Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak

Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak


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Sitz war dem Hausherrn vorbehalten. Die Hast war dermaßen groß, dass die Heuernte auf den höher gelegenen Feldern zurückgelassen wurde.

      - Nun darf sie dort liegen und verrotten.

      Dieser quälende Gedanke streifte ihn. Für die Heuernte waren er und Torhal in den vergangenen Jahren verantwortlich. Wie die Kiebitze ihre Küken behüten, kümmerten sich die beiden um die Hänge. Gemeinsam schlugen sie das sonnengebleichte Stroh und banden es zu wohlriechenden, weichen Haufen. Für die Ernte erhielten sie von den Männern anerkennende Blicke. Und Erik ließ Torhal diejenige Anerkennung zuteilwerden, die seine Mutter so freigiebig verteilte.

      Jetzt war die viele, viele Tage andauernde Seereise vorbei. An den großen Hängen lag nun die gesamte Heuernte im Regen und verrottete. Die Mühe eines Sommers wegen der Eile seines Vaters.

      Torhal hatte versucht, Erik zu überzeugen, dass es am besten sei, aufzubrechen. Mehrfach wurde er überredet. Torhal hatte mit einem Land gelockt, von dem Erik kaum gehört hatte, welches aber Torhal bereits gesehen hatte. In seinem ruhigen, besonderen Tonfall konnte Torhal von besonderen Plätzen und einem großartigem Anblick erzählen. Mutige Männer und die Aussicht auf großen Reichtum für alle. Erik hatte ihm geglaubt.

      Bis zu dem Tag, als seine Mutter starb. Bis zu jenem Tag hatte sich die Eile der anderen in Eriks erhitztem Körper und Geist fortgepflanzt. Der gesamte Aufbruch war von Flucht geprägt gewesen, aber erst als seine Mutter starb, wurde ihm bewusst, dass eben die Flucht das eigentliche Ansinnen war.

      Er hatte sich von der Tatkraft seines Vaters einschüchtern lassen. Und wurde von dem sonst so schweigsamen Mann mit dem mächtigen Bart angestachelt, der das offenbar durch einen schnellen Handel erworbene Schiff lobte.

      Ulf, zwei Knechte vom Hof und sein Vater waren eines Tages morgens gegen Norden aufgebrochen und tags drauf abends zurückgekehrt. Alle vier waren über den Handel fröhlich gestimmt gewesen, der, nach allem, was er verstanden hatte, auf einem Hof bei Sole stattgefunden hatte.

      Der Anblick des Schiffes, das bereits zwei Tage später ruhig in die Meerenge einlief, bestätigte Erik darin, dass die Stimmung der erwachsenen Männer berechtigt gewesen war. Es war eine prächtige, bunte Knorr mit einem Segel ohne Flicken und Stopfnähte. Mit Schlafkisten, Stauraum, Bänken und sechzehn Rudern. Selbst eine Windfahne flatterte am hohen Achtersteven. Sehnsüchtig hatte er gehofft, dass es mit solchen Drachenköpfen bemalt gewesen wäre, wie er sie bei anderen Schiffen gesehen hatte. Aber dergestalt war es nicht. Prächtig war sie dennoch, die Knorr mit dem breiten Bug. Die bronzefarbene Windfahne zierten sonderbare kleine Männer und Schlangen und in der Mitte prangte das unvergleichliche und furchteinflößende Antlitz des Rotbärtigen.

      Erik hatte sich bereits am selben Nachmittag selbstständig von der Tauglichkeit des Motivs überzeugt. In seinem Innern frohlockte er über ihr Glück und versicherte sich selbst ihres Heils für die Fahrt.

      Zudem war er einer der Fleißigsten bei der Beladung des Schiffes. Erfasst von Torhals Erzählungen über die ungeahnten Möglichkeiten und der Geschäftigkeit der Leute vom Hof.

      Er war äußerst unglücklich darüber, dass sie die Nacht über segelten. Der Fahrwind war nicht stark gewesen. Seiner Meinung nach versprach der über Norwegen hinwegziehende Nordwind nie ein gutes Auslaufen ins Meer in westliche Richtung. Er hatte seinem Vater den Vorschlag unterbreitet, auf besseren Wind zu warten, wurde aber ungestüm, ja beinah jähzornig, zurechtgewiesen.

      Erst später fand er heraus, weshalb.

      Offenbar konnten sie nur wenig Vieh mitnehmen. Sein Vater hatte einen Großteil des Bestandes verkauft, als das Schiff beschafft worden war. Und als sie an dem kühlen Abend am Ufer standen und das Boot für die Abfahrt beluden, begriff er, dass auch einige der Knechte und Sklaven Teil des Handels waren. Zusammen mit seinem eigenen Pferd.

      Die meisten der Frauen sollten ebenfalls nicht mit. Lediglich für drei von ihnen war offenkundig Platz: für ein hässliches, aber vollbusiges und fleißiges Mädchen aus der Gegend von Møre sowie für zwei junge Dunkelhaarige, die sein Vater auf dem Thing im Frühjahr erstanden hatte. Eigentlich passte es Erik gut, wenn es ihn auch ärgerte, dass Unn nicht mitdurfte. Die zwei Dunkelhaarigen hatten bis jetzt noch keine richtigen Namen bekommen und konnten kaum Norwegisch sprechen. Sie waren noch verschreckt und achtsam, und nur selten gab es eine Gelegenheit zu sehen, dass beide sehr schön waren.

      Sein Vater hatte alles ans Ufer beordert. Um die Wette wie ein riesiger Hund kläffend scheuchten er und Ulf Vieh und Mensch an die gewünschte Stelle. Sein Vater hatte Erik Torhal anvertraut und er ließ beide wissen, dass jedes Wort und jeder Schritt ihm im Weg seien.

      Die Sehnsucht nach der Abfahrt war in Erik größer gewesen als seine Unzufriedenheit über das Kläffen des Vaters und den schwachen Fahrwind. Auch nicht der Befehl, an die Ruder zu müssen, konnte seine Begeisterung für das Auslaufen dämpfen. Und auch nicht der Umstand, dass ihm die kleinste Schlafkiste im Mittelschiff zugewiesen wurde, konnte ihn von seinem eifrigen Taumel über die Abfahrt abbringen. An jenem Abend pulsierte die Reise in ihm und das Neue und die Spannung über das Schiff durchströmten ihn.

      Doch genau an diesem Ufer übermannte ihn schließlich der Schmerz. Nur vierzehn Tage vor dem Schiffshandel seines Vaters und ihrer hastigen Abfahrt hatten sie bemerkt, dass Eriks Mutter nicht mehr aufstehen konnte.

      Die schlanke, bleiche Frau konnte sich nicht mehr bewegen. Sie lag ruhig da mit geschlossenen Augen und ihren scharfen Gesichtszügen. Sein Vater unterbrach mehrmals am Tag sein Tun, um nach ihr zu sehen. Alle wussten, wie sehr er sie achtete. Aber auch, dass er sich vor ihren ruhigen, jedoch scharfen Zurechtweisungen in Acht nahm. Als aber dann die Krankheit ausbrach, wirkte er beinah ratlos.

      Sein Vater war mehrere Nächte draußen am großen Stein unterhalb der Felswand gewesen, wo ihn Erik mehrfach mit einer Fackel sah, und wenn er dann endlich zurückgekehrt war, sah er wie eine in Stein gemeißelte, endgültige Niederlage aus.

      Während der gesamten Krankheit seiner Mutter redete er grantig und übertrieben grob, seine Bewegungen waren merkwürdig ungestüm und selbst Ulf bekam sein Fett ab.

      Erik hatte gesehen, wie er bei seiner Mutter gesessen hatte. Er sah, wie sein Vater ihr in die Wangen kniff und ihr Gesicht von einer auf die andere Seite bewegte. Nicht auf eine herzliche Weise. Sondern als wollte er sagen: „Mach das nicht mit mir.“

      Erik zuckte jetzt zusammen, wenn er an den Anblick des großen Mannes zurückdachte, der sich über die bleiche, beinah weiße und völlig erloschene Frau beugte. Verwundert hatte er den Vater beobachtet, der polternd auf den Platz zwischen den Häusern hinaustrat und Ulf ungewohnt ermahnte, sich zu entfernen. Danach hatte sich der Vater an den dicken Ast am Brunnen gelehnt, der seine einzige sichere Stütze in dieser Welt zu sein schien.

      Nachts wurde Erik von einem gellenden Heulen geweckt. Hohe, gequälte Laute stiegen in das dunkle Nichts hinauf. Zunächst glaubte er, es sei der Hund, der vom Vater bestraft wurde. Dann nahm er an, überhaupt nicht wach zu sein. Nachdem er aber sah, wie Torhals Gesicht aus dem Fell herauslugte, wusste er, dass es kein Traum war.

      Torhal blickte seit Tagen bekümmert drein. Schweigsamer und verschlossener als üblich. Aber jetzt saß er stumm da und bedrohlich nahe bei Erik, mit etwas anderem als nur Sorge in seinem Blick. Sah so wahrhaftige Furcht aus?

      Torhal packte ihn am Oberarm und zog ihn beinah aus den Fellen heraus. Draußen hinter dem Haus saßen die zwei dunkelhaarigen Mädchen im Gras und heulten. Zunächst mit dem Kopf zwischen den Knien und dann mit aufgerichtetem Nacken. Das Heulen war inbrünstig und unheimlich. Neben ihnen stand sein Vater. Erik erahnte den Umriss des kahlen Kopfes mit der hohen Stirn und dem mächtigen Bart. Der Anblick hatte nichts Bedrohliches mehr an sich wie noch zuvor am Tag.

      Torhal schob Erik vor sich her, mitten in einen Kreis von Menschen hinein. Sein Vater legte eine Hand auf Eriks Schulter. Das Gewicht der Pranke war überraschend. Bereits die erste Berührung ließ Erik scheu einknicken. Dann verstärkte sich der Druck und die Hand seines Vaters zwang ihn in die Knie. Selbst als er bereits in der Hocke saß, drückte ihn sein Vater weiter nach unten. Er sollte auf die Knie gehen. Erik wollte sich entgegenstemmen, schaffte es jedoch nicht. All dies überraschte ihn. Die Situation


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