Um den Sohn. Artur Hermann Landsberger

Um den Sohn - Artur Hermann Landsberger


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vieltausendjährige, deren letztes und innerstes Wesen nichts als eine allgemeine Prostitution ist. Ueber ihr schwebt als göttliche Dreieinigkeit die Einheit der Idee, — das Götzenidol einer Priester- und Gelehrtenkaste, — die Einheit des Schwertes, der Fetisch einer Kriegerkaste, und der Trug der Händler: die Einheit des Geldes. Eine heilige Dreifaltigkeit, auf der alle Staaten und Gemeinschaften begründet sind. Doch auch die ewige Bedingung allen Haders, aller Kriege, gegenseitiger Unterdrückungen, Ausbeutungen und Entwürdigungen, welche die Menschen notwendig wider einander aufbringen muss, so dass der gesellige Mensch zum ungeselligsten der Wesen wird und in seinen Staaten, wie Spinoza sagt, jeder des Anderen Feind ist. In den satirisch-tragischen Grotesken Landsbergers taumelt diese Kultur gegenseitiger geistiger und materieller Verelendigungen an unseren Augen vorüber.

      Wie sehr sie mit ihren Dirnen- und Kokottenhänden auch in die Seele und das Leben eines Landsberger und eines Wedekind hineingegriffen haben, und dass sie an ihren Orgientischen wacker mitgezecht haben, das liegt ja auf der Hand. Selbstbekenntnis- und Selbstenthüllungsschriften, aus eigensten Erfahrungen und Erlebnissen geschrieben, ganz gewiss. Aus Lazaretten, aus Wunden, aus Kämpfen geboren sind ihr Roman, ihr Drama gewachsen. Prometheidenlos aller Künstler. Man kann sie nicht schildern, nicht gestalten, wenn man sie nicht mitgekostet und erfahren hat und ihre Geier an der eigenen Leber hat fressen lassen.

      Bei Wedekind ist diese Kultur ganz auch zur Lebenstragödie geworden, dass er als ihr Opfer fiel und die Selbstmörderwaffe gegen sich erhob. Ein tiefst von ihr Verstrickter, ein tiefst Leidender, von ihren Furien Gehetzter. Da wird das Kunstwerk grösser, tiefer, schneidender. Die Tragik schreit heisser herauf, schriller, dämonischer gellt das Lachen, Hohn, Hass, Wut, Spott zucken in blutigeren Farben auf. Der bessere Lebenskünstler ist Artur Landsberger. So an Herzen und Nieren ist sie ihm nicht gegangen, wie dem Mitstreiter. Als Mensch hat er sie leichter überwunden und ist mit ihr fertiger geworden und von dem Joch und der Gewalt der Lulu-Erdseele hat er so sich nicht unterdrücken und unterwerfen lassen, wie Frank Wedekind, ein Belasteter von Anfang an, von Blut und Wiege her. Humaner, urbaner, fröhlicher, munterer geht er durch sie dahin, und will kein fanatischer Besserer und Bekehrer, Prophet und Erneuerer sein, mehr Schilderer und Darsteller, Beobachter nur und Historiograph. Er schreibt sie in seinen Romanen und Erzählungen sich auch von der Seele herunter, und was er persönlich-menschlich von ihr erlitten hat, die Wunden, die ihre Teufelshände ihm gekratzt haben, bringt er zum Verharschen. Aus den Tyranninnen, die ihm die Simsonlocken scheren wollten, werden Romanheldinnen, Erinnerungen, die nur noch als Phantasien und Illusionen an ihm vorüberziehen, aber er ist auch frei von ihnen geworden und wird nur nicht in die Versuchung kommen, ihren Schatten mit einer Selbstmordwaffe nachzuspringen. Sie haben ihm die Locken nicht scheren können. Als Mensch hat er das Psychopathisch-Unbelastete voraus, die gesündere Konstitution, und die ganze innere Erregung, der hochgradige leidenschaftliche Subjektivismus der Wedekindschen Kunst wird bei Artur Landsberger zur kühleren, überlegenen, uninteressierten, unbefangenen Objektivität. Wedekind, der Mitspieler, der Akteur in unserer Kulturtragödie, der sie ganz als eigenste Angelegenheit erlebt, als Krankheit und Wolf, die an ihm fressen, wird an ihr zum Dramatiker, der in die Abgründe, in die Motive und die Ursache herabsteigt, und sich selbst auf den Seziertisch legt. Landsberger kann ihr gegenüberstehen, als Erzähler mit allen dessen Drängen ins Weite und Breite, der sie als ein buntes äusseres Geschehen, als reiche Bilderwelt an sich vorüberziehen lässt, als eine Angelegenheit der anderen, mit um so grösserer Ruhe, um so besserer Heiterkeit auch, je weniger man sie mitmacht, je freier man von ihr wurde, je mehr man sie als Schauspiel und Komödie, als der Anderen Narrheit und Dummheit schauen, beklagen und belächeln und kritisieren kann.

      Ein geborener Erzähler, der zu spannen weiss, mit all den naiven, elementaren Instinkten eines echten und rechten Fabulisten, der, den bunten Farbenteppich der Begebenheiten, Geschehnisse aufrollend, gerade das tut, was das allgemeinste, ursprünglichste allermenschlichste Kunstbedürfnis, der breitesten Volksmassen, jedermanns Bedürfnis ist. Plauder- und Unterhaltungslust, Hörfreude. Kunst dem Volke! Volkskunst! Als geborener Erzähler ist Landsberger auch der geborene Kunstpopulisator, dem alles darauf ankommt, ankommen muss, dem es schönster Sieg und Triumph ist, wenn er nicht eine stille kleine Gemeinde, sondern als epischer Dränger ins Weite und Breite auch weiteste und breiteste Volksmassen zu seinen Füssen sieht, ein einzig Volk von lauter Kunstdilettanten und Kunstlaien nur, zu denen man auch nur als Dilettant sprechen kann. Mit höchster und berechtigtster Genugtuung darf auch Landsberger darauf hinweisen, dass er erreicht hat, was eine Kunst, wie die seine, auch in erster Linie erreichen will, — gelesen zu werden, und freudig-fröhlich sich preisen, weil er ein gelesenster Autor ist, — Tatsachen, Ziffern reden lassen. Eine halbe Million Menschen haben seine Romane schon gekauft. Das ergibt Millionen Leser. Die künstlerischen Paradieseskinder aber sind daheim nur unter diesen Massen, den Laien, den Dilettanten, den rein nur Geniessenden, den Empfangenden, den völlig noch Empfänglichen. Den höchsten Kunstrausch, die seligsten künstlerischen Entzückungen und Ekstasen haben wir nur dann erfahren, als wir noch wie dieses Volk und wie diese Kinder waren, recht kritiklos die wunderbaren schönen Geschichten lasen und in die Welt der Kunst als in die süsseste Märchenwelt hineinsahen, die Finger in die Ohren gestopft, fiebernd und gierig die Seiten verschlangen und alles glaubten, alles für wahr hielten. Die Tore gerade dieser seligen, naiven Paradieseswelt, der Kunst Urland und Kinderreich schliessen sich, wenn man Kunstkenner und Wissender, Kunstgelehrter wird, und nicht mehr nur ein Kunstempfangender und Beschenkter, elementarer Geniesser ist, sondern auch Kunstproduzent und Kunstarbeiter selber, und dabei auch Schweiss schwitzen muss. Wenn man dann immer auch etwas zum Eduard Hanslick wird, der nur zu wahr, zu richtig von sich, von uns Kritikern sagt: Wir sitzen da, auch vor den höchsten Offenbarungen, und stochern uns mit dem Zahnstocher im Mund. Verwundert sehen wir die Naiven, die dabei so jubeln, so weinen und lachen können. Da aber wird es auch zur Aufgabe, dass wir nicht so verknöchern und nicht so Uebersättigte werden, uns trotzdem die frischen Sinne bewahren und uns immer wieder zu verjüngen suchen, und möglichst reiche Reste der Naivität, der Kindheit und Unschuld und der paradiesischen Lüste retten und bewahren, — einen Dilettantismus, der durch alle höchsten, tiefsten und echtesten Kunstwerke als verborgenster Unterstrom fliesst.

      Die Fruchtbarkeit, die Leichtigkeit und Sorglosigkeit, mit der sich Artur Landsberger die Romane aus dem Aermel schüttelt, die reinen elementaren Fabulierfreuden seiner Kunst, sind Zeugen, dass er von dieser goldenen Naivität, Kindlichkeit, von diesem Dilettantismus weiss und damit die Elemente einer Popularitätskunst geschicktest verwerten kann. Auch als Produzent ist er mehr Geniesser, als Arbeiter. Das fühlt man aus seiner Kunst sehr unmittelbar heraus, wie ihm das Erzählen und Unterhalten und Plaudern, das Erfinden Bedürfnis, Lebensbedürfnis, Lebensfunktion ist, das ihm selber eine einzige Freude und Lust bereitet, ihm Spass macht und auch damit einen besten Zweck erfüllt, dass es ihm zur Quelle einer Daseinsfröhlichkeit wird. Nur durch dieses eigene innere Fabuliervergnügen steckt er seine Zuhörer an, erreicht er seine Wirkungen auf so weite und breite Massen. Seine Fruchtbarkeit ist auch ein Erbgeschenk all der Alexander-Dumas-Geister, der geborenen Erzählergenies, wie bei den Artisten und Aesthetizisten, den l’art pour l’art Bekennern, vielfachst eine Sparsamkeit der Produktion auffällig hervortritt. Und diese Kunstfleissigen werden immer über die Fruchtbarkeit, Leichtigkeit und Unbekümmertheit der Konkurrenten sich zornig ereifern, und höhnen und spotten und mit Platenschem Munde sagen:

      Er schmierte wie man Stiefel schmiert, vergebt mir diese Trope,

      Er war ein Held an Fruchtbarkeit, wie Calderon und Lope ...

      Calderon und Lope aber können solche Kritik und diesen Hohn nur als ein höchstes Lob und eine Bewunderung aller Bewunderungen hören und fühlen.

      Da legt sich auch das strahlendste Lächeln um Artur Landsbergers Mund, wenn jene und alle Geister einer Eduard-Hanslick-Kritik ihm, dem Kunstgenüssling, die Handwerker- und Arbeiterhand auf die Schulter legen und ihm sagen: Schreiben Sie weniger! Statt zwölf Bücher nur vier, nur ein Buch. In Ihnen lebt sehr viel mehr Kunst und Schöpferkraft, als Sie in Ihren Werken niederlegen und zum Ausdruck bringen. Wollen Sie doch nur unser Bester sein. Die Gaben dazu haben Sie in sich Aber Ihre Publikumserfolge sind Ihr Unglück und Ihre Verführung, dass Sie mit allem Ihrem Können und Ihren Kräften Schindluder treiben. Artur Landsberger steckt sich die Hände in die Hosentaschen und pfeift sich eins. Seht nur das eine, dass ich nicht will, nicht will. Nichts, gar nichts liegt mir an dem


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