Die Clans der Wildnis - Amisha. Delia Golz

Die Clans der Wildnis - Amisha - Delia Golz


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sein zu dürfen. Sie ist beim Clan des weißen Hirsches aufgewachsen und hat mir schon viel über das Leben dort erzählt.

      Als mir der Grund wieder einfällt, weshalb wir in das Hauptla-

      ger gekommen sind, zupfe ich Nevya zaghaft an ihrem Ärmel.

      »Ich störe zwar nur ungern, aber wir hatten doch etwas vor.«

      Widerwillig löst sie sich von ihrer Mutter und folgt mir zu einem Zelt an den Rand der Feuerstelle. Wir entdecken die Anführerin wenige Schritte von ihrem Zelt entfernt, wo sie gerade mit dem Schamanen vom Clan des großen Adlers redet.

      Als wir sie unterbrechen, blickt sie uns leicht genervt an.

      »Ich befinde mich gerade in einem Gespräch. Ist es sehr wichtig?« Wir nicken verlegen und so wendet sie sich seufzend von ihrem Gegenüber ab. Dann bedeutet sie uns, ihr in das Zelt zu folgen. Drinnen riecht es angenehm nach den verschiedensten Gewürzen und der seidige orangene Stoff bewegt sich leicht im Wind. »Nun, was habt ihr denn so Wichtiges zu erzählen?«

      Nachdem wir uns auf die bunten Sitzkissen gesetzt haben, beginne ich, von dem Vorfall mit Luan zu berichten. Die Augen der Anführerin glänzen interessiert und zwischendurch schweift ihr Blick immer wieder abwesend in die Ferne.

      Als ich geendet habe, seufzt sie niedergeschlagen. »Die Situation wird immer ernster. Wie gut, dass ich mich morgen mit den Räten darüber austauschen kann.«

      Sie beugt sich vor und blickt mich prüfend an. Ich habe Mühe, dem Blick aus ihren dunkelbraunen Augen Stand zu halten. »Ist der Leopard bei dir gut versorgt?«

      Ich nicke und mein Herz klopft wie wild. Ich rechne damit, dass sie jeden Moment die Worte aussprechen wird, vor denen ich mich so fürchte. Dass Luan im Lager besser aufgehoben ist und nicht mehr bei mir bleiben darf. »Ich werde mir heute Abend ein Bild davon machen«, sagt sie jedoch nur und neue Hoffnung keimt in mir auf.

      KAPITEL 3

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      Es dämmert bereits, als ich den Pfad zu unserem Dorf entlanghaste und ich blicke auch nicht auf, als mir eine Gruppe von Kriegern aus verschiedenen Clans entgegenkommt. Bis die Sonne untergegangen ist muss ich unsere Hütte aufgeräumt und geputzt haben, damit die Anführerin kein schlechtes Bild von uns bekommt. Meine Eltern wissen noch nicht von dem hohen Besuch, der uns erwartet, und ich kann mir schon ihre entsetzten Gesichter vorstellen, wenn sie davon erfahren. Durch den Wirbel um Luan und dem bevorstehenden Ratstreffen hatten wir keine Zeit, um uns um Ordnung zu kümmern.

      Atemlos stürme ich durch die Tür und halte inne, als ich sehe, dass die Anführerin bereits am Tisch zusammen mit meinen Eltern sitzt. Sofort werde ich hochrot und ärgere mich darüber, noch so lange Zeit im Hauptlager verbracht zu haben.

      »Es tut mir leid«, stammele ich und lasse meinen Blick schuldbewusst über die nur notdürftig beseitigte Unordnung schweifen.

      Erst jetzt sehe ich, dass Luan auf dem Schoß der Anführerin sitzt und sich eng an ihren Bauch geschmiegt hat. Mir schnürt

      es die Kehle zu, als ich mich frage, ob sie ihn nun doch mitnehmen wird. »Setz dich doch, Amisha«, sagt meine Mutter mit undurchschaubarer Miene und deutet auf den Stuhl neben sich.

      Zögernd streife ich mir die dreckigen Stiefel ab und folge ihrer Anweisung.

      »Wir haben uns darüber beraten, wie wir wegen dem Leoparden weiter vorgehen«, sagt die Anführerin ohne Umschweife und nickt dann meinen Eltern zu.

      Mein Vater räuspert sich verlegen. »Zuerst haben wir überlegt, dass es wohl besser wäre, wenn er wegen seiner Verletzungen von dem Schamanen versorgt wird.« Als er mein niedergeschlagenes Gesicht sieht, lächelt er mir aufmunternd zu. »Allerdings sehen die Wunden nicht mehr lebensbedrohlich aus. Also wird es wohl ausreichen, wenn der Schamane einmal am Tag hier vorbeikommt.« Freudiger Jubel bricht in mir aus und ich blicke begeistert zu Luan, den die Anführerin zwischenzeitlich auf den Boden abgesetzt hat.

      »Allerdings gilt die Vereinbarung, dass du ihn in die Wildnis zurückbringst, sobald er wieder genesen ist«, sagt sie mit einem strengen Gesichtsausdruck, der keine Widerrede zulässt. Dann steht sie mit einer eleganten Bewegung auf und schreitet majestätisch zur Tür.

      »Leider kann ich nicht länger bleiben, da durch unseren Besuch viel Arbeit ansteht. Aber ich bin mir sicher, dass der Leopard bei euch gut aufgehoben ist.« Mit den Worten nickt sie uns ein letztes Mal zu, ehe sie unsere Hütte verlässt.

      Nachts wache ich schweißgebadet auf und versuche, mich an den Alptraum zu erinnern, der mich so aufwühlt. Er ist mir jedoch entglitten und lässt nur noch ein kaltes Gefühl in mir zurück. Als ich merke, dass ich nicht mehr einschlafen kann, tappe ich barfuß die Leiter hinunter und setze mich zu Luan.

      Er ist wie ich hellwach und seine goldenen Augen leuchten im schwachen Mondlicht, das durch das Fenster fällt. Sein Blick scheint mir etwas mitteilen zu wollen und so lege ich instinktiv meine Hand auf seinen Kopf.

      Sofort erscheinen wirre Bilder vor meinen Augen, eine dunkle Gestalt, die sich mit einem schwarzen Messer über mich beugt. Dann ein greller Schmerz und ein Schrei, der aus meiner Kehle dringt.

      Keuchend ziehe ich die Hand von Luan weg und lausche in die Stille, ob ich jemanden geweckt habe. Dann wird mir jedoch klar, dass der Schrei nur Teil der Vision war. Ich habe den Angriff auf Luan wieder erlebt, doch diesmal durch seine Augen.

      »Warum zeigst du mir das?«, murmele ich nachdenklich.

      »Keine Sorge, wir werden die Sache nicht vergessen. Schon morgen wird darüber beraten, was zu tun ist.«

      Doch Luan blickt mich noch immer abwartend an und plötzlich weiß ich, was zu tun ist. »Du hast Recht, schon diese Nacht könnte es wieder passieren.«

      Entschlossen ziehe ich mir etwas über, stecke die Wurfmesser ein und ergreife dann nach kurzem Zögern das Schwert meines Vaters, welches vergessen in einer Ecke vor sich hin staubt. So leise wie es geht schließe ich die Tür hinter mir und genieße einen Augenblick lang die kühle Nachtluft in meinem Gesicht.

      Schon bald fange ich an zu frösteln, doch ich laufe trotzdem entschlossen den Pfad entlang, der mich in den Wald führt.

      Zum Glück scheint der Mond groß und rund am Himmel, sodass ich keine große Mühe habe, etwas zu erkennen.

      Als ich die ersten Schritte in den Wald hinein mache, fühle ich mich sofort von der Außenwelt abgeschnitten, doch ich genieße dieses Gefühl, der einzige Mensch weit und breit zu sein. All meine Sinne sind geschärft und bei jedem kleinsten Knacken im Unterholz greife ich instinktiv zu den Messern.

      Das Schwert habe ich schon völlig vergessen und ich bin mir ohnehin nicht sicher, ob ich mich damit verteidigen könnte.

      Mein Vater hat schon häufig versucht, mir die Schwertkunst beizubringen, doch er ist kläglich darin gescheitert.

      Auf einmal halte ich inne. Unbewusst haben mich meine Schritte zu der Stelle geleitet, wo Luan angegriffen wurde und plötzlich verspüre ich doch so etwas wie Angst. Dann straffe ich jedoch die Schultern und rufe mir ins Bewusstsein, dass eine gute Kriegerin nicht in Panik verfallen darf. Ich werde dem Clan schon noch beweisen, wie wertvoll ich für ihn bin.

      Doch als ich von weitem Schritte höre, sind alle guten Vorsätze wie weggeblasen. Blitzschnell klettere ich einen Baum hinauf, bis ich im Blattwerk Deckung gefunden habe. Atemlos und mit rasendem Herzen blicke ich auf den Waldboden hinab, wo jedoch noch niemand zu sehen ist. Ich wage es nicht, mich zu bewegen und selbst mein Atem hört sich viel zu laut an.

      Dann sehe ich plötzlich eine Bewegung und kann die Gestalt eines Mannes erkennen, der sich wie ein Raubtier auf der Lauer bewegt. Im Mondlicht glitzert ein schwarzer Dolch in seiner Hand und lässt mich sicher sein, dass es sich um den Leopardenmörder handelt. Ich überlege fieberhaft, was am besten zu tun ist und stelle mir selbst die Frage, warum ich überhaupt hergekommen bin. Ich taste nach den Waffen an meiner Seite und bin mir plötzlich sicher, dass


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