Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak

Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak


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Totenfeuer in der Hand von Eriks Vater brannte.

      Sie war weg.

      Erik sank nieder. Erst äußerlich und dann in seinem Inneren. Schließlich tiefer in die Knie. Sein Vater machte auf dem Absatz kehrt, steckte die Fackel in die Erde und steuerte mit festen Schritten auf den Hof zu. Die Leere wurde durch das lange, klagende Heulen der beiden Mädchen erfüllt, die immer noch an der Kante des Grabes kauerten. Torhal legte seine Hand auf Eriks Arm, der mit einem kurzen Zucken reagierte, das sich bis in die Hand fortsetzte.

      Erik ließ den Löffel in die Schale fallen.

      - Erinnerst du dich an das klagende Geheul der Mädchen?

      Eriks Frage entwich seinem Mund fast schleichend, und auch Torhal schien davon völlig überrumpelt zu sein, als er mit staunender Miene in Richtung der Mädchen an der Feuerstelle zeigte.

      - Sie haben seitdem keinen Laut von sich gegeben. Sie sind genauso schweigsam wie du, Erik.

      - Ich meine, erinnerst du dich an ihr Klagen in jener Nacht, als wir meine Mutter begruben?

      Torhal zog seine Hand von Eriks Arm zurück, als hätte er sich daran verbrannt. Seinen Blick richtete er auf das Gras. Anhand des Kummers, der ihm im Nacken hing, konnte man sehen, dass er sich erinnerte. Nur zu gut.

      - Wir haben uns von vielen Dingen in dieser sonderbaren Nacht getrennt.

      Erik wandte sich wieder der Schale zu, dem schweigsamen Torhal und dem Landstück. Er saß da und kratzte den letzten Rest des Breis aus der Schale zusammen. Als alles gesammelt war, setzte er noch ein wenig die Kratzbewegungen fort. Wie um sicher zu sein, alles zusammenzubekommen.

      - Es war nun so, dass wir von unserer norwegischen Heimat und meiner Mutter getrennt wurden. Und uns war damals bestimmt worden, dass die Flucht die Route meines Vaters und die Feigheit seine Fratze prägen sollten, und so ergab es sich, dass du, Torhal, und ich, Erik Thorvaldsson, hier an der Küste Islands festen Boden unter den Füßen haben sollten. Die Zeit wird uns zeigen, ob es in der Absicht des Rotbärtigen lag, dass wir unser Leben auf so magerer Erde fristen sollen.

      - Wenn du weiterhin Schafe ins Meer wirfst, haben wir bald nichts mehr zu essen.

      Erik nahm Torhals ruhige Worte nicht wahr, sondern aß den letzten Löffel voll. Es war schwer zu kauen. Der Wundschorf im Gesicht, die blauen Flecken und der Druck in der Nase waren spürbar. Aber es kam noch schlimmer. Er klopfte leicht mit dem Löffel an die Kante des Holzgefäßes und murmelte vor sich:

      - Du solltest hier ausgesetzt werden, Torhal. Und andere sollten dich von hier fortbringen. Dies hier ist kein Ort. Ich spüre das.

      Erik erhob sich und trottete zu dem erlöschenden Feuer und seinem Vater hinab.

      3

      „Oft fühle ich

      den Verlust der Verwandten,

      ohne Schutz im Rücken

      ist der Bruderlose.

      Daran denke ich,

      wenn Streit entsteht;

      ein Mann hat das Nachsehen.“

      Egil Skallagrimsson

      Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben

      „Ich reiste durch viele fremde Länder

      auf der weiten Welt, Gutes und Böses

      widerfuhr mir dort, weit weg von meinem Stamm

      und meiner Familie, diente ich weit entfernt.

      Daher kann ich singen und berichten

      für die Zuhörer in der Methalle,

      wie mir Männer von prächtigem Geschlecht halfen.“

      Widsith, England

      Im 5. Jahrhundert niedergeschrieben

      Sie waren auf einem der trostlosesten von allen winzigen Grasflecken angekommen. In Eriks Ohren klang es wie geflüsterte, gefährliche Falschheit, als sein Vater diese Grasbüschel als Wiese bezeichnete. Das wenige Vieh und die Schafe, die sie mitgebracht hatten, gingen von Bord und bevölkerten den kleinen Platz. Zumindest gab es festen Boden und Gras. Und zum ersten Mal seit langem lag die kleine Besatzung in warmen Fellen. Ruhend in Torvalds langem, müden Schatten.

      Wenn Erik daran zurückdachte, wie beschwerlich die Reise zu diesem Platz gewesen war, erfüllte ihn Missmut und Unbehagen. Die Knorr seines Vaters war hier einfach nicht willkommen. Sie waren in diesem kargen Land von Fjord zu Fjord gesegelt. Die Witterung war streng. Sie reichte weit in die Hänge hinein. An Land begegneten ihnen die Menschen nicht gastfreundlich, so wie das Meer bei ihrer Abfahrt. Die Gerüchte über all die Möglichkeiten einer Ansiedlung erwiesen sich als weit entfernt von dem, was sie antrafen. Überall, wo das kleine Knorrschiff aus Rogaland hinkam, zeigten die Berge und die Menschen ihnen die kalte Schulter und verwiesen sie wieder auf das Meer.

      Nachdem viele Tage vergangen waren und sich der Winter näherte, breitete sich Unruhe an Bord aus. Bei jedem neuen Fjord und jeder erneuten Zurückweisung wurde Torvald Asvaldsson noch etwas krummer, wie er so über der Ruderpinne hing. Seine Worte hatten ihn beinah vollständig verlassen.

      Der ehemals so kräftige norwegische Großbauer aus Jæren glitt allmählich in seinen Misserfolg ab. Er erteilte nun immer weniger Befehle und kümmerte sich immer weniger um Mensch und Tier. Nach dem schweren Sturm zwischen Hjaltland und den Färöer-Inseln hatte er alle, die sich rührten, tyrannisiert. Alle hatten seine Zunge gefürchtet und hastig jedwede Anweisung ausgeführt. Das leicht beschädigte Schiff hatte bereits nach einem Tag mit ruhigem Herbstwetter wieder seine stolze Erscheinung zurückerhalten. Torvald hatte seinen Platz achtern eingenommen. Mit dem Arm am Steuerruder und dem Hund, der sitzend die weiße Blesse seiner Brust hervorstreckte, strahlte er ein machtvolles Bild aus. Mit Ulf hatte er Gespräche über das Meer und die Stellung der Sonne und des Leitsterns geführt, und sie hatten ihre Beobachtungen gedeutet und die guten Aussichten für die Fahrt berechnet.

      Gemeinsam hatten sie beim Anblick der ersten Lummen und Gryllteisten gejohlt. Sie hatten mit der Aussicht, bald auf Land zu stoßen und festen Grund unter die Sohlen zu bekommen, ein langes Horn mit Bier geleert. Nun lag der Hund achtern mit der Schnauze zwischen seinen Pfoten und wirkte, als habe er alle Prügel eines Lebens auf einmal bekommen. Unter den Menschen wurde geflüstert, dass die Färöer-Inseln das letzte Land gewesen wäre, das sie gesehen hätten, hätte nicht Erik dem Rotbärtigen das Lamm geopfert.

      Das schwere Unwetter südöstlich von Island war eine erste Warnung gewesen. Es hatte drei heulende Tage lang gedauert und das Schiff beinah zur Auflösung gebracht. Es waren ausschließlich die immer noch herrschende Beklommenheit über die Begegnung mit dem mächtigen Walfisch dicht an der Schiffsseite und das Opfer, das Erik anschließend gebracht hatte, die den restlichen Mut zusammenhielten.

      Es wurde aber auch gemunkelt, dass das Glück auf Torvald Asvaldssons Seite stand. Und darüber, wie es dazu kommen konnte. Alle wussten von seinem Streit auf dem Thing in Rogaland, jedoch konnte keiner sagen, was ihn im Grunde ausgelöst hatte oder worum sich das Ganze drehte. Nichts war darüber ans Tageslicht gedrungen.

      Allen war klar, dass Ulf Bescheid wusste, doch keiner hoffte darauf, dass er dazu etwas sagen würde. Zu sehr war er mit Torvald eins. Und während auf diese Weise der Abstand zwischen den Worten an Bord immer größer wurde, so vergrößerte sich auch der Abstand zwischen den einzelnen Gehöften an Land immer mehr.

      Das erste Fleckchen Land, das sie von Island sahen, ließ sie mit unbehaglichem Gefühl zurück. Es war ein zerklüftetes und verwittertes Land. Völlig ohne die grünen Berghänge aus Jæren. Versprengte Ansammlungen verkrüppelter Bäume wurden überall von sandigen und steinigen Flächen unterbrochen, hinter denen sich feindselige Berge erhoben. Und dahinter lag noch eine riesige Eiskappe, die sich bis zur Wasserkante erstreckte.

      Sie hatten bereits einige Plätze im Land aufgesucht. Viele ließen sie mit großen Augen und wortkarg zurück. Sie sprachen über Trolle in dieser Landschaft. Darüber, dass das Land mit dem Erbrochenen mächtiger


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