Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak

Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak


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zu sehen war. Er legte beruhigend seine linke Hand auf das gehörnte Tier, schob es beiseite und drängte sich zu den Lämmern vor.

      - Erik! Bind die Kuh fest! Wir verlieren sie!

      Er vernahm das Gebrüll nicht. Aus seinem Gurt zog er einen Dolch hervor. Seine Hände waren sicher. Er spürte, wie gut der Schaft in der Hand lag, als er den Dolch umdrehte, um damit besser auf das Tier einstechen zu können. Er schlitzte die Kehle auf und das Lamm stieß ein heißes, röchelndes Blöken aus. Das Blut spritzte auf ihn und das Tier. Ein warmer, klebriger Strom lief an ihm hinab, als er das umstürzende Tier packte und dessen Seil durchtrennte.

      Dann stand er an der Reling. Aus dem Maul des sterbenden Tieres hing die Zunge heraus. Die Augen waren aufgerissenen, wie in Verwunderung. Erik stemmte das Tier über seinen Kopf. Das Blut tropfte aus der Kehle auf Eriks Kopf und zerstob im Wind.

      - Rotbart. Himmel – und – Meer – Thor. Nimm das Tier! Und gib uns Frieden!

      Seine Kräfte reichten nicht aus. Er wollte das Tier über die Bordwand werfen, schaffte es aber nur, es an den Armen hinabgleiten und über die Reling in das Meer plumpsen zu lassen. Das Platschen war nicht zu hören, weil es sich im Lärm des Windes und der Wogen verlor. Das Tier war weg.

      Erik sank in die Knie.

      Das Rufen seines Vaters war erneut über ihm, aber er bemerkte es nicht. Ein wildes Fieber durchzog seinen ganzen vierzehnjährigen Körper. Er ließ den Dolch hinabgleiten. Knetete beide Hände und spannte die Muskeln der Oberarme an. Saß da und wiegte sich vor und zurück. Stetig die Hände knetend murmelte er Laute, von denen er selbst nicht glaubte, dass er sie kannte.

      Gewaltige Halluzinationen bemächtigten sich seiner. Während er die Zähne bis zum äußersten Schmerzpunkt zusammenbiss, pochte das Blut vom Hals bis zu den Fingerkuppen. Er schüttelte seine nasse Mähne. Peitschend und wild.

      Dann fiel er vornüber, hinein in sein eigenes Blut und seine Ohnmacht.

      2

      „Sicher und fest glauben sie daran, wie ich früher gesagt habe,

      dass diese Götter sie vor den Mächten der Unterwelt bewahren

      und dass sie die Verbrechen, die sie selbst gegen sie begangen haben, sühnen werden.“

      Bischof Thietmar von Merseburg

      Deutschland, um 1000

      „Keiner ist ganz elend

      auch wenn die Gesundheit schwindet,

      einer fand das Glück in seinen Söhnen,

      einer in seiner mächtigen Familie,

      einer in großem Reichtum,

      einer in guten Werken.“

      Hávamál, Island, 10. Jahrhundert

      Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

      Die Felle waren viel zu warm.

      Der Mief des Schlafs hing in den geschmeidigen Haaren. Die Träume von mehreren Tagen hatten sie zu einem weichen Kokon geformt. Es waren gute, abgenutzte Felle. Viel zu warm, um sie zu verlassen.

      Erik stützte sich auf einen Ellbogen und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Unterdrückte ein Gähnen und strich sich kurz danach durch die Haare. Wälzte sich herum und versuchte gleichzeitig, die Augen zu öffnen. Es gelang ihm nicht. Er ließ seinen mit blauen Flecken übersäten nackten Körper zurückfallen und glitt wieder unter das behagliche Fell. Einen seiner Arme schob er zwischen die Schenkel, drehte sich schwerfällig wie ein gemästetes Tier herum und legte das Kinn auf die Brust.

      Er war vollkommen bereit.

      Bereit, in der Wärme der Felle zu verweilen. Den Schlaf mit weiteren Erscheinungen und Bildern auszudehnen. Willens und zugleich heiter, wie ein Naseweis, der einen weniger Gewitzten genarrt hat und sich nun über seinen Sieg freut. Die Bilder tauchten bereitwillig wieder auf. Und mit ihnen kamen Düfte und Laute. Gesichter und Begebenheiten. Sein erstes Pferd. Der unsichere Ritt unten in der flachen Ebene. Das schwere Tier zwischen seinen Beinen. Das Fett in den Handflächen nach dem Striegeln. Das Heu. Ach, das Heu. Der Dolch, den er von seinem Onkel bekam. Der runde, reich verzierte Schaft der kurzen Waffe. Die kleinen Schlangen, die sich um den Schaftkopf wunden. Der Wetzstein im Sonnenschein, als ihm Torhal beibrachte, die Egge zu schärfen. Das schleifende Geräusch und der feuchte Duft des Steins im Wasser. Der Geschmack von Metall im Mund. Der stolze Blick. Der Schnitt in der Haut. Die Sicherheit der Waffe.

      Rogaland im Winter. Sein gesamtes Land mit Schnee bedeckt. Beschlagener Atem und das knirschende Geräusch der Fellschuhe im Schnee. Dünne Rauchschwaden über der Dachöffnung. Das plumpe Geräusch von Brei im Topf. Die blasse Oberfläche im blanken Kessel. Tiefe Seufzer aus dem Inneren des Topfes, die träge und schwer in einer plätschernden Beredsamkeit ausgestoßen werden.

      Die Trottellummen daheim in Jæren. Gryllteisten, die mit ihren roten Zehen komisch über das Wasser laufen. Der weiße Schimmer der flatternden Flügel. Der schlanke Vogel im schwerfälligen Flug. Die Hände seiner Mutter mit dem Vogel. Das rötlich-gelbe Brustfleisch. Der Geschmack.

      Als er dort in den Fellen lag und die Bilder und Geräusche durch seinen Kopf wandern ließ, schlich sich ihm eine merkwürdige, langsame Wehmut ein. Er realisierte, dass sie aufgebrochen und in ein neues Land gezogen waren. Mit anderen Bergen, einem unbekannten und fremden Meer. Anderen Leuten und Tieren. Alles würde neuartig sein. Und er hatte bereits bei der Abreise geahnt, dass auch er ein anderer sein würde. Ein neuer Erik, von dem er noch nicht wissen konnte, wer er sein würde. Seine Welt hatte einem Stein geähnelt. Fest, sicher und rund. Sie war bekannt und unverrückbar.

      Mit geschlossenen Augen lag Erik in den Fellen. Die Beine hatte er angezogen, beide Hände unter dem Kinn zusammengefaltet und seine Gedanken sprangen zwischen vielen Plätzen und Gesichtern hin und her. Und er gelangte zu der Einsicht, dass der Stein, der seine Welt gewesen war, nicht einfach nur ins Wanken geraten war. Er hatte sich mit dröhnendem Rollen in Bewegung gesetzt, war den Abhang mit rasender Eile hinunter in das Meer gerollt. Mit einem Plätschern war er verschwunden.

      Wo waren das sichere, grasbedeckte Dach, die saftigen Hügel und die rollenden Kiesel? Hinfort.

      Wo waren die schmalen Pfade der Berghänge und die drei Steine, die er immer auf dem Weg ins Gebirge berührte? Hinfort.

      Wo waren die westlich vor dem offenen Meer gelegenen kleinen Inseln? Hinfort.

      Wo waren der Thingplatz, der Ort der Götter, der Wald und das Lärmen der vielen Menschen? Hinfort. Und wo war der kleine, rothaarige Bursche, der draußen auf der Landspitze gelernt hatte, mit dem Bogen zu schießen? Wo war seine Mutter? Wie groß war die Kraft seines Vaters?

      Nachdem seine Gedanken aufgekommen waren, kauerte sich Erik enger zusammen. Er lag nun dort wie eine kleine Kugel. Die wohlig-warme Fellhülle konnte jedoch nicht seine Unruhe dämpfen, die ihn durchzog.

      Wie ein kleines Lager mit Wintervorrat lag er dort und wurde von seinem Verlangen und seiner Unruhe gepeinigt. Er kniff die Augen fester zusammen und versuchte, aus dem Dunkeln eine Art Gewissheit hervorzupressen. Ganz gleich über was. Hauptsache etwas, woran man sich festklammern konnte. Sein vergebliches Bemühen ließ ihn immer weiter verzweifeln. Neue Bilder schwirrten durch seinen Kopf. Er sah sich selbst in der Nacht an Klippen herumklettern. Mit blutigen Händen kletterte er immer weiter empor. Auf nassen, schwarzen Felsen voll mit scharfen Kanten und großen, glatten Flächen. Allein und trotzig kletterte er immer weiter. Kam nicht vorwärts. Wusste nicht, wohin er sollte. Kletterte weiter. Verlassen und einsam auf den nächtlichen Klippen torkelte er halb weinend, halb rasend nach oben, während der Abgrund ihn hinabziehen wollte. Und er merkte, dass sein Vater dort im Abgrund stand. Spürte das Unbehagen angesichts des vollbärtigen Kopfs. Er kroch tiefer in seine Dunkelheit hinein und flehte nur um festen Halt. Seine Hände schmerzten und seine Knie waren aufgescheuert. Und seine Lippen ausgetrocknet. Seine Zunge war so groß, dass sie den gesamten Mund ausfüllte. Und sein trotzig-verzweifeltes Rufen konnte nicht herauskommen. Er war zu einsam, viel zu einsam. Einsamer als irgendein Mensch jemals


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