GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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Ich besaß ja nur einen Wohnberechtigungsschein für eine Zweiraumwohnung, nämlich für Sylvie und mich. Und Horst hätte allein sogar wahrscheinlich nur eine Einraumwohnung bekommen. Das mit der Reko hatte noch einen anderen Vorteil. Es war so üblich, dass der Mieter eine solche Wohnung teilweise in Eigenregie »rekonstruierte« und die Materialrechnungen bei der Genossenschaft einreichte. Das Geld erhielt er dann ganz oder teilweise von ihr zurück. Dieses vereinbarten wir nun auch mit Frau Kurtz.

      Die Wohnung war besenrein, da gab es nichts dran zu deuteln. So setzten wir unser Treffen im Anschluss in dem Büro von Frau Kurtz fort, mit dem Ergebnis, dass am Ende Sylvie und ich einen Mietvertrag für die Wohnung in der Philipp-Müller-Straße 14 unterschrieben. Der Vertrag begann offiziell zum 1. Januar 1991. Es wurde ein Mietzins von hundertundzwei DM und ein paar Pfennigen vereinbart. Das war für den Osten viel Geld. In Hannover hätte man allerdings, trotz des heruntergekommenen Zustands der Wohnung, über diesen Preis nur gelacht.

      Hurra, endlich hatten wir eine eigene Wohnung. Und was für eine. Überglücklich gingen wir nach dem Termin alle drei schön gemeinsam Mittagessen und feierten den Triumph hinterher in unserer Schwarzwohnung, mit Malte und Mia, Eduard, Ralf und noch dem einen oder anderen, der gerade vorbei kam.

      Sechzehn

      Bei Eduard handelte es sich um eine schillernde Erscheinung, wobei er von Gestalt eher klein und dünn, aber sehr drahtig und immer leicht hibbelig daher kam. Still sitzen lag ihm gar nicht. Er war so dünn, dass er den Hosengürtel immer bis ins erste Loch ziehen konnte und dann eine richtige Wespentaille hatte. Eduard lachte gerne, doch wenn er den Mund aufmachte, blickte man direkt in eine Ruinenlandschaft, abgebrochene Zahnstümpfe und Lücken. Wie Dresden ‘45, sollte ich noch Jahre später sagen.

      Kennengelernt hatten wir ihn in der Großen Ulrichstraße, wo er eine Etage über uns, ebenfalls in einer Schwarzwohnung lebte. Als gelernter Installateur hatte er versucht, gemeinsam mit dem ominösen Herbert aus Stuttgart, seinem Mitbewohner, eine Baufirma aufzuziehen. Mehr schlecht als recht, denn die Sache mit der gemeinsamen Firma zerschlug sich schnell. Sein Kompagnon Herbert verließ Halle wieder und so hatte Eduard natürlich Interesse daran, Geld zu verdienen. Er versuchte sich mit kleineren Aufträgen, über Wasser zu halten. Miete musste er keine zahlen und ein Auto besaß er nicht. Er bot uns Hilfe bei der Sanierung der Wohnung an und wir sicherten ihm dafür Bezahlung zu. Eduard hatte Ahnung und Zeit, beides kam uns sehr entgegen. Er sollte unser bester Arbeiter auf der Wohnungsbaustelle werden.

      Eduard litt unter Legasthenie. Das war ihm ungeheuer peinlich und er versuchte, es möglichst zu verbergen. Doch irgendwann erwischte ich ihn dabei, wie er versuchte, eine Rechnung zu stellen. Wie ein Erstklässler malte er jeden einzelnen Buchstaben völlig ungelenk auf den Rechnungsblock. Das dauerte zum einen ewig und sah zum anderen auch dementsprechend aus. Ansonsten war er auch immer ein gern gesehener Gast bei uns zum Essen. Eduard gehörte bald regelrecht zur Familie, denn wir mochten ihn sehr gerne. Er war wirklich ein Guter. Wenn man die Sache mit der Flucht vor den Alimenten mal außer Acht ließ.

      Eduard hatte eine große Leidenschaft: Frauen. Nicht nur, dass er gerne damit herumprotzte, welch tolle Frauen er schon gehabt hatte, nein, auch welch guter Liebhaber er wäre. Dabei sah er gar nicht so aus, so klein und schmächtig. Und wenn er dann noch den Mund aufmachte. Konnte man einen solchen Mund küssen? Er hatte einfach panische Angst vor Zahnärzten. Aber scheinbar schienen seine ruinösen Zähne die Frauen nicht unbedingt abzuschrecken. Und charmant konnte er wirklich sein.

      Eines Tages kam er zu Sylvie und mir herunter und meinte, wir müssten ihm helfen. Na klar, versicherten wir, wo denn der Schuh drücken würde, fragten wir. Er wolle eine Kontaktanzeige aufgeben, eröffnete er uns. Wir waren baff. Sylvie setzte sich letztlich mit ihm zusammen hin und gemeinsam entwarfen die beiden den Text für eine Annonce, die kurz darauf in der Mitteldeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. In den folgenden Tagen konnte man ihn kaum gebrauchen. Er wirkte total aufgeregt und wartete gespannt auf die Resonanz. Sylvie und ich zugegebenermaßen ebenfalls. Und tatsächlich erhielt er eine Menge Zuschriften. Meine Bemerkung, dass die Anzeige ja auch ohne Foto sei, bescherte mir einen schmerzhaften Hieb auf den Oberarm.

      Nun ging es an die nächste Hürde. Nach Sichtung der Briefe, die Eduard erhalten hatte, machte er sich daran, mehrere Frauen, zu kontaktieren. Schriftliche Antworten mit der Einladung zu einem Rendezvous sind für einen Legastheniker nicht ohne. So musste Sylvie wieder ran. Sie formulierte mehrere nette Briefe, die Eduard mit seiner Erstklässlerschrift fein säuberlich abmalte. Und so dauerte es nicht lange, bis das erste Rendezvous ins Haus stand. Eduard wirkte die ganze Zeit aufgekratzt, wie ein Schuljunge vor seinem ersten Date.

      Für seine Verabredung hatte er einen Treffpunkt gegenüber von unserem Haus in der Großen Ulrichstraße ausgemacht. Für ihn hatte das den Vorteil, dass er aus dem Fenster erst einmal schauen konnte, wie die Dame denn aussah. Und für uns bestand der Vorteil darin, dass Sylvie und ich sie nicht nur ebenfalls sehen, sondern auch beobachten konnten, wie sie sich trafen. Eduard war wieder total aufgeregt und fragte Sylvie dreimal, ob sein Anzug säße und die Krawatte ordentlich gebunden sei. Wenig später verfolgten wir dann, wie Eduard an die Dame herantrat und sie ansprach.

      Leider konnten wir nicht hören, was gesprochen wurde. Außerdem blieben die beiden natürlich nicht lange dort stehen. Na klar, Eduard konnte sich ja auch ausrechnen, dass wir am Fenster standen und ihn beobachteten. So verschwanden sie bald aus unserem Blickfeld. Wir sahen ihn an diesem Tag nicht mehr. Erst zwei Tage später erfuhren wir mehr über sein Date. Eduard zeigte sich total angetan von seiner neuen Bekanntschaft. Fürs Wochenende hatte er bereits eine Einladung zum Kaffeetrinken erhalten. Und es sollte nicht die letzte Einladung sein, die er von Inge, so hieß, seine Eroberung, erhielt und auch wahrnahm. Mit ihr hatte er einen guten Treffer gelandet.

      Siebzehn

      Neben den großen Dingen, die in diesem Jahr anstanden, galt es auch ganz banale Probleme des Alltags zu lösen. Eines dieser Probleme betraf die Frage: Wie kriegen wir unsere aktuelle Wohnung warm? Denn vor dem Umzug in die Philipp-Müller-Straße stand dort erst noch die Renovierung an und die würde sich vermutlich bis weit ins nächste Frühjahr erstrecken, soviel war mir schnell klar geworden. Und unser erster Winter in Halle stand vor der Tür. In der Übergangszeit hatten Horst und ich uns bislang mit zwei Ölradiatoren beholfen, doch das sollte nicht ganz unproblematisch sein, wie wir bald feststellten.

      Eines Abends saßen Horst und ich noch auf ein Bier bei ihm im Zimmer. Seine Stehlampe vermochte den großen Raum nur partiell zu erhellen und so unterhielten wir uns weitestgehend im Dunkeln. Deswegen fiel mir wahrscheinlich irgendwann dieses Leuchten im Zimmer auf. Hoch über der Tür leuchtete im Dunkel des Raumes ein orangefarbenes Licht. Ich hatte da gleich eine ungute Vorahnung, so stand ich auf und näherte mich der Stelle. Über der Tür lag eine offene Verteilerdose in der Wand und daraus kam der Lichtschein. Scheiße, da glühen die Kabel, schoss es mir durch den Kopf.

      Schnell war ich an dem Radiator und beugte mich zu dem Thermostat hinunter. Das stand auf Stufe zwei. Und siehe da, als ich den Regler zurück auf Stufe eins drehte, hörte prompt das Leuchten in der Verteilerdose auf. Kaum hatte ich den Regler wieder auf die Zwei gedreht, fing es in der Verteilerdose wieder an zu glühen. Horst kommentierte das Geschehen mit seinem bekannten, aber nun inhaltlich diesmal völlig deplatzierten »Cool«. Puh, das war nicht ungefährlich. Am nächsten Tag besahen wir uns die Angelegenheit einmal bei Tageslicht. Die Verteilerdose war bereits angeschmort und die ehemals stoffummantelten, uralten Kabel lagen blank. Wir beschlossen, die Radiatoren nur noch einzuschalten, wenn wir uns auch im Raum befanden, und sie nur noch auf Stufe eins zu betreiben.

      Um die Wohnung zu heizen, wäre es am einfachsten gewesen, sich Kohlen liefern zu lassen, denn Öfen gab es ja. So kannte ich das auch noch aus meiner WG-Zeit in Hannover. Aber welcher Kellerraum gehörte zu uns? Damit fing es ja schon an. Keine Ahnung. Im Keller war sowieso noch keiner von uns gewesen, außer Malte. Dazu kam, dass unsere beiden Mitbewohner kein Geld für Kohle ausgeben wollten, weil sie es wohl auch gar nicht hatten. Horst war ohnehin chronisch knapp bei Kasse und die WG über uns wollte ich mit Kohlen im Keller nun auch nicht in Versuchung bringen, da die auch immer an chronischem Geldmangel litten. So wurde die Möglichkeit einer


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