GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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nachgegeben hatte. Seitdem herrschte eine tiefe Verunsicherung bei der Polizei. Und die Stasi war ohnehin, zumindest nach außen, völlig in der Versenkung verschwunden. Man hatte sie offiziell für aufgelöst erklärt und ohnehin hatte niemand für sie gearbeitet.

      Zu der verrückten Zeit damals passte, was ich am nächsten Tag erlebte. Ich saß mit Eduard, beim Kaffee in der Küche und wir hörten DT 64, das ehemalige Jugendradio der DDR. Die machten jetzt die beste Musik und hatten obendrein tolle Beiträge. Heute ging es um ein Kuriosum. In Halle sollte das Fahnenmonument am Hansering angeblich nach Nordkorea verkauft werden. Die DDR war Geschichte und ihren Denkmälern blühte häufig das gleiche Schicksal, sprich: Sie wurden abgerissen. Es stellte sich ja wirklich die Frage, ob man hier in Halle noch an die Oktoberrevolution im fernen Russland erinnern musste. Nun war das ja mit der deutsch-sowjetischen Freundschaft ohnehin so eine Sache. Zu DDR-Zeiten eher ein Kunstprodukt als gelebtes Miteinander hatte diese Freundschaft im Zuge von Glasnost eine ganz andere Bedeutung bekommen. Und da passten sowohl die überall noch vorhandenen Lenindenkmäler wie auch die rote Fahne nicht mehr so recht ins Bild. Dazu kam, dass die siegreiche Sowjetarmee ihre Garnison in Halle ohnehin auflösen würde. Wozu dann noch die Fahne?

      Also wurde in Halle bereits diskutiert, die Fahne abzureißen. Und vor diesem Hintergrund ging der Reporter von DT 64 mit seinem Aufnahmegerät los und befragte die halleschen Bürger, was sie denn davon hielten, dass die Fahne nach Nordkorea verkauft werden solle. Eduard und ich saßen in der Küche vor dem Radio und amüsierten uns köstlich. Wer sollte in der heutigen Zeit auch sonst so ein rotes Monstrum kaufen, außer Nordkorea.

      »Was, nach Nordkorea?«, fragte ein Hallenser ungläubig ins Mikro des Reporters.

      »Nur zu, weg mit dem Mist.«

      »Was, die wollen die Fahne verkaufen? Nee, das geht ja gar nicht. Die gehört doch hierher.«

      »Was, nach Nordkorea? Na, dafür haben die Kommunisten noch Geld.«

      »Na klar, bloß weg damit.«

      Die meisten der Befragten waren erst einmal völlig überrascht und die Meinungen gingen weit auseinander.

      Wie es weiterging, erfuhren Eduard und ich nicht mehr, da sich die Küchentür öffnete und Horst hereinkam. Eigentlich war er gerade zum Termin aufgebrochen. Nun stand er völlig niedergeschlagen in der Tür und sah aus, als wenn er gleich losheulen würde. »Was ist denn mit dir passiert?«, wollten wir von ihm wissen. Ein Dachziegel wäre ihm auf das Autodach gekracht, erzählte er, was Eduard lauthals loslachen ließ.

      »Was, dir ist ein Ziegel aufs Dach gefallen? Da hast du jetzt einen Dachschaden«, brüllte er los und schlug sich vor Lachen auf den Schenkel. Horst konnte darüber nicht lachen.

      Wir überließen das Fahnenmonument seinem weiteren Schicksal und verließen die Wohnung, um uns Horsts Dachschaden anzusehen. Er hatte sein Auto wie so oft in der kleinen Seitenstraße neben einem alten, halbverfallenen, leer stehenden Haus geparkt. Solche Häuser waren in Halle eher die Regel als die Ausnahme und so dachten wir nicht über mögliche Risiken nach. Und irgendwo mussten wir ja schließlich auch parken. Horsts alter Passat hatte dort eine beträchtliche Delle abbekommen. Doch damit nicht genug. Durch die Federung des Blechs war er nicht liegen geblieben, sondern weiter auf den Kofferraumdeckel gehüpft. Auch dort hatte er eine stattliche Beule hinterlassen, bevor er abschließend auf das Straßenpflaster aufschlug und in zahllose rötliche Brocken zerschellte. Horst kämpfte sichtlich mit den Tränen.

      »Na da kannst du ja froh sein kein richtiges Loch im Dach zu haben. Da regnet es ja sonst noch rein«, versuchte Eduard Horst vergeblich zu trösten. Darüber konnte Horst auch nicht lachen. Die Beule im Dach sollte ihm noch lange erhalten bleiben. Wen hätte er dafür haftbar machen sollen, wie einen potenziellen Eigentümer auftreiben? Die Eigentumsfrage dieses Gebäudes dürfte wahrscheinlich völlig ungeklärt sein, und bis sich dies einmal änderte, würden sicher noch etliche Ziegel, wenn nicht irgendwann das ganze Dach auf die Straße stürzen. Die einzige Lehre, die wir aus diesem Vorfall ziehen konnten, bestand darin, besser zu gucken, wo wir unser Auto abstellten.

      Zwölf

      Der Herbst 1990 war zugleich ein Frühling, nämlich politisch gesehen. Der Aufbruch in eine neue Zeit. Die gesamtdeutschen Wahlen und damit ein Jahrhundertereignis standen bevor. Die CDU, allen voran Helmut Kohl, proklamierten die Wiedervereinigung fast schon als alleinigen Verdienst. Die FDP sonnte sich im Schein ihres Außenministers Hans-Dietrich Genscher, der durch zähes Verhandeln die Wiedervereinigung erst möglich gemacht hatte. Die SPD dagegen, so versuchte es die CDU-Regierung ständig darzustellen, habe die Wiedervereinigung ja gar nicht gewollt. Dies bezog sich im Wesentlichen auf die Äußerungen des damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der sich erlaubt hatte, zu fragen, wer denn die Einheit bezahlen solle.

      Was für eine dumme Frage. Damit hatte man »die fünfte Kolonne« – mit diesem Begriff versuchte man die SPD seit Kriegsende immer wieder als Gehilfen der Kommunisten zu diskreditieren – mal wieder entlarvt. Die wollten angeblich keine Wiedervereinigung, sondern die DDR behalten. Dagegen prägte Helmut Kohl Aussagen, die Geschichte schreiben sollten:

      »Es werden blühende Landschaften im Osten entstehen.«

      »Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.«

      Aussagen mit Langzeitwert, die aber so pauschal für viele nicht zutreffen sollten. Das waren die Sprüche des Wahlkampfes. Wer das alles bezahlen sollte, war nicht Gegenstand der Diskussion.

      Dann gab es da ja auch noch die alte SED, die nun Partei des demokratischen Sozialismus, kurz PDS, hieß. Die war nun für viele nicht mehr wählbar, für die allermeisten Wessis ohnehin eine völlig inakzeptable Partei, was mein reaktionärer Vater treffend auf den Punkt brachte: »Wer die noch wählt, dem gehört das Wahlrecht entzogen.« So einfach zeigte sich das Bild aus Sicht der Gewinner. Beinahe in Vergessenheit gerieten im ganzen Wiedervereinigungshype und D-Mark-Jubel die Bürgerbewegungen, welche die friedliche Revolution erst ermöglicht hatten. Das Bündnis ’90 und andere aus der Bürgerrechtsbewegung schlossen sich mit den Grünen zusammen. Aber ihre Ziele und das, was sie im Herbst 1989 erreicht hatten, fiel bei den Menschen doch ziemlich unter den Tisch. Einzig die D-Mark zählte, und die verkörperte niemand besser und strahlender als Helmut Kohl.

      Obwohl die Arbeitslosigkeit bereits um sich griff, immer mehr Betriebe abgewickelt und geschlossen wurden, herrschte oft immer noch große Euphorie unter den Menschen. Man glaubte an die blühenden Landschaften und dass es jedem besser gehen würde. Im Kleinen stimmte das ja auch. Fast alle hatten sich von dem neuen Geld etwas gegönnt: eine Stereoanlage, einen Fernseher, einen Urlaub auf Mallorca und allen voran ein neues Auto. Die Fragen, wer das alles bezahlen sollte und wo die neuen Arbeitsplätze denn entstünden, stellten sich viele (noch) nicht. Vor einer Wahl gibt es immer wahrlich blumige Versprechungen. Die Rechnung wird erst hinterher präsentiert. Nur kannte man das im Osten noch nicht.

      Das zeigte sich auch auf den Wahlkampfveranstaltungen. Aus Neugier gingen Horst und ich zu einer der CDU auf dem halleschen Marktplatz. Wir fanden es geradezu gruselig. Auf der einen Seite die Anhänger der CDU, die förmlich an den Lippen der Redner hingen, die ihnen versuchten, weiß zu machen, dass sich die Wiedervereinigung ohne Steuererhöhungen finanzieren ließ. Auf der anderen Seite Menschen, die dies so nicht glaubten, die »roten Socken«, um mal eine harmlose Umschreibung zu benutzen, mit denen skeptische Zwischenrufer bedacht wurden. Etwas weiter hinten in der Menge, wo etwas mehr Platz war, standen sie sich direkt gegenüber.

      Die Köpfe rot angelaufen, schrien sie sich gegenseitig mit hervortretenden, hüpfenden Adamsäpfeln an. Die Augen traten groß hervor und sprühten vor Hass, als sich die Menschen wie Kampfhähne gegenüberstanden. Stasischwein und rote Sau waren noch die harmlosen Schimpfworte, mit denen Skeptiker bedacht wurden. Es war ein Wunder, dass es nicht zu größeren Handgreiflichkeiten kam. Die D-Mark und der Kanzler der Einheit ließen die Emotionen hochkochen. Wo war das Gemeinsame aus den Montagsdemos geblieben?

      Vor diesem Hintergrund verwunderte das Ergebnis der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 auch nicht.


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