GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


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      Ein paar Tage später waren wir wieder in dem kleinen, rumpligen Büro bei Frau Kurtz, die gleich leicht unfreundlich reagierte, als sie uns sah. Ja, entschieden wäre noch nichts, teilte sie uns mit. Außerdem müsse sie sich die Wohnung erst einmal ansehen. Nichts einfacher als das. Wir vereinbarten gleich einen Termin, in der Hoffnung, dass Klaus-Peter da auch Zeit hatte oder uns zumindest einen Schlüssel gab. Nach dem Termin gingen wir gleich bei ihm vorbei und er sicherte zu, an dem besagten Termin anwesend zu sein.

      Donnerstagmorgen um zehn Uhr trafen wir überpünktlich vor dem Haus in der Philipp-Müller-Straße ein und sahen Frau Kurtz bereits vor dem Haus warten. Heute war sie uns gegenüber auch gar nicht mehr so zugeknöpft. Guter Dinge betraten wir gemeinsam das Haus, stiegen in den dritten Stock hinauf und klingelten. Es dauerte einen Moment, bis Klaus-Peter erschien und öffnete. Er wirkte etwas derangiert, so als wenn er eine kurze Nacht hinter sich hatte und überhastet aufgestanden war. Die übertriebene Freundlichkeit, mit der er Frau Kurtz begrüßte, kam bei dieser überhaupt nicht gut an.

      Aber sie schien doch willens zu sein, die Sache voranzubringen, und so klärten wir das weitere Prozedere. Klaus war eigentlich schon dabei, auszuziehen, wie er erklärte, sodass wir die Wohnung in Kürze übernehmen könnten. Was wir auch möglichst bald wollten. Als Frau Kurtz eine der lädierten Türen sah und eine Erklärung forderte, druckste Klaus herum. Sie sah sich die ganze Wohnung mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck an und machte sich dabei Notizen. Nachdem sie alles gesehen hatte, verabschiedete sie sich etwas verschnupft und meinte, wir sollten am nächsten Tag noch einmal bei ihr vorsprechen. War das nun positiv? Würden wir die Wohnung von ihr bekommen?

      Die Chancen dafür standen gut, wie wir am nächsten Tag erfahren sollten. Wieder waren Horst und ich in dem kleinen Büro bei Frau Kurtz erschienen. Und tatsächlich ließ sie durchblicken, dass sie uns die Wohnung geben würde. Beinahe wäre ich ihr um den feisten Hals gefallen und hätte sie vor Glückseligkeit geküsst, aber doch nur beinah. Zum 1. November könnten wir den Mietvertrag bekommen, aber nur unter einer Bedingung. Ich wusste doch, dass die Sache einen Haken hatte.

      »Der Mieter, der Herr Sack, muss die Wohnung besenrein übergeben«, verlangte sie.

      Wow! Na, wenn das alles war, jubelte ich innerlich. Das sollte ja nicht das Problem sein, dachte ich mir, leider in Verkennung der Tatsachen, wie sich noch herausstellen sollte.

      Elf

      Inzwischen hatte der Herbst in Halle Einzug gehalten. Es wurde später hell und dafür früher wieder dunkel. Dazwischen war es oft den ganzen Tag gleichbleibend grau. Mal etwas mehr, mal etwas weniger. Häufig kam dazu auch noch Nebel. Ein dichter, manchmal undurchdringlicher grauer Nebel, der den ganzen Tag nicht wich. Vor der Kulisse der alten, halb verfallenen Straßen mutete es manchmal an wie im London der alten Edgar-Wallace-Filme.

      Und gleich das Erste, was ich morgens nach dem Aufwachen noch im Bett roch, war der typische Geruch von Braunkohle, inzwischen allgegenwärtig. Noch schlief ich damals bei offenem Fenster, gewöhnte mir dies aber bald ab. Besonders intensiv wurde der Geruch, wenn man das Haus verließ, lag die Große Ulrichstraße doch in einer Senke. Sobald man die Haustür öffnete, stieg einem dieser markante Braunkohleduft ganz deutlich in die Nase.

      Wir parkten unsere Autos meist nur wenige Schritte entfernt in einer kleinen Seitenstraße hinter der Universität. Inzwischen hatte ich mir angewöhnt, vor dem Losfahren erst einmal die Scheibenwaschanlage zu betätigen, um den schwarzen Rußfilm auf der Scheibe, der jetzt in der Heizperiode noch schlimmer wurde, wegzuwaschen. Dass der einst knallrote Lack meines VW Passat inzwischen deutlich ins Anthrazitfarbene tendierte, ignorierte ich. Wie sollte ich auch anders reagieren. Waschanlagen im westlichen Sinn gab es natürlich in Halle noch nicht, und wenn ich mal in Hannover weilte, kam ich nicht dazu, den Wagen zu waschen, oder ich dachte nicht daran.

      Zu dieser Zeit gestaltete sich schon das banale Tanken nicht ganz einfach, da Halle nur über ganze zwei Tankstellen verfügte. Da war Geduld gefragt. Ich fuhr meistens zu der Minol-Tankstelle auf der Magistrale am Eingang von HaNeu. Oft durfte man sich dort schon auf dem Standstreifen, vor der eigentlichen Einfahrt zur Tankstelle, in die Warteschlange einreihen. Realistisch betrachtet dauerte es oft etwa eine Stunde, »wenn man eben mal tanken fuhr«. Aber es zeichnete sich ja Besserung ab.

      In der halleschen Südstadt entstand die erste Tankstelle der Firma DEA. Zufällig kam ich an einem Sonntagnachmittag dort vorbei. Zuerst bemerkte ich einen Menschenauflauf, der sich da neben der Straße auf einer Baustelle gebildet hatte. Ist hier ein Fest, fragte ich mich, ein Tag der offenen Tür? Unter dem bunten Kunststoffdach der zukünftigen Zapfstellen herrschte ein mächtiges Gewusel. Hier tummelten sich wirklich alle, vom Kleinkind bis zum Greis. An dem Tankstellengebäude selber waren gerade mal Fenster und Türen eingebaut, und obwohl es im Inneren des Gebäudes nichts zu sehen gab, drückten sich die Menschen die Nasen an den Scheiben platt. Es gab hier eigentlich gar nichts. Weder einen Bierausschank noch gegrillte Würstchen. Es handelte sich eigentlich nur um eine ganz normale Baustelle, trotzdem liefen hier so viele Menschen rum. Es war halt die erste Westbaustelle einer Westtankstelle, die man hier in Halle bestaunen und anfassen konnte. Das stellte schon ein Erlebnis dar. Ein bisschen wie im Zoo.

      In unserer Schwarzwohnung ging das Leben seinen normalen Gang. Immerhin bezogen wir nun legal Strom, Gas und Wasser. Malte und Mia besuchten wieder die Uni, die Sammlung der leeren Flaschen auf dem Flur wuchs stetig weiter an und der Hygienestandard von Küche und Klo bewegte sich hart am Rande des Zumutbaren. Freitag ließ Malte eine kleine Party steigen. Horst und ich hatten leider mal wieder Infoabend und würden so einen Teil des Festes verpassen. Inzwischen waren wir mit den Schulungen übrigens umgezogen in das einstige Klubhaus der Gewerkschaften, ein riesiges ehemaliges Gesellschaftshaus an der Magistrale nach HaNeu, das nun ziemlich brachlag und einstaubte. Nur ein winziger Teil des weitläufigen Gebäudes wurde noch gastronomisch genutzt. Überdauert hatten die Kakerlaken, die hin und wieder über die breite weiße Fensterbank des Schulungsraums flitzten. Deshalb achtete ich immer darauf, meinen Koffer geschlossen zu halten. Kakerlaken hätten uns in der Wohnung gerade noch gefehlt.

      Am frühen Abend waren Horst und ich, wie immer im Anzug, mit Aktenkoffer und dem Overheadprojektor aus der Wohnung zu unserem Infoabend aufgebrochen. Wegen unseres Outfits hatten wir noch ein paar lästerliche Kommentare von Malte und Mia mit auf den Weg bekommen. Zur Sicherheit sperrten wir unsere Zimmertür mit einem dieser osttypischen Einsteckschlösser ab. Man wusste ja nicht, wer alles zum Fest kam.

      Als wir gegen zweiundzwanzig Uhr zurückkehrten, hörten wir die Musik bereits unten auf der Straße. Drinnen ging es hoch her. Auf den ersten Blick erkannte ich kaum jemanden und wir gingen über den Flur zu unseren Zimmern. Dort machten wir uns erst einmal ein Feierabendbier auf und zogen wieder Zivilkleidung an, bevor wir uns ins Getümmel stürzen wollten. Der Lärm im vorderen Teil der Wohnung schwoll noch einmal an. Die Musik wurde plötzlich überlagert durch heftiges Geschrei, wohl aus der Küche.

      »Cool, da geht es aber ab«, meinte Horst.

      Und so plötzlich, wie es anfing, endete der Krach auch wieder. Erst verstummte das Geschrei, dann ging die Musik aus. Ich meinte, noch das Zuschlagen einer Tür zu hören. Danach herrschte Ruhe. Aber totale Ruhe. Hielten jetzt alle auf Kommando die Luft an oder war die Party vorbei? Als wir nach einigen Minuten immer noch keinen Laut hörten, musste ich doch mal nachsehen, was los beziehungsweise nicht mehr los war. Ich ging über den leeren Flur zum Wohnzimmer. Es war einigermaßen verwüstet, aber leer. Dann öffnete ich die Küchentür. Es brannte kein Licht, offenbar befand sich hier auch niemand mehr. Als die nackte Glühbirne die Küche schlagartig in helles Licht tauchte, traf mich fast der Schlag. Was war denn das? Es waren nicht die leeren Flaschen, Gläser und Tassen, die mir ins Auge sprangen, sondern die bräunlichen Plocken, die auf dem Fußboden, an den Schränken, auf dem Tisch, an den Wänden, einfach überall klebten. Was war das?

      Während ich noch einigermaßen fassungslos auf das Schlachtfeld starrte, hatte sich Horst von hinten genähert und schaute mir über die Schulter in die Küche.

      »Cool, die haben hier ’ne Tortenschlacht gemacht«, stellte er fest. Richtig, es


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