Die Clans der Wildnis - Amisha. Delia Golz

Die Clans der Wildnis - Amisha - Delia Golz


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einen Moment fallen wir in ein unbehagliches Schweigen, also beschließe ich, mich von ihm zu verabschieden.

      »Ich muss los«, sage ich verlegen und verschwinde schnell zwischen den Zelten, ehe er mir noch mehr Fragen über meine Herkunft stellen kann. Dabei stoße ich mit Nevya zusammen, die mit vor Weinen geröteten Gesicht in Richtung des Waldes läuft.

      »Was ist passiert?«, frage ich schockiert und nehme sie schnell in den Arm.

      »Nicht hier«, antwortet sie mit gebrochener Stimme und zieht mich zwischen die hohen Bäume.

      Erst als wir uns weit von dem Lager entfernt haben, lässt sie sich gegen einen Baumstamm sinken und beginnt stockend zu erzählen.

      »Zuerst lief alles gut. Wir haben wie geplant vorgeschlagen, wie man gegen den Leopardenmörder am besten vorgeht und ich konnte gute Argumente einbringen. Aber irgendwann kamen wir auf andere Themen zu sprechen.« Sie fällt wieder in ein ungehaltenes Schluchzen und ich lege ihr beruhigend meine Hand auf die Schulter. »Wusstest du, dass der Clan des weißen Hirsches schon seit Jahrzehnten keinen richtigen Schamanen mehr hat?«, fragt sie mich nach einer Weile und wischt sich die Tränen weg. Verwirrt schüttele ich den Kopf. »Wie kann das sein? Außerdem habe ich ihn doch gesehen.«

      »Die eigentliche Schamanin wird schon sehr lange von Morigan gefangen und am Leben gehalten, damit kein vollwertiger Nachfolger bestimmt werden kann. Dadurch ist der Clan des weißen Hirsches geschwächt, da keine Nachfahren die Magie ausüben können.«

      »Das ist furchtbar«, sage ich schockiert. »Aber warum nimmt dich das so sehr mit?«

      »Weil das der wahre Grund ist, warum ich überhaupt existiere. Es wurde gehofft, dass durch die Verbindung zwischen meinem Vater und einer Frau vom Clan des weißen Hirsches ein Kind zur Welt kommt, welches die Magie des Schamanen und das Krafttier der Mutter erbt. Also bin ich eine Enttäuschung für alle Clans.«

      Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was sie gerade erzählt hat und muss lange grübeln, um die richtigen Worte zu finden.

      »Ich bin mir sicher, dass niemand dich als eine Enttäuschung sieht. Schließlich hat dein Vater außer dir keine Nachfahren, also bist du auch für den Clan des schnellen Leoparden sehr wichtig.«

      Zuerst stockt Nevya kurz, doch dann bringt sie endlich ein leichtes Lächeln zustande.

      »Du hast wohl recht.« Ihre Stimme klingt wieder klarer und mit einer energischen Bewegung wischt sie sich die Tränen weg. »War das denn der einzige Versuch, einen Nachfolger für die entführte Schamanin zu zeugen?«, frage ich vorsichtig.

      »Nein, es wurde sogar noch viele Male versucht«, erwidert meine Freundin nachdenklich. »Doch kein einziges Kind hat den weißen Hirsch als Krafttier geerbt. Mittlerweile sind die Räte sich sicher, dass es kein Zufall ist. Doch leider scheitert auch jeder Versuch, die entführte Schamanin zu befreien oder zumindest zu töten.« »Warum sollte man sie töten wollen?«, frage ich entsetzt.

      Nevya blickt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und erst jetzt fällt mir die offensichtliche Antwort ein. Nur dann könnte endlich ein vollwertiger Nachfolger des Clans gewählt werden

      »Das wäre dann das erste Mal seit Jahrhunderten, dass ein Nachfolger gewählt wird, der keinerlei Bezug zu Magie hat«, stelle ich erstaunt fest. »Die Zeremonie soll sehr kompliziert und gefährlich sein.«

      Nevya nickt mit finsterer Miene. »Aber dem Clan des weißen Hirsches bleibt keine andere Wahl. Obwohl er von den anderen Clans unterstützt wird, hat er die größten Probleme mit Morigan und seinen verbündeten Sklavenhändlern.«

      Wut brodelt in mir hoch. »Werden auch dort Krafttiere getötet?«

      »In jedem Clan«, sagt Nevya nach kurzem Zögern und blickt mich besorgt an, als ich aufspringe und die Hände zu Fäusten balle.

      »Wir müssen etwas unternehmen«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Und zwar jeder von uns.«

      Meine Freundin blickt mich erschrocken an, als ihr klar wird, was ich damit meine. »Das ist eine Sache für die Krieger. Für uns wäre es viel zu gefährlich.« Ich atme tief durch und erzähle ihr dann von dem Vorfall in der vergangenen Nacht. Als ich fertig bin, blickt sie mich mit weit aufgerissenen Augen an.

      »Versprich mir, dass du so etwas nie wieder machst«, sagt sie atemlos. »Du musst niemandem was beweisen!«

      »Doch, dass muss ich leider«, gebe ich kaum hörbar zurück.

      An Nevyas Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass sie mir nicht mehr widersprechen kann.

      »Dann versprich mir wenigstens, dass du nicht mehr allein gehst«, sagt sie schließlich mit fester Stimme. »Ich werde noch mehr üben, um dir mit meinen magischen Fähigkeiten zur Seite stehen zu können.«

      Ich bin hin und hergerissen, ob ich sie wirklich mit in die Sache hineinziehen möchte, aber muss mir schließlich eingestehen, dass sie recht hat.

      »Na gut«, sage ich. »Aber ich möchte nicht allzu lange warten. Ich kann dieses Gefühl nicht ausstehen, tatenlos zu bleiben.« »Dann habe ich endlich einen richtigen Ansporn«, sagt Nevya mit entschlossenem Gesichtsausdruck. »Vielleicht ist es genau das, was mir bisher gefehlt hat.«

      Ich umarme sie dankbar und mir wird klar, dass es eine große Erleichterung ist, jemanden an meiner Seite zu wissen.

      Die folgenden Tage verbringe ich hauptsächlich damit, Nevya beim Training zu helfen und auch meine eigenen Fertigkeiten zu verbessern. Zwischendurch leistet uns auch Kyan Gesellschaft und ich bemerke mit Freude, dass vor allem zwischen ihm und Nevya eine enge Bindung entsteht.

      Bald schon reisen die anderen Clans wieder ab, doch Kyan gibt uns das Versprechen, uns so oft wie möglich zu besuchen.

      Seitdem trainiert meine Freundin noch verbissener und als sich der Winter langsam dem Ende entgegenneigt, hat sie deutliche Fortschritte gemacht. »Das war unglaublich!«, rufe ich begeistert, als sie einen Stein mit ihrer Magie blitzschnell gegen einen Baumstamm krachen lässt. Zufrieden betrachten wir die tiefe Mulde, die durch den Einschlag entstanden ist.

      Plötzlich kommt mir eine Idee. »Was hältst du davon, wenn wir unsere Waffen kombinieren?«, frage ich geheimnisvoll und zücke eines meiner Wurfmesser. Nevya versteht sofort und ihr Gesicht fängt an zu strahlen. »Lass es uns sofort versuchen«, sagt sie begeistert und geht in eine konzentrierte Stellung.

      Ich mache es ihr grinsend nach und fixiere dann den Punkt in der Mitte der Zielscheibe, an der ich schon den ganzen Tag geübt habe. Dann lasse ich das Messer losschnellen, während Nevya eine rasche Handbewegung macht. Mit einem lauten Krachen schlägt das Messer ein und spaltet die hölzerne Zielscheibe in zwei Teile.

      Begeistert tauschen wir einen Blick. Wir sind uns sicher, dass wir nun so weit sind. Mit dieser Waffe könnten wir es sogar mit einem Unsterblichen aufnehmen.

      KAPITEL 4

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      Nachdenklich wühle ich in meiner Kleidertruhe, während Luan neben mir mit einem meiner Schuhe spielt. Seine Wunden sind fast vollständig verheilt und mir wird bewusst, dass es schon bald Zeit wird, ihn wieder in die Wildnis zu entlassen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass er ein gutes Stück gewachsen ist und einen Bewegungsdrang hat, den er in unserer Hütte nicht mehr stillen kann.

      Schließlich habe ich die Kleidung für die kommende Nacht zusammengestellt: eine kurzärmelige Tunika, darüber ein ledernes Wams, sowie eine lange Hose und Stiefel, die bis zu meinen Knien reichen. Doch das wichtigste ist, dass die Klamotten vollkommen schwarz sind. Dadurch würde ich in der Dunkelheit perfekt getarnt sein und ich habe Nevya empfohlen, es mir gleichzutun.

      Nachdenklich streiche ich über Luans Fell, welches dabei ist, den kindlichen Flaum zu verlieren. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, ihn mit auf die geplante Patrouille zu nehmen, doch dann musste ich mir eingestehen, dass es viel zu gefährlich für ihn wäre. Dennoch wäre seine Anwesenheit sehr hilfreich, da


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