Die Clans der Wildnis - Amisha. Delia Golz
spaltet.
»Sehr beachtlich«, sagt er mit einer angenehm dunklen Stimme und schaut dann Nevya an. »Und auch deine magischen
Fähigkeiten sind nicht schlecht. Du bist vermutlich die Tochter des Schamanen?« Nevya nickt und ich muss ein Lachen verkneifen, als ich sehe, wie rot sie wird. Als er sich jedoch zu mir umdreht, bleibt es mir im Halse stecken.
»Sehr ungewöhnlich, dass du mit Wurfmessern umgehen kannst. Einst waren sie eine beliebte Waffe beim Clan des großen Adlers.« »Ich weiß«, sage ich mit heiserer Stimme.
Und ich weiß auch, dass sie bald schon verpönt waren, als Morigan mit eben dieser Waffe viele seiner ehemaligen Clankameraden umbrachte. »Mit anderen Waffen konnte ich nie richtig umgehen«, füge ich verteidigend hinzu. »Ich habe nichts dagegen einzuwenden«, sagt der Mann schulterzuckend. »Was geschehen ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. Sicherlich wurden ebenso viele Menschen mit anderen Waffen von Morigan getötet. Ist ein Ruf jedoch erst einmal ruiniert, ist es schwer, ihn wieder reinzuwaschen.«
Ich runzele die Stirn. Irgendwie kommt es mir seltsam vor, dass ein Fremder hier einfach auftaucht und über solche Sachen redet. »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, sagt Nevya strahlend. Mir fällt sofort auf, dass ihre Stimme viel heller als sonst klingt und ihre Wangen noch immer gerötet sind.
»Kyan«, erwidert der Mann knapp.
Nachdem auch wir uns vorgestellt haben, fällt mir endlich auf, was mir an ihm so ungewöhnlich vorkommt.
»Du hast so dunkle Augen«, stelle ich fest und hoffe, dadurch nicht dreist zu wirken.
Kyan lacht jedoch und klopft mir auf die Schulter. »Du bist sehr aufmerksam. Das kommt daher, dass meine Mutter vom Clan des grauen Wolfes stammt. Allerdings bin ich froh, dort nicht aufgewachsen zu sein.« Er blickt sich prüfend um, ob wir nicht belauscht werden. Dann senkt er dramatisch die Stimme.
»Meiner Meinung nach sind sie ein wenig… barbarisch. Die Stadtmenschen sagen das zwar über alle Clans, aber ich finde, dass es auf den Clan des grauen Wolfes wirklich zutrifft.«
»Und was denkst du über uns?«, frage ich herausfordernd und grinse über seinen Gesichtsausdruck.
»Angeblich sollt ihr sehr temperamentvoll sein. Und bei dem, was ich bisher mitbekommen habe, stimmt es wohl auch.«
»Nun ja, Temperament ist immerhin nichts schlechtes«, sagt Nevya und geht unauffällig einen Schritt auf Kyan zu. Dann betritt jedoch plötzlich noch ein anderer Mann die Lichtung.
»Wir haben dich schon gesucht, Kyan. Wir helfen dem Clan des schnellen Leoparden bei der Jagd und könnten deine Hilfe gebrauchen.«
Kyan nickt und zwinkert uns noch ein letztes Mal zu, ehe er seinem Kameraden folgt.
Als er sich außer Hörweite befinden, bricht Nevya in begeistertes Kichern aus. »Das war ja wirklich ein gutaussehender Mann, findest du nicht auch?«
Ich nicke lächelnd. »Vielleicht hast du ihm auch gefallen«, gebe ich zurück und freue mich über das Strahlen auf ihrem Gesicht. Ich habe sie schon lange nicht mehr so unbeschwerter-lebt, da ihr die Last ihrer mangelhaften magischen Fähigkeiten stets auf den Schultern liegt.
»Komm mit zu mir nach Hause, ich muss dir etwas zeigen«, sage ich, als mir Luan wieder einfällt. Das schlechte Gewissen nagt an mir, weil ich ihn kurzzeitig vergessen habe. In unserem kleinen Dorf angekommen, sehe ich bereits von weitem meine
Eltern, die sich mit einer Frau unterhalten. Beim Näherkommen kann ich meinen Augen nicht trauen.
»Shivani!« Voller Freude laufe ich auf sie zu und werfe mich in ihre Arme.
»Meine Güte, bist du groß geworden«, sagt sie lachend und drückt mich fest an sich.
»Warum bist du hier?«, frage ich strahlend und löse mich aus der Umarmung.
»Ich hatte Sehnsucht nach meiner Heimat«, erwidert sie und blickt mich mit schief gelegtem Kopf an. »Du bist richtig er-wachsen geworden und noch dazu sehr hübsch.«
Ich senke verlegen den Kopf und bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich ernst meint. »Shivani ist hier, weil morgen beim Rat einige wichtige Sachen besprochen werden«, erklärt meine Mutter. »Wie du weißt, reist sie viel herum, um an Informationen über Morigan zu gelangen. Ich bin sehr gespannt, was sie darüber zu berichten hat.«
Ich blicke mit großen Augen zu Shivani, die mich, als wir uns zuletzt gesehen haben, um einen Kopf überragt hat. Nun bin ich sogar ein kleines Stück größer als sie.
»Es wird Zeit, dass etwas gegen diesen Tyrannen unternommen wird«, sagt sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Mir fällt wieder ein, dass auch sie Elian sehr nahestand.
Zwar sind meine Eltern diesem Thema stets ausgewichen, doch ich kann mir schon denken, was dahintersteckt. Seit ich denken kann, hatte Shivani keinen Gefährten und hat stets die Einsamkeit gesucht. Zudem ist ihr Hass auf den Clan der Dämonenpferde ebenso groß wie der meines Vaters. »Ich gehe mit Nevya rein«, sage ich an die Erwachsenen gewandt, als mir meine
Freundin wieder einfällt, die sich etwas verlegen am Rande des Geschehens aufhält.
Als wir die Hütte betreten, zieht Nevya sofort scharf die Luft ein. »Du hast ein Leopardenjunges aufgenommen?«
Ich blicke liebevoll zu Luan hinab, der zusammengerollt auf der Decke schläft.
»Er wurde verletzt«, erkläre ich. »Als ich im Wald war, habe ich eine Gestalt entdeckt, die ihn töten wollte. Glücklicherweise konnte ich sie noch rechtzeitig vertreiben.«
»Meine Güte«, sagt Nevya kaum hörbar. »Dann stimmt es also, was wir beim Rat mitgehört haben.« Ich nicke niedergeschlagen. »Und ich glaube, dass es so weitergehen wird, wenn nicht endlich etwas unternommen wird.« Plötzlich kommt mir eine Idee. »Du bist doch morgen bei dem Treffen der Räte dabei. Könntest du nicht den Vorschlag machen, dass nachts stärker patrouilliert werden sollte?«
Meine Freundin runzelt nachdenklich die Stirn und blickt abwesend zu Luan. »Das ist keine schlechte Idee. Allerdings weiß ich nicht, ob ich mich überhaupt zu Wort melden darf.
Schließlich bin ich noch kein Ratsmitglied, sondern nur dabei, um mir einen Eindruck zu machen.«
»Aber wenn du ihnen die Sache erklärst, müssen sie dir zuhören. Schließlich ist es ein Thema, das auch den Ratsmitgliedern Sorge bereitet.«
»Du solltest vorher mit der Anführerin reden und ihr Luan zeigen«, sagt Nevya ernst. »Dann wird sie mich vielleicht unter-stützen, wenn ich unsere Idee dem Rat mitteile.«
Zerknirscht muss ich ihr recht geben. Ich hätte Luan gerne noch ein paar Tage für mich gehabt und wenn erstmal die Anführerin davon weiß, wird sicherlich bald der halbe Clan vor meiner Tür stehen. Außerdem habe ich die Sorge, dass der junge Leopard in das Lager gebracht werden soll, wo sich der Schamane besser um ihn kümmern könnte. Dennoch ist es wichtig, dass die Anführerin vor dem Ratstreffen informiert wird.
»Dann lass uns zu ihr gehen«, sage ich niedergeschlagen und streichele Luan zärtlich über den Kopf, woraufhin er genüsslich die Augen schließt.
Als Nevya und ich uns auf den Weg in das Hauptlager machen, sehen wir schon von Weitem, dass mittlerweile auch der Clan des weißen Hirsches eingetroffen ist. Ich bin immer wieder fasziniert von der eleganten Erscheinung der Mitglieder, deren Gesichter fast so weiß wie Schnee sind. Mit federleichten Schritten gehen sie durch das Lager und helfen bei dem Herbeischaffen von Beute. Zwischen ihnen entdecke ich auch Kyan, der mit seinen tiefschwarzen Haaren einen seltsamen Kontrast bildet. »Mutter!« Nevya läuft mit strahlenden Augen zu einer Gruppe von hellhaarigen Kriegerinnen.
Eine Frau mittleren Alters mit rotblonden Haaren schließt meine Freundin lachend in die Arme und küsst ihr auf die Stirn. Es ist lange her, seit ich sie zuletzt gesehen habe, denn sie kommt nur selten zu Besuch. Soweit ich weiß, hat sie mit Nevyas Vater kein sehr gutes Verhältnis und darum vermeidet sie so gut es geht, Zeit beim Clan