzig Uhr in Hannover anzukommen und holte sie dann noch im Hotel ab. Um zweiundzwanzig Uhr schloss sie dort die Fitnessetage, in der sie arbeitete, und hatte dann noch aufzuräumen, bevor sie nach Hause konnte. Sie freute sich immer riesig, wenn ich plötzlich unerwartet bei ihr im siebzehnten Stock aus dem Fahrstuhl stieg. Ich nutzte die Zeit dann meist noch für einen kleinen Saunagang oder ein kleines Bad in Hannovers höchstem Pool, was nach der anstrengenden Fahrt sehr entspannend war. Oft bekam ich dazu noch einen leckeren, frisch gepressten O-Saft »auf Kosten des Hauses«. Welch ein Unterschied zu meinem Leben in Halle, wo sich in Kürze auch noch meine Wohnsituation deutlich ändern sollte.

      Sylvie freute sich sehr darüber, wie gut sich die Sache mit den Finanzberatungen bislang anließ, zumal sich das Engagement inzwischen auch finanziell niederschlug. Einmal hatte sie mich schon in Anitas Zweiraumwohnung in HaNeu besucht und fand das alles auch ziemlich spannend. Nur die Sache mit dem Wohnen gefiel ihr nicht. Sicherheitsbedürftig, wie sie nun einmal war, setzte sie zu diesem Zeitpunkt noch auf ihren geregelten Job in Hannover. Man wusste ja nie. Wir sprachen schon darüber, mal ganz nach Halle zu ziehen. Wenn die Entwicklung so weiterginge, wäre das irgendwann nur die logische Konsequenz. Aber momentan wollte sie davon nichts wissen.

      »Erst wenn du eine gescheite Wohnung für uns hast«, pflegte sie immer zu sagen, wohl wissend, dass die nicht eben mal so aus dem Hut zu zaubern war.

      Vier

      In der Zweiraumwohnung in HaNeu zeichnete sich ein Problem ab. Anita plante, im Herbst zum Studieren nach Hannover zu ziehen, passenderweise zur Untermiete in Rolfs Wohnung. Und ihre dann frei werdende Wohnung wollte ihre Schwester übernehmen. Eine eigene Wohnung war damals, gerade für junge Menschen in der DDR, ein wahrer Schatz, an den man nicht so leicht herankam, und so war es völlig klar, dass Anitas Schwester ihre Wohnung beziehen wollte. Und die hatte natürlich keine Lust, die kleine Gruppe Untermieter, die sich inzwischen dort eingerichtet hatte, zu übernehmen. Rolf ließ dies ziemlich kalt, der hatte beschlossen, das Abenteuer DDR mit dem Untergang selbiger zu beenden und nach Hannover zurückzukehren. Aber was wurde aus Horst und mir?

      Eine Wohnung musste umso dringender her. Wir hatten ja schon eine Menge Leute kennengelernt und unsere Finger ausgestreckt. Nun war es zu DDR-Zeiten fast schier unmöglich, eben mal eine Wohnung zu mieten. Allein schon, weil es keinen freien Wohnungsmarkt gab und der Großteil der Wohnungen genossenschaftlich organisiert war. Ein WG-Zimmer würde es ja auch schon tun. Aber so, wie ich das aus Hannover kannte, eben mal in die Tageszeitung oder in den »Heißen Draht« geschaut und angerufen, ging das hier nicht. Obwohl es offensichtlich genug freien Wohnraum gab. Es hatten schließlich seit der Grenzöffnung bereits viele Menschen Halle Hals über Kopf verlassen und waren in den Westen »rübergemacht«. Aber wie sollte man an diese Wohnungen rankommen?

      In der DDR hieß das Zauberwort für die Chance auf eine Wohnungszuteilung: »Wohnberechtigungsschein«. Und so einer musste her. Ich beschloss daher, zum Magistrat der Stadt Halle und dort zur kommunalen Wohnungsverwaltung zu gehen, um einen solchen Schein zu beantragen. Unsere Freunde hatten mir schon gesagt, dass das nicht so einfach wäre, noch dazu war ich ja auch gar nicht in Halle gemeldet. Und dann noch als Wessi. Aber davon wollte ich nichts wissen und machte mich eines Vormittags guter Dinge auf den Weg zum Magistrat. Um auch einen guten Eindruck zu machen, hatte ich extra einen Anzug angezogen, was ich sonst privat nie machte.

      Im Magistrat schlug mir schon beim Betreten des Gebäudes dieser typische, leicht stechende Geruch nach Reinigungsmittel und Ammoniak entgegen, der allen öffentlichen Gebäuden der DDR anhaftete und den ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Nach einigem Suchen und Fragen kam ich schließlich vor dem entsprechenden Zimmer an, das die Vergabe der Wohnberechtigungsscheine bearbeitete. Davor warteten bereits etliche Leute geduldig auf alten, durchgewetzten Stahlrohrstühlen. Brav reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein, nahm auf einem freien Stuhl Platz und übte mich in Geduld. Nachdem der letzte Wartende, der vor mir an der Reihe gewesen war, bereits vor einer Weile herausgekommen und gegangen war, beschloss ich, doch einmal zu klopfen. Vielleicht hatte man ja übersehen, dass draußen noch jemand wartete.

      Doch kaum hatte ich nach dem Klopfen die Tür geöffnet und mir erlaubt, den Kopf hineinzustecken, wurde ich von drinnen auch schon unmissverständlich angefahren, was ich denn wolle und man würde mich aufrufen. Also schloss ich die Tür hastig wieder und eilte über das alte, quietschende Linoleum zurück zu meinem Platz. Wenig später durfte ich tatsächlich eintreten. Hinter einem alten, vollgerümpelten Schreibtisch, schön unter dem Bild des großen Staatsratsvorsitzenden, saß eine blonde, füllige Frau Anfang fünfzig, mit weißer Bluse, und starrte mich feindselig an. Ihre grimmige Erscheinung wurde noch durch einen strengen Dutt unterstrichen. Ich musste unwillkürlich an Udo Lindenberg denken, »Das ist die Olga von der Wolga«, ging mir sein Lied durch den Kopf. Doch das Grinsen verkniff ich mir.

      Was ich denn für ein Anliegen hätte, herrschte sie mich an. Als ich erzählte, dass ich aus Hannover käme und jetzt hier in Halle eine Wohnung suchte, konnte ich verfolgen, wie ihr langsam die Gesichtszüge entglitten. Dabei schwoll ihr ohnehin schon gewaltiger Busen noch weiter an. Ich bekam Angst, dass ihr gleich die Bluse platzen würde und mir die Knöpfe derselben um die Ohren flögen. In energischem Tonfall legte sie mir dann dar, dass Halle erstens eine Zuzugssperre hätte und zweitens, dass ich nicht Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sei und somit Ausländer. Und als Ausländer hätte ich ohnehin kein Recht auf Zuzug. So


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