GO EAST. Zaubi M. Saubert

GO EAST - Zaubi M. Saubert


Скачать книгу
Fettbemmen kannte man im Westen als Schmalzbrote. Warum man unten im Hof ein riesiges altes Tarnnetz auf dem gepflasterten Boden auslegte, erschloss sich mir erst später.

      Gegen Abend füllte sich der Hof und die Party nahm ihren Lauf. Auf der improvisierten Bühne mühte sich bald eine Band ab. Absoluter Trash, aber schön laut. Mangels Mikrofonständer hatte man das Mikro einfach an den Stiel eines alten Besens befestigt, den man mit dem Fuß zwischen die Paletten der improvisierten Bühne gekeilt hatte. Von dem Gesang konnte man absolut gar nichts verstehen. Nicht weil die Anlage so schlecht war, sondern weil Jordan, der Sänger, kein Wort Englisch konnte. Jordan verkörperte optisch den klassischen Rocksänger. Groß, lange Haare, so eine richtige Musikeraura und immer von ein paar hübschen Mädchen umgeben.

      Imposant fand ich seine alten Cowboystiefel, die kurz vor dem endgültigen Zerfall standen. Aber das Loch in der Ledersohle hätte sogar den Mann aus der Camel-Werbung zum Erblassen gebracht. Und Malte klärte mich auf, dass man wegen der mangelnden Englischkenntnisse des Sängers einfach einen Verzerrer zwischen Mikro und Verstärker geschaltet hatte. Schon merkte bei der schlechten Verstärkeranlage niemand, dass Jordan eigentlich nur irgendetwas in das Mikro hinein brüllte. Auf so eine Idee musste man erst mal kommen. Jordan sollte später in Halle ein Fachgeschäft für Whiskey aufmachen. Er behielt seine Frisur bei und legte sich neue Cowboystiefel zu, die aber von Beginn an schon wie ewig alt aussahen.

      Bei der Party lernte ich die übrigen Bewohner des Hauses kennen. Genauer gesagt handelte es sich dabei nur um die Bewohner aus der Wohnung über uns. Denn von der Kammer für Außenhandel im ersten Stock erschien erwartungsgemäß niemand zu dem Fest und die Dachgeschosswohnung stand leer. Da gab es Ralf Kramer. Ralf war Philosophiestudent und machte mit seiner manierlichen Frisur von allen noch den seriösesten Eindruck. Es stellte sich heraus, dass er sogar noch ein echter Originalmieter mit Mietvertrag war.

      Dann wohnte dort noch Herbert, der aus Stuttgart kam. Herbert war undurchsichtig und mir nicht wirklich sympathisch. Er machte etwas im Baugewerbe, was genau, blieb aber unklar. Der Nächste war wieder ein Wessi. Eduard kam aus Kleve, war Ende vierzig, klein, ein schmächtiges Hemd und sah im Mund aus wie Dresden 1945. Er war Handwerker und machte in »Gas, Wasser, Scheiße«, wie er immer zu sagen pflegte, irgendwas gemeinsam mit Herbert. Eduard entpuppte sich als ein Netter. Was ihn nach Halle geführt hatte, bekam ich erst später raus und das war weniger nett. Er hatte sich vor seiner polnischen Ehefrau geflüchtet und wurde wegen ausstehender Unterhaltszahlungen gesucht. Daher tauchte er nach der Grenzöffnung einfach im Osten unter und entging so den finanziellen Forderungen.

      Und zu guter Letzt wohnte über uns noch der Bär. Der hieß so, weil er so aussah. Riesengroß, mit ungezähmter rotblonder Lockenmähne, Vollbart und auch ansonsten stark behaart. Den Bär kannten wir schon aus dem Nöö, wo er hinter dem Tresen arbeitete. Na, dann waren wir ja eine illustre Runde. Das Fest war auch illuster: Knalllaute Trashmusik in dem kleinen, vollen Hof, umgeben von hohen, zerfallenden, roten Ziegelwänden, bei diffuser Beleuchtung. Wenn das nicht Punk war.

      Und dann am nächsten Morgen der Punk im Kopf. Ich konnte gar nicht sagen, wann mein Kopf schon einmal so dick gewesen war. Ein Wunder, dass ich damit überhaupt durch die Tür passte. Was hatte ich denn gestern alles getrunken? Hallesches Meisterbräu, lauwarm. Davon bekam ich allein schon immer einen dicken Kopf. Na ja, dann sicher noch den einen oder anderen Braunen. Und noch Wodka? Na egal, es reichte auf alle Fälle. Als ich dann aufs Klo musste, wäre es mir lieber gewesen, ich hätte mein Zimmer nicht verlassen können. Boah, war das eklig, und es roch auch so. Ich hatte vorher schon einmal mit Edding an die Wand geschrieben »Pinkelt doch mal im Sitzen«. Im Nachgang zu der Party schrieb ich »Kackt doch mal im Stehen« an die Wand.

      Unsere Küche sah nicht viel besser aus. Berge von schmutzigem Geschirr, Müll und kein sauberes Plätzchen mehr. Als ich aus dem Fenster in den Hof schaute, erschloss sich mir endlich das Prinzip mit dem Tarnnetz. Man hatte die vier Ecken zur Mitte des Hofes zusammengelegt, damit den Großteil des Mülls aufgehäuft und diesen dann einfach in eine Ecke gezerrt, schon war der Müll beseitigt. Da blieb der Haufen bis auf Weiteres liegen. Mit einer Flasche Mineralwasser bewaffnet zog ich mich wieder in mein Bett zurück und drehte mir erst mal eine Zigarette. Nicht mal die schmeckte richtig. Zwei Alka Seltzer und eine halbe Stunde später ging es mir tatsächlich etwas besser. Irgendwann tauchte Horst aus seinem Zimmer auf. Oha, der sah aber alt aus.

      Am frühen Nachmittag hatten Horst und ich uns so weit berappelt, dass wir die Wohnung verlassen konnten, um etwas essen zu gehen. Nach der Aufnahme einer festen, warmen Mahlzeit, welche wir mit einem gepflegten, frisch gezapften Pils herunterspülten, sah die Welt schon ganz anders aus. So gestärkt kehrten wir in die Wohnung zurück, wo Malte und Mia tatsächlich bereits mit den Aufräumarbeiten begonnen hatten. Wir unterstützten sie, nur das Klo wollte ich nicht sauber machen. Das machte schließlich tatsächlich Malte.

      In unserem Wohnzimmer stand seit letzter Nacht ein richtig großes Bierfass. Hatte ich gar nicht mitbekommen. Wie hatte das den Weg zu uns gefunden? Malte klärte mich auf, dass ein paar Gäste dies mitgebracht hatten. Und woher hatten die das? Natürlich wieder vom Markt, denn da standen doch diese Buden und aus einer der Buden stammte es, berichtete er. Jetzt stand das Dreißig-Liter-Fass also bei uns im Wohnzimmer. Unten steckte ein Hahn drin, oben war es offen. Auf dem Fußboden hatte sich eine kleine Pfütze gebildet und der ganze Raum roch, trotz offener Fenster, wie alte Kneipe. Experimentierfreudig, wie ich war, probierte ich.

      Dass der Extrakt aus dem Fass ziemlich trübe ins Glas lief und obendrein lauwarm war, schreckte mich nicht so sehr wie der Geschmack selber. Boah! Was war denn das? Das schmeckte ja wie eingeschlafene Füße. Die Lösung fand sich schnell. Es handelte sich um Weißbier, noch dazu ohne Kohlensäure. Weißbier war ohnehin nicht mein Fall und so schon gar nicht. Auf alle Fälle stand das Fass noch lange dort bei uns im Wohnzimmer und in den ersten Tagen zapften sich meine Mitbewohner immer wieder mal ein Gläschen, bis auch sie nicht mehr mochten.

      Ein paar Tage später hatte sich Besuch zum Frühstück angekündigt. Drechsel kommt und bringt Brötchen mit, hatte Malte am Vorabend verkündet. Drechsel kannte ich flüchtig, über irgendwelche Leute, aus irgendwelchen Kneipen. Ob es sich bei dem Namen um seinen Nachnamen oder um einen Künstlernamen handelte, wer wusste das schon? Er stellte auf alle Fälle schon rein optisch eine markante Erscheinung dar: groß, schlank, mit langen rotblonden Locken. Dazu trug er meist einen langen schwarzen Ledermantel und Springerstiefel. Als Drechsel zum Frühstück kam, brachte er nicht nur Brötchen mit. Nein, aus den Tiefen seines Ledermantels kamen neben mehreren Päckchen Wurst und Käse noch Eier, Marmelade und Butter zum Vorschein. Seinem verschlagenen Grinsen zu entnehmen hatte er diese Sache in der Kaufhalle nebenan nicht bezahlt. Horst meinte nur »cool«, als er sah, was Drechsel alles aus dem Mantel hervorholte, was wir uns kurz darauf schmecken ließen.

      In der Folgezeit schaute Drechsel immer mal wieder bei uns vorbei. Meist hatte er dann einen Beutel mit CDs oder Comics dabei, die er für eine Weile bei uns deponierte und später wieder abholte. Man erzählte sich auch, dass man bei ihm Dinge bestellen konnte, die er dann besorgte, für den halben Ladenpreis. Eines Tages war Drechsel verschwunden. Es hieß, er habe Halle ziemlich überhastet verlassen. Nicht, weil man ihn bei seinen »Besorgungen« erwischt hatte, sondern weil er sich wohl in einigen WGs, in denen er verkehrte, an fremdem Eigentum bedient hatte. Das fanden die Leute überhaupt nicht witzig.

      Acht

      Inzwischen war der September vergangen und der 3. Oktober stand unmittelbar bevor. Der Tag der Deutschen Einheit. Wer hätte gedacht, dass wir diesen Tag einmal erleben? Für mich persönlich hatte es zwei deutsche Staaten gegeben. Nicht, dass ich die DDR toll gefunden hätte, aber ich war mit ihr aufgewachsen und hatte mich mit ihr abgefunden. Ganz im Gegensatz zu meinen Eltern. Gut, sie stammten aus Leipzig und waren rechtzeitig vor dem Mauerbau 1961 aus dem Ostsektor Berlins in den Westsektor gewechselt.

      Für meinen Vater gab es zeitlebens nur die SBZ, die sowjetische Besatzungszone. Er ließ kein gutes Haar an diesem »Unrechtsregime«. Sicher, er hatte einen anderen Bezug, denn es lebten noch Schulfreunde »drüben«, die den Westkontakt abbrechen mussten, um keine Schwierigkeiten im Betrieb zu bekommen. Brav wurden jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit


Скачать книгу