Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak

Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak


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war er vom fortdauernden Heulen der beiden Mädchen verwirrt, die immer noch knieten und ihre Köpfe vor und zurück bewegten.

      Der bedrängende Griff seines Vaters ließ nach. Erik drehte seinen Kopf halb, sah in den dunklen Bart hinein und begegnete den aufgerissenen, leeren Augen. Die Hand seines Vaters kam zurück, packte fest seine Haare und zwang sein Gesicht hinunter.

      Die Stimme seines Vaters klang wie das Echo von schweren, rollenden Steinen.

      - Deine Mutter ist tot. Tot. Verstehst du?

      Das konnte Erik nicht.

      Die ganze Mischung aus Menschen, Geheule, Nacht, Sternen, Wind, dem Feuerschein hinter dem Hof, der Hand in seinem Haar und dem Schmerz des Griffs ließen selbst den Atemzug unwirklich erscheinen. Sein Vater stand mit seinen Füßen vor einem zusammengeschnürten Kleiderbündel.

      - Sie ist tot.

      Dieses neuerliche Echo verhallte in Eriks Ohren, doch plötzlich brach die Erkenntnis über ihn herein. Er stürzte sich vornüber auf das Bündel und ein kurzer, klagender Laut bahnte sich seinen Weg durch ihn. Weckte seinen verstörten Blick.

      Hitzig durchwühlten seine Hände das Kleiderbündel. Er riss und rieb am Stoff. Er wollte ihn sehen. Den Tod. So, als ob dieser Anblick das Einzige wäre, was ihm Gewissheit auf Erden bescherte. Als würde sie wieder lebendig, wenn er sie nur sehen könnte.

      Die Hand seines Vaters an seiner Schulter hinderte ihn.

      - Sie ist tot. Sie muss unter die Erde.

      Die viel zu knappen Worte, der klanglose Tonfall, der Druck der Hand und der Hohn in den Zehenspitzen trafen ihn wie eisiger Frost. Durch seine geweiteten Nasenlöcher nahm er die Nachricht auf und atmete zugleich heftig ein. Mit dem nächsten Atemzug stand er auf, warf sein langes, rotes Haar zurück und drehte sich mit seinen pochenden Schläfen zu seinem Vater um.

      Es war ein ungleiches Aufeinandertreffen.

      Mit der Rückseite der breiten Pranke warf der Vater seinen Sohn ins Gras. Stieg über ihn und setzte einen Fuß auf dessen Schulter.

      - Jeder von uns wird sterben. Aber für heute Nacht ist ein Toter genug.

      Sein Vater zitterte, während er redete und die Wangen vibrierten von den heftigen Bewegungen. Mit jedem gesprochenen Wort beugte er sich tiefer zu Erik hinab. Und mit jedem Wort, das er sagte, wurde das Geheul der beiden Mädchen schwächer und schwächer. Schließlich war von ihnen nur noch ein Hicksen zu vernehmen.

      Die Stimme seines Vaters erlangte wieder Fassung und folgte nun den Bewegungen des Windes.

      - Deine Mutter ist tot. Sie muss nun unter die Erde und zwar heute Nacht. Du bist ihr einziger Sohn und trägst sie an meiner Seite.

      - Ich will sie sehen. Ich will sehen, was du gemacht hast.

      Erik pfiff hysterisch durch seine zusammengepressten Zähne und kämpfte darum, aufzustehen. Nervös näherte sich Torhal und kniete bemüht unterwürfig vor Torvald Asvaldsson. Er kannte seinen Herrn und wusste nur zu gut, wann es ratsam war, sich auf Abstand zu halten. Dennoch war Eriks Verzweiflung zu viel für ihn.

      Der Fuß seines Vaters auf seiner Schulter und Torhals Hände an seinem Kopf wirkten nachträglich beruhigend auf Erik. Langsam ließ er den angespannten Körper ins Gras sinken. Dort lag er mit tiefen Atemzügen, weit geöffneten Augen und blickte hinauf in die Nacht. Das Meeresrauschen vom Ufer erreichte ihn wieder und die Klagelaute der Mädchen nahmen an Intensität zu.

      Sein Vater hatte sich entfernt. Er kniete neben der verhüllten Leiche. Ordnete ruhig die vielen Stofflagen. Danach legte er eine flache Hand auf die höchste Stelle des Stoffbündels. So blieb er kurz sitzen, während das Weinen der Mädchen wieder begann. Er erhob sich und holte ein Trinkhorn, das er mit Bier füllte. Mit grimmigen Zügen stürzte er den gesamten Inhalt in seinen Bart hinab. Wischte sich über den Mund und füllte das Horn von neuem. Mit dem Trinkhorn ging er zu Erik und bot stehend seinem daliegenden Sohn an, davon zu trinken.

      - Warum muss sie bereits heute Nacht begraben werden?

      Eriks Frage war von Anklage erfüllt. Er schaute über das Horn auf seinen Vater, wartete aber nicht auf eine Antwort, bevor er zu trinken begann.

      - Hier vermodert sie. Wir sind weit vom Frieden entfernt, mit wenig Unterstützung bei weiterem Unheil. Bald brechen wir alle auf. Das ist notwendig und vom Rotbärtigen bestimmt. Ich weiß es von den Balken des Hochsitzes.

      Sein Vater machte eine kurze Pause. Dann griff er nach dem Horn und setzte fort:

      - Sie hätte ebenso für jeden von uns diese Reise durch die Erde zu den Sternen hinauf gewählt, wären wir krank gewesen.

      Erik lauschte schweigsam. Es war lange her, dass sein Vater so viel auf einmal gesprochen hatte, und überrascht über das Gesagte blieb er nachdenklich zurück.

      Aber in seiner Schläfe pochte ein Gedanke im Takt mit seinem Pulsschlag.

      - Sie wollte einfach nicht mit aufbrechen. Sie wollte einfach nicht weg aus Jæren. Gewiss wäre sie noch am Leben, wären nicht der dunkle Mann und seine Eile gewesen. Torvald Asvaldsson. Mein Vater.

      Erik sagte immer noch nichts, blickte aber dem unmerklichen Hinweis seines Vaters folgend wieder auf das Stoffbündel. Sie griffen jeder eine Seite und hoben es hoch. So standen sie sich gegenüber. Sein Vater trug es am höchsten, aber die Bürde war augenscheinlich für Erik am größten. Der gesamte Hof mit seinen Tieren, Gebäuden und Sklaven lag in der Stille der Nacht. Eine angsterfüllte Luft stand abwartend still zwischen den beiden, die ein erschlafftes Bündel Stoff mit eingewickelten, vergessenen Erinnerungen trugen.

      Sie sahen aus wie drei ineinander verwickelte Teile, die zu ein und derselben düsteren Gestalt gehörten.

      Zusammen verschwanden sie in der Dunkelheit hinter den Gebäuden und gingen hinauf zum großen Stein unterhalb des Berges. Erik keuchte von der Pein, der Anstrengung und den Erinnerungen, als sie die tote Frau über den Hof trugen. Ihnen folgte eine dunkle, klagende und stille Schar von Zuschauern.

      Das Loch war bereits ausgehoben und der große Stein, der darüber gerollt werden sollte, lag daneben. Auf dem Boden des Erdlochs lag eine mit fein gewebtem, rotem Stoff ausgekleidete Holzkiste.

      Mit einem kraftvollen Schwenk löste sich der Vater von seinem Sohn. Erik folgte ihm und ließ seine Mutter los. Flink wie ein Marder, der in einer Felsspalte verschwindet, ließ sich sein Vater über den Rand in das Erdloch hinabgleiten und kam mit seiner Frau in den Armen neben der Kiste zum Stehen. Erik schaute kurz in nördliche Richtung in das Grab hinunter. Dann kniete er nieder und legte ruhig, beinah sorgfältig das Kleiderbündel in die Kiste.

      Der mächtige Kerl saß einen Augenblick an der Kante und murmelte einige Worte, die Erik nicht kannte. Aus seinem Gewandärmel zog er die Schlüssel seiner Frau, eine große, glänzende Goldfibel, die Erik noch nie zuvor gesehen hatte, sowie ein Stück Holz, das Erik als das geliebte Webschiffchen seiner Mutter wiedererkannte. Dann erhob er sich und begegnete Eriks Blick. So standen sie für einen Moment da, als seien sie durch einen dünnen Faden miteinander verbunden, so wie man es bei Menschen findet, die sich seit langem kennen.

      Der Faden riss, als sein Vater, begleitet vom Klagen der Frauen, sich auf die Kante des Erdlochs schwang und mit hastigen Schritten hinter den Steinhaufen steuerte. Er kniete im Dunkeln und Erik glaubte, das Schlagen eines Feuereisens zu hören, das auf das Bildnis des Rotbärtigen traf. Als sich die Flamme entzündete, erhob sich sein Vater und umkreiste murmelnd das Erdloch, während er die Fackel hin und her schwenkte. Es wirkte, als wollte er alles Lebendige fortwedeln.

      Auf ein unsichtbares Zeichen hin ging Ulf zum Rand des Lochs und warf Erde auf die tote Frau hinab. Erik fuhr zusammen, aber Torhal hielt ihn zurück. Ulf schüttete noch mehr Erde hinunter, während sein Vater dastand mit der erhobenen Fackel und dem flackernden Widerschein auf seinem geschlossenen Gesicht, das einem Felsen glich.

      Nun wurden Steine hineingerollt und fleißige Hände schütteten weitere Erde hinein. Die dunkelhaarigen Frauen heulten und das Mädchen aus Møre klopfte mit ihren groben Händen auf


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