Die Clans der Wildnis - Amisha. Delia Golz

Die Clans der Wildnis - Amisha - Delia Golz


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einen kurzen Moment scheint in seinen Augen eine Emotion aufzublitzen, doch ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir das vielleicht bloß eingebildet habe.

      Da Morigan seinen Clan nach dem berühmten Kampf mit Ayden komplett neu aufbauen musste, sind die meisten seiner Anhänger noch nicht lange dabei. Deswegen ist die Möglichkeit groß, dass mein Entführer die meisten Mitglieder seines ehemaligen Clans noch kennt.

      Es könnte sogar sein, dass er erst vor wenigen Jahren beschlossen hat, unsterblich zu werden und er darum noch einen gewissen Bezug zu seiner Vergangenheit hat. Ich habe schon oft Geschichten darüber gehört, dass die Menschlichkeit eines Unsterblichen Jahr für Jahr immer weiter schwindet. Darum besteht Morigan angeblich vor allen am Anfang darauf, dass seine neu erworbenen Anhänger ihre Treue zu ihm beweisen.

      Das Töten von Krafttieren könnte meiner Meinung nach dazugehören und in mir flackert fast so etwas wie Mitleid für diesen Mann auf. Was ist ihm im Leben widerfahren, dass er diesen Weg gewählt hat? Musste er eine ähnliche oder sogar noch schlimmere Geschichte erleben wie ich?

      Während die meisten anderen Mitglieder der Clans einen blinden Hass auf die Unsterblichen hegen, habe ich mir schon oft Gedanken über die Hintergründe gemacht. Es gab sogar Tage, an denen ich so verbittert war, dass ich ihr Handeln fast nachvollziehen konnte. Dennoch bin auch ich der Meinung, dass viele ihrer Taten unverzeihlich sind.

      Wie verlockend es auch wäre, endlich kein Außenseiter mehr zu sein, so würde ich niemals die Clans auf solch grausame Weise verraten.

      »Du solltest schlafen«, durchbricht mein Entführer plötzlich die Stille. »Morgen steht dir ein anstrengender Tag bevor.«

      Ich nicke schweigend und versuche dann vergeblich, eine gemütliche Schlafposition zu finden, während der junge Mann mit geübten Bewegungen ein Feuer entfacht. Erst jetzt fällt mir auf, wie kalt es geworden ist und wundere mich abermals über die Fürsorge meines Entführers. Obwohl er ansonsten kühl und abweisend ist, kann ich unter der Fassade noch etwas anderes erkennen.

      Schläfrig blicke ich in die wärmenden Flammen, bis meine Augen immer schwerer werden und ich schließlich in einen tiefen, erlösenden Schlaf versinke.

      Ich werde von einem seltsamen, beklommenen Gefühl geweckt und öffne verwirrt die Augen. Der junge Mann steht wenige

      Schritte von mir entfernt und hat noch nicht gemerkt, dass ich wach bin. Ich muss einen Schrei unterdrücken, als ich ein dunkles Wesen entdecke, welches lautlos um ihn herumschleicht. Es besteht bloß aus schwarzem Nebel und hat keine feste Form.

      »Verschwinde«, knurrt mein Entführer und macht einen energischen Schritt auf das Wesen zu. »Ich hatte dir befohlen, dass du Abstand hältst.« Das Wesen weicht zurück und es scheint mir so, als würden zwei leuchtend rote Augen aufblitzen. Ich kann die Welle von Hass, die von diesem Ungetüm ausgeht, mit jeder Faser meines Körpers spüren, und ohne, dass ich es kontrollieren kann, beschleunigt sich mein Atem.

      Plötzlich blicken diese unnatürlich roten Augen in meine Richtung und ich bemerke entsetzt, dass sich das Wesen auf mich zubewegt. Nun ist es mir völlig egal, ob ich meinen Entführer verärgere und springe so schnell, wie es meine gefesselten Hände erlauben, auf.

      Ich taumele einige unsichere Schritte nach hinten, um Abstand zwischen mich und dieser furchtbaren Kreatur zu bringen. Dann sehe ich auf einmal, wie mein Entführer zu mir läuft und sich schützend vor mich stellt. Er brüllt dem Wesen ein paar harte Worte in einer seltsamen, mir unbekannten Sprache entgegen und wiederholt sie solange, bis sich die Kreatur immer weiter von uns entfernt.

      Schließlich weicht sie so weit zurück, dass sie eins mit der Dunkelheit wird. Der junge Mann keucht schwer und ich kann sehen, dass seine Hände zittern.

      »Was war das?«, bringe ich entsetzt hervor und versuche, mich wieder zu beruhigen. »Das war mein Schatten«, antwortet er mit finsterer Stimme. »Oder genauer gesagt der Dämon, der darauf wartet, meine Seele vollkommen verschlingen zu können.« Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll, denn bei allen Geschichten, die ich je über den Clan der Dämonenpferde gehört habe, kam so etwas nicht vor.

      »Das ist entsetzlich«, sage ich schließlich mit leiser Stimme und weiß selbst, wie lahm diese Worte klingen.

      Der junge Mann lacht freudlos auf. »Das gehört leider dazu.

      Die Tatsache war mir von Anfang an bewusst.«

      Dann scheint ihm wieder einzufallen, dass ich eigentlich seine Geisel bin und wendet sich schnell von mir ab. Er stochert mit einem Stock in der Glut herum, bis wieder eine kleine Flamme entsteht.

      »Leg dich schlafen«, befiehlt er mit kalter Stimme und setzt sich so hin, dass ich sein Gesicht nicht erkennen kann. Doch ich könnte schwören, dass ein Hauch von Wehmut in seinen Zügen liegt.

      Ich werde bereits vor Sonnenaufgang durch ein unbeholfenes Rütteln an meiner Schulter geweckt und die Müdigkeit legt sich bleischwer über mich.

      »Kann ich nicht noch ein bisschen liegen bleiben?«, murmele ich im Halbschlaf, bis mir mit einem Schlag bewusst wird, dass ich mich nicht zuhause in meinem Bett befinde.

      Sofort setze ich mich auf und blicke geradewegs in ein spöttisch dreinblickendes Augenpaar.

      »Ich bestimme hier die Regeln.« Obwohl seine Stimme hart klingt, kann ich eine Spur Belustigung mitschwingen hören.

      »Ich fühle mich furchtbar«, stöhne ich und reibe mir den noch immer schmerzenden Kopf. Auch nachdem ich etwas zu Essen und Trinken bekommen habe, geht es mir nicht viel besser. »Mehr kann ich dir nicht helfen«, sagt mein Entführer schulterzuckend und zieht mich dann erbarmungslos mit sich.

      Der Gestank, welcher aus der Einöde zu uns zieht, wird immer intensiver, aber noch befinden wir uns im Revier meines Clans. Noch habe ich die Hoffnung, dass die Krieger nach mir suchen, doch es kommt mir immer unwahrscheinlicher vor.

      In diesem Teil des Reviers befinden sich keine Nebenlager mehr, da sich niemand längere Zeit in der Nähe der Grenze zur Einöde aufhalten möchte. Zudem sind in diesem Teil viele Sklavenhändler unterwegs, die zu Morigan unterwegs sind. Der grausame Anführer vom Clan der Dämonenpferde ist dafür bekannt, dass er seine Sklaven bis zum Tod schuften lässt und daher häufig Frischfleisch benötigt.

      »Ist die Kreatur von letzter Nacht immer noch in unserer Nähe?«, frage ich mit leichtem Unbehagen.

      Der junge Mann, der einige Schritte vor mir geht, zögert einen Moment, ehe er antwortet.

      »Immer. Darum nannte ich den Dämon meinen Schatten.«

      Seine Stimme klingt dabei so finster, dass ich mich abermals frage, warum er dann dieses Schicksal gewählt hat.

      Doch ich hake nicht weiter nach, da er mir unmissverständ-lich klar gemacht hat, dass ich nichts aus ihm herausbekomme.

      Plötzlich bleibt er ruckartig stehen und gibt mir ein Zeichen, still zu bleiben. Ich lausche angestrengt, aber ich kann außer dem Rauschen des Windes, der über den sandigen Boden streicht, nichts hören.

      Dann vernehme ich jedoch ganz leise das Geräusch von Stimmen, die sich in unsere Richtung bewegen. Mein Entführer zieht angestrengt die Augenbrauen zusammen und scheint unschlüssig zu sein, wie er am besten reagieren sollte. Dann zerrt er mich in eine Mulde und drückt mich fest auf den Boden. Seine unmittelbare Nähe macht mich nervös und ich blicke vorsichtig zu ihm auf.

      »Wehe, du machst auch nur einen Laut«, knurrt er und scheint zu überlegen, ob er mir besser den Mund zu halten sollte. Ich nicke schnell und hoffe gleichzeitig, dass es sich bei den Personen um Mitglieder meines Clans handelt. Vorsichtig lugt mein Entführer über den Rand der Mulde, ohne den Griff an meinen Armen zu lockern. Die Stimmen kommen immer näher und irgendwann atmet der junge Mann erleichtert auf.

      Dennoch bleibt er weiterhin geduckt und scheint nicht darauf aus zu sein, die Menschen auf uns aufmerksam zu machen.

      »Was ist denn los?«, flüstere ich und ernte sofort einen bösen Blick. »Glaube mir, du willst nicht, dass die Sklavenhändler


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