Breathe Again. Katie Weber
lebensmüde. Und die Klinik wird dich nicht gehen lassen, wenn du nicht jemanden nachweislich angeben kannst, der die nächste Zeit auf dich aufpasst. Ich werde derjenige sein und dagegen wirst du nichts tun können. Entweder du kommst mit mir oder du verbringst die nächsten Wochen und Monate in der Klapse.«
»Entweder, oder? Das klingt für mich aber nun doch ganz schön stark nach einer Wahl. Und ich wähle lieber die Klapse, als mit zu dir zu kommen, wo es wahrscheinlich ohnehin nur so von Paparazzi und Presse wimmelt. Was glaubst du, was sie über dich schreiben würden, wenn sie wüssten, dass du eine verrückte Lebensmüde in dein Haus holst?«
Jonah hämmerte seine Faust erneut wütend auf den Metalltisch vor meinem Bett und durchbohrte mich mit seinem Blick. Das Moosgrün seiner Augen, das mich früher einst von innen wärmte, glühte bedrohlich. Jonah schien felsenfest davon überzeugt, dass ich mit ihm kommen würde, sobald ich die Klinik verlassen dürfte. Doch da hatte er sich gründlich geschnitten. Nie im Leben würde ich mich freiwillig zu ihm ins Auto setzen und mich zu ihm nach Hause kutschieren lassen. Da, wo mich vermutlich nicht nur Fotografen, sondern auch unzählige heulende weibliche Fans in Empfang nehmen würden. Ich wusste, wie erfolgreich er mit seiner Musik war. Zumindest hatte ich es immer wieder durch Medien und auch über Ben mitbekommen, wenn er mal wieder einen Hit landete, der dann im Radio rauf und runter gespielt wurde.
Jonah konnte schon immer gut singen. Mit seiner leicht rauen und vor allem tiefen Stimme hatte er damals bereits unzählige Fans auf der Jefferson sammeln können. Dass er noch dazu unglaublich gut Gitarre spielen konnte, war ein Bonus. Jonah war wie geschaffen für die Musikbranche. Und das nicht nur wegen seines Talents. Auch sein übergroßes Ego passte da wirklich fantastisch zu, wie ich fand. Doch das alles schreckte mich eher ab, als dass es mich faszinierte. Deswegen und wegen hundert weiterer Gründe würde ich nie im Leben mit zu ihm kommen, das stand fest.
»Red keinen Blödsinn, Annabelle! Ich werde nicht zulassen, dass du dich so gehen lässt. Auf keinen Fall lasse ich es dazu kommen, dass du in der Psychiatrie landest, nur weil du zu stur oder zu stolz bist, meine Hilfe anzunehmen. Siehst du es denn nicht? Du bist nicht allein! Ich bin schließlich hier, verdammt. Ich bin bei dir, Annie. Und so schnell wirst du mich jetzt nicht mehr los, das verspreche ich dir.«
Verzweifelt schaute ich mich in meinem Krankenzimmer um. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Keinesfalls wollte ich mit zu Jonah in sein erfolgreiches Musikerleben. Doch ich kannte ihn. Ich kannte ihn immer noch viel zu gut, um zu wissen, dass er es niemals so weit kommen lassen würde, mich hier zurückzulassen. Nicht nach dem, was ich getan hatte. Nicht, seitdem er wusste, dass ich nicht mehr leben wollte. Jonah würde alles dafür geben, mich mitzunehmen, das war mir bewusst. Er war eben so. Er würde sich kümmern. Das wusste ich. Doch das war nicht das, was ich wollte. Nicht das, was ich aushalten konnte. Nicht seine Nähe, nicht schon wieder. Denn er verstand nicht. Jonah verstand nicht, dass ich ihn nach all den Jahren immer noch liebte.
Acht Jahre zuvor
Zufrieden grinsend schlängelte ich mich durch die vielen Menschen in Jonahs Wohnzimmer, die sich mal mehr, mal weniger rhythmisch ausgelassen zum Takt der Musik bewegten. Mein bester Freund schmiss mal wieder eine seiner berühmten Partys. Seine Mom war seit einigen Tagen verreist und so hatte er das Haus für sich allein. Ich wusste, ich konnte mich glücklich schätzen, dabei sein zu können. Schließlich war ich ganze drei Klassenstufen unten all denen, die eingeladen wurden. Außer mir war niemand in meinem Alter hier. Niemand aus meiner Stufe. Schließlich wäre das uncool und Jonah hatte einen ziemlichen Ruf weg.
Er war beliebt und bekannt wie ein bunter Hund, einer der begehrtesten Jungs. Genauso wie mein großer Bruder, auf den ich mächtig stolz war. Er war Captain des Basketballteams und wirklich talentiert. Jonah hingegen war mehr der athletische Typ. Zwar hatte er auch ganz schön viele Muskeln in den letzten Jahren bekommen, schließlich trainierte er immer mit Ben. Doch er war weniger bullig und breit, sondern eher sportlich agil. Mit einem dennoch äußerst nett anzusehenden Sixpack, den ich im Sommer so gerne bestaunte. Mein bester Freund joggte gern und viel. Verstehen konnte ich das nicht wirklich.
Ich hasste Sport im Allgemeinen. Zwar fuhr ich gern Fahrrad, spielte mit Ben und Jonah hin und wieder auch mal Fußball und kletterte viel, wenn ich die Möglichkeit bekam. Doch richtig aktiv war ich nicht. Zumindest nicht regelmäßig, so wie die beiden es immer waren. Ich schnappte mir viel lieber mein schönes Board, das ich vor zwei Jahren als Gemeinschaftsgeschenk von meinem Bruder und Jonah zu meinem Geburtstag bekommen hatte, und ging skaten. Oder ich las ein Buch, so wie die meiste Zeit eigentlich.
Erst vor wenigen Wochen war mein bester Freund achtzehn geworden. Jonah hatte seinen Geburtstag nicht feiern wollen. Er wusste schon damals, dass seine Eltern bald verreisen würden und verschob die Party daher. Auf den heutigen Tag, genau genommen. Zwar hatten Ben und ich ihm natürlich schon damals gratuliert und mit ihm in seinen echten Geburtstag reingefeiert, doch erst heute sollte die richtige Feier steigen. Und so hatte ich mir mein Geschenk für ihn bisher aufgehoben.
Es war ein handsignierter Baseball von einem seiner Idole – Billy Mitchell. Ich hatte das ganze Jahr darauf gespart, ihn kaufen zu können. Mein gesamtes Taschengeld ging dafür drauf. Nun gut, beinahe das gesamte. Hin und wieder gönnte ich mir schon noch ein Eis oder einen Kinobesuch. Ich wusste, Jonah würde sich wahnsinnig darüber freuen. Und ich konnte es daher auch kaum noch erwarten, ihm mein Geschenk geben zu können.
Ich hoffte, er würde dadurch merken, wie viel er mir bedeutete. Mehr als er bisher ahnte. Ja, ich hoffte so sehr, er würde verstehen, dass ich mehr als nur das kleine Mädchen war, das er immer beschützte. Mehr als seine beste Freundin. Ich wünschte, er wüsste endlich, wie verliebt ich in ihn war. Und das nun schon seit so vielen Jahren. Jonah war mein Held. Neben meinem Bruder war er der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens und ich wünschte mir so sehr, dass er genauso für mich empfand wie ich für ihn.
Als ich Ben draußen im Garten sah, war meine Hoffnung groß, auch Jonah schnell zu finden. Doch ich entdeckte ihn nirgends. Nicht am Pool und auch nicht zwischen all den anderen, die am großen Tisch auf der Terrasse saßen und Poker spielten.
»Annie, was ist los? Suchst du jemanden?« Mein Bruder bemerkte die Unruhe in mir. Wo steckte Jonah nur? Er konnte doch nicht einfach so verschwunden sein. Nicht in seinem eigenen Haus. Und schon gar nicht auf seiner eigenen Party.
»Hast du Jonah vielleicht irgendwo gesehen? Ich wollte ihm doch noch mein Geschenk geben.«
Ben grinste. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, ich hab ihn vorhin hochgehen sehen. Vielleicht ist er ja in seinem Zimmer? Hast du da schon nachgeschaut?«
Nein, hatte ich tatsächlich nicht. Ich ging nicht davon aus, dass mein bester Freund seine gigantische Geburtstagsfeier ausgerechnet in seinem Zimmer verbringen würde. Wer machte so was auch?
Mit einer kurzen Umarmung bedankte ich mich bei meinem großen Bruder und hüpfte hoffnungsvoll die Treppen hinauf. Jonahs Zimmertür schien geschlossen, doch da ich nicht wusste, wo er hätte sonst sein sollen, klopfte ich leise an. Einige Sekunden verstrichen, doch niemand antwortete. Ich klopfte ein zweites Mal, diesmal deutlich lauter. Bis plötzlich eine unüberhörbar genervte, aber weibliche Stimme nach draußen drang.
»Was ist?!«
Erschrocken wich ich von der Tür zurück und starrte diese entgeistert an. War das etwa … Chloe?! Chloe Thornton, die zukünftige Ballkönigin und Prinzessin der Schule? Chloe Thornton, die mich seit der ersten Klasse wie ein Stück Dreck behandelte, nur weil ich Bens kleine Schwester war und deswegen immer mit den beiden Jungs unterwegs sein durfte. Das war unmöglich! Jonah würde niemals mit ihr …
Noch ehe mir klar wurde, was hinter der geschlossenen Tür meines besten Freundes geschah, wurde eben diese wutgeladen aufgerissen und die schlammbraunen Augen von Chloe Thornton starrten mich verwundert, aber angewidert an. »Was willst du, Parker? Hier ist nur Erwachsenen der Zutritt gestattet. Verschwinde also schnell, du kleine Hexe, bevor du etwas zu Gesicht bekommst, das dich nachts nicht mehr schlafen lässt.«
Nicht nur, dass sie mich als kleines, dummes Mädchen darstellte, nur weil ich drei Jahre jünger war als sie. Wieder einmal nannte sie mich Hexe. Wegen meiner roten Haare natürlich. Wie einfallslos