Die Clans der Wildnis - Amisha. Delia Golz
gleichzeitig frage, was für Nachteile er dadurch hätte. An seinem nervösen Gesichtsausdruck und dem beständigen Nähern der Stimmen kann ich erkennen, dass wir nicht mehr lange unentdeckt bleiben werden.
Wenige Schritte von uns entfernt bleiben die Sklavenhändler scheinbar stehen.
»Wer ist da?«, ruft eine barsche Männerstimme.
Mein Entführer seufzt leise und klettert dann aus unserem Versteck. Ich hingegen ducke mich noch weiter hinein, auch wenn es wohl nicht lange etwas bringen wird.
»Tyron, was machst du denn hier?«, ruft die Männerstimme überrascht. Obwohl ich vor Angst wie gelähmt bin, triumphiert ein kleiner Teil in mir, dass ich nun endlich seinen Namen kenne.
»Ich bin auf einer Mission von Morigan«, erwidert mein Entführer mit kühler Stimme. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass er versucht, die Sklavenhändler loszuwerden.
»Ist da noch jemand?«, fragt dann jedoch eine neue Stimme und im nächsten Moment höre ich Schritte, die sich meinem Versteck nähern. Vorsichtig blicke ich nach oben und schaue geradewegs in das Gesicht eines hageren Mannes mit rattenähnlichen Zügen. Als er mich erblickt, verzieht sich sein Mund zu einem Grinsen, wodurch zwei lange, gelbliche Schneidezähne entblößt werden.
»Wen haben wir denn hier?«, fragt er mit schleimiger Stimme und greift nach meinem Arm. Im nächsten Moment wird der Mann jedoch grob zur Seite gestoßen.
»Sie ist meine Gefangene«, höre ich Tyrons finstere Stimme.
»Ihr rührt sie nicht an.« Er zieht mich aus der Mulde hinaus und stellt sich schützend vor mich. »Sie ist eine wertvolle Geisel und es ist meine Aufgabe, sie unversehrt zu Morigan zu bringen.« Ich starre ihn überrascht an. Er hat gerade eindeutig zu meinen Gunsten gelogen.
Ich sehe, dass Tyron merklich zusammenzuckt, als sich ein weiterer Mann dazu gesellt. Er hat rotblonde Haare, schneeweiße Haut und hellgrüne Augen. Mir wird klar, dass er wie ein Mitglied vom Clan des weißen Hirsches aussieht und vermutlich zu den Anhängern Morigans gehört. »Tyron, was für eine Überraschung, dich hier zu sehen.« Seine Stimme klingt so eisig, dass sich trotz der heißen Luft um uns herum eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitet. »Solltest du nicht eigentlich einer anderen Tätigkeit nachgehen?«
Mein Entführer schweigt eine Weile und ich kann sehen, wie sich seine Hände zu Fäusten ballen.
»Ich habe meine Aufgabe bereits erledigt und die Gelegenheit, das Mädchen als Geisel zu nehmen, war zu günstig, um sie zu ignorieren.«
Lange Zeit blicken sich die beiden Männer bloß mit unbe-wegter Miene an und es kommt mir vor wie ein stilles Kräfte-messen. Schließlich nickt der fremde Mann, wenn auch mit wenig Überzeugung, und wendet sich wieder den Sklavenhändlern zu. »Wir begleiten die beiden eine Weile. Schließlich müssen wir erstmal in die gleiche Richtung.« Tyron scheint mit diesem Beschluss nicht zufrieden zu sein und ich danke ihm im Stillen dafür.
»Wohin seid ihr unterwegs?«, fragt er.
»In die nächste Stadt an der Grenze zu Morigans Revier«, antwortet das Rattengesicht und sein Blick wandert wieder zu mir. Ein gieriger Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht und ich mache unwillkürlich einen Schritt zurück. »Das heißt, wir bleiben bis morgen in eurer Gesellschaft«, fügt er an mich gewandt mit einem widerlichen Unterton in der Stimme hinzu.
Für einen Moment kommt es mir so vor, als würde Tyron sich nur mit Mühe verkneifen, auf den Mann loszugehen, doch schließlich zuckt er nur desinteressiert mit den Schultern.
»Dann lasst uns den Weg fortsetzen.«
Er geht am Ende der Gruppe, die etwa aus einem Dutzend Männern besteht und zieht mich hinter sich her. Hin und wieder dreht sich einer der Sklavenhändler zu uns und wirft mir anzügliche Blicke zu. Der Clankamerad von Tyron hingegen mustert uns mit zusammengekniffenen Augen und scheint zu versuchen, die Lage einzuschätzen. Ich bin mir sicher, dass er Tyrons Lüge nicht glaubt und nur darauf wartet, dass dieser einen Fehler macht. Darum gebe ich mir die größte Mühe, einen leidenden Gesichtsausdruck aufzusetzen, der darauf schließen lässt, dass Tyron mich nicht gut behandelt. Er wiederum hat einen selbstgefälligen Blick aufgesetzt und zerrt mich noch unsanfter hinter sich her als sonst.
Die Stimmung ist drückend und lässt mich noch unwohler fühlen als ohnehin schon. Es gibt so viele Fragen, die mir auf der Zunge brennen, die ich in der Anwesenheit der Sklavenhändler jedoch nicht ansprechen kann.
So geht es den ganzen Tag weiter, bis meine Füße völlig wund gelaufen sind, denn wir haben keine einzige Pause gemacht. Die Sklavenhändler hingegen wechselten sich damit ab, ein Nickerchen auf dem Karren zu halten, der von einem gewaltigen Pferd neben uns hergezogen wird.
Irgendwann fallen mir vor Müdigkeit die Augen zu und ich muss meine ganze Kraft aufwenden, um nicht im Gehen einzuschlafen.
»Die Kleine braucht Schlaf«, höre ich schließlich Tyron mit barscher Stimme sagen. »Ich habe keine Lust, sie die ganze Nacht hinter mir her zu ziehen.«
Die Gruppe bleibt stehen und begutachtet mich argwöhnisch. Vor allem der Blick des anderen Unsterblichen gefällt mir nicht. »Dann gewähren wir ihr ein paar Stunden«, sagt dieser schließlich und beäugt mich finster.
»Ich werde sie im Auge behalten«, meldet sich Tyron zu Wort und zerrt mich dann unsanft zum Karren.
Ich klettere mit meinen letzten Kräften hinein und lasse mich erschöpft in die stinkenden Decken fallen. Doch mir ist es mittlerweile egal, worauf ich liege, solange ich mich endlich ausruhen kann.
Am Rande bekomme ich mit, wie Tyron ebenfalls in den Karren steigt und sich dicht neben mich hinsetzt. Obwohl ich mich bereits im Halbschlaf befinde, breitet sich ein gleichzeitig wohliges und nervösen Gefühl in mir aus. Auch wenn ich die Augen geschlossen habe, kann ich noch lange Zeit seinen Blick auf mir spüren.
KAPITEL 5
Ich werde von einem starken Holpern geweckt und öffne sofort alarmiert die Augen.
»Das war bloß ein Stein«, antwortet Tyron mit leiser Stimme und blickt mich mit blitzenden Augen aus der Dunkelheit an.
»Die Sklavenhändler wollen dich nicht mehr lange schlafen lassen, also nutze die Zeit besser aus.«
Ich nicke matt und drehe mich auf die andere Seite. Doch ich schaffe es nicht mehr, erneut einzuschlafen.
»Ich kenne jetzt deinen Namen«, durchbreche ich lächelnd die Stille.
Tyron antwortet eine Weile nicht und ich befürchte, ihn wütend gemacht zu haben.
»Das wird dir nur leider nichts nützen«, antwortet er schließlich mit emotionsloser Stimme.
»Ich heiße Amisha.« Mein Lächeln hat sich in ein breites Grinsen verwandelt. »Es ist schließlich nur gerecht, wenn du als Entführer den Namen deiner Geisel kennst.«
»Vielen Dank, das weiß ich sehr zu schätzen«, erwidert er sarkastisch und ich kann hören, wie er sich auf seinem Platz bewegt. Ich kann wieder seinen Blick auf mir spüren und drehe mich in seine Richtung. Er schaut mich mit unergründlicher Miene an und diesmal bin ich die erste, die den Blick abwendet.
»Du bist wirklich ein seltsamer Mensch«, sagt er schließlich und dreht sich dann wieder von mir weg.
Ich spüre, wie ich erröte, und bin froh, dass es noch immer dunkel ist. Gleichzeitig frage ich mich, ob Tyron als Unsterblicher die Eigenschaft hat, auch in der Nacht ohne Schwierigkeiten sehen zu können. Das wichtigste ist jedoch, dass er nicht meine Gedanken lesen kann, denn die drehen sich im Moment nur um ihn.
Ich versuche verzweifelt, an etwas anderes zu denken und einen klaren Kopf für einen Fluchtplan zu bekommen. Auf gar keinen Fall darf ich die Tatsache vergessen, dass Tyron dabei ist, mich zum größten Feind aller vier Clans zu bringen. Nur mit großem Glück würde ich dort lebend wieder herauskommen.