Um den Sohn. Artur Hermann Landsberger
Seid Ihr Artisten — aber lasst mich den Dilettantismus kosten als ein Seligstes und seine Unbefangenheiten, dass wir wieder sein Können, wie Lilien auf dem Felde, und singen wie der Vogel singt. Das schnelle Schreiben nur, das Improvisatorische, die gute Eingebung ist mein Vergnügen nur, mein Element, in dem ich mich wie ein Fisch tummle. Nur mich selber will ich dabei nicht quälen und Schweisstropfen vergiessen, — mich unterhalten, anregen und die anderen anregen und unterhalten Mir genügt es! Erzähler bin ich, Schilderer des Geschehens, sinnenfroher Seher des Jahrmarkttreibens, Spaziergänger im Haine der Kunst. All das innere, teils übersinnliche Erleben, das sich mir bei diesem spazierengehenden Schreiben aufdrängt, behalte ich recht für mich. Das sind tausenderlei Dinge subjektivster Empfindungen, heimlichster eigener Freuden, die nicht ins Buch kommen. Denn sie dort hineinzubringen, würde eben Schweiss kosten.
Da wird auch Artur Landsberger zum Bekenner des Lebens, das über aller Kunst ist, dem die Kunst nicht Selbstzweck, sondern des Lebens Dienerin ist. Auch etwas wie Surrogat und Ersatz nur. Wenn man es erlebt, ist noch besser, als wenn man es nur dichtet, — die Realität eleusinischen Daseins das noch Wertvollere, als auch die schönsten Stefan Georgeschen Gedichte und die Träume und Illusionen von ihm. Das noch höhere neue Ziel leuchtet da auf, — die Verwirklichung unserer Künstlerträume und Idealreiche. Da sagt auch Landsberger von sich selber und als besseren Gewinn betrachtet er es, wie Lassalle zu sein, der in seine Bücher und Werke nur sein Talent hineingibt und das Genie ins Leben hinein. Und ich höre im Geist das tiefste und goldenste Lachen meines toten Bruders von der Freiheit des Menschen über allem Ruhm und Eitelkeitsgierden: „Und fragt Ihr, was ich schaffe? Ich lebe!“ Der Kunstgeniessende hat vor dem Kunstschaffenden auch etwas voraus. Er Der Herr, sie seine Diener und Arbeiter. Diese die Köche, er der Speiser der leckeren Gerichte. Jedermann, jedermann kann da zum Sultan werden, und den unermesslichsten Staat von lauter Hofpoeten, Sängern und Tänzern, Sängerinnen und Tänzerinnen um sich scharen. Ihnen sieht und hört ein Sultan nichts ab, was nicht auch jedermanns, jedermanns Eigentum werden kann. Die Protzenkulturmenschen aber, die Landsberger in seinen Romanen geisselt, können sich alle ihre Wände mit Rembrandts und Goyas tapezieren, und sind dabei die ärmsten Schlukker und Kirchenmäuse. Sie können’s nicht geniessen. Für sie sind’s nur Schaugerichte, von denen sie aber nicht essen können.
Das künstlerische Paradieseskind in Artur Landsberger, das nur geniessen und nicht arbeiten und Schweiss vergiessen will, seine evangelische Lehre vom grössten Glück der Lilie auf dem Felde, ist ja ein bisschen Egoismus auch, Uebermenschliches in einer Welt, wo alle nur Menschen sein können. Für sein Kunstwerk wäre es gewiss vom Vorteil, wenn er sein bestes Menschliche, das Höchste und Stärkste seines Lebenswissens, den reinsten Gewinn aller Lebenskunst, nicht ausserhalb seiner Werke stehen liess, sondern dieses auch hineintrüge und hineinstellte, nicht die Trüffeln für sich behielte und nur die für die gebildete grosse Masse verdauliche Nahrung liefern wollte. Schade, dass er nicht will. Freund Merck wird ihm auch immer auf die Schulter klopfen und ihm zurufen, ihn peitschen: Will! Hier ist das Tor zu dem ganz Grossen, zu der neuen Kunst, dem neuen Leben, der neuen Organisation über all diese bisherige Sünden- und Lügenkultur, von der wir nur eines wünschen können, dass sie von der Sintflut dieses Krieges weggefegt wird und Platz wird für neue Noahskinder.
Und ich glaube auch, ich darf wohl sagen, ich weiss es, dass Artur Landsberger zuletzt mit besonderer Genugtuung, mit eigenen Zustimmungen den Berserkerkritiker lesen wird, der mit allen höchsten Forderungen über ihn herfällt. Es sind das immer auch beste Anerkennungen, eine Hochachtung: Du kannst mehr, als Du willst. Deine verdauliche Nahrung für die grossen Massen ist doch etwas anderes noch als die Milch- und Wassersuppen der eigentlichen Unterhaltungsfabrikanten, der Schönfärber, der verlogenen trüben Ideologen, der Publikumsschmeichler. Als alte hohe Ahnenbilder stehen am Eingang zur Kunst Landsbergers Petron und sein „Gastmahl des Trimalchio“ und des Apulejus Zaubermär von der Verwandelung des Dichters in den goldenen Mammonsesel, die grossen Kritiken der Mord- und Raubkultur, der Kulturprotzerei, zu der alle bisherige Kultur nur als zu ihrer Frucht gelangen konnte. Wenn die Sintflut, und dass die Sintflut über sie kommt, und das neue Chaos, aus dem doch endlich ein Besseres noch heraufsteigen kann, dessen sei Freude, da steigt Neuland, Fruchtbarkeitsland auf.
Und auch Artur Landsberger, der nicht nur unterhält, sondern Sittenschilderer, Sittenrichter, Kläger und Ankläger ist, weist und führt zu ihm hin. Aus dem Sturm und Drang seines ersten Romanes von der Hilde Simon steigt er herauf zu seiner Erzählung „Um den Sohn“, wo er am tiefsten geht und auch Trüffeln hineinsteckt, die er sonst für sich und seine Lebenskunst nur aufspart. Er ist noch jung und braucht sich nicht als Fertiger zu fühlen. Und will vielleicht doch auch einmal noch, um des Sohnes, um der Söhne willen, das Land unserer Söhne und Kinder, der Ueberwindung unserer Berliner W. W.- Kultur, alles dessen, was wir bisher Kultur nannten; der Kultur eines Menschen, der immerdar von sich als von einem Gottmensch sprach, und dessen Gott- und Uebermensch stets auch nur die wildeste böseste Bestie gewesen ist. Das innere, übersinnliche Erleben, das Artur Landsberger nicht in sein Werk hineingeben will, für seine Lebenskunst sich aufspart, spürt man doch als einen geheimsten, verborgensten Unterstrom, und auch für den Kritiker ist es wohl die schönste Aufgabe, wenn er, sich ganz in die Seele des Erzählers versenkend, bis dahin zu dringen sucht.
Julius Hart
Euch armen mädchen widme ich dies buch
Frau Geheimrat Reinhart
an Aenne Hoffmann.
Wertes Fräulein!
Ich habe bisher stillschweigend die Beziehungen zwischen Ihnen und meinem Sohne geduldet. Indessen scheint es mir jetzt, wo mit bestandenem Referendarexamen die Studentenzeit hinter ihm liegt, — deren Freiheiten und Torheiten ich mehr wohl als sonst eine Mutter Rechnung getragen habe — an der Zeit, dass Sie sich trennen.
Aus eben diesem Grunde habe ich meinen Sohn gebeten, auf die in solchem Fall übliche Aussprache — die sogenannte letzte Begegnung — zu verzichten. Und zwar in Ihrem Namen.
Ich durfte das, da ich weiss, dass wir uns in dem Wunsche, ihm einen notwendigen Schritt nicht unnütz zu erschweren, begegnen.
Mit gleicher Post sende ich Ihnen einen Scheck über zehntausend Mark. — Wenn Sie früher oder später einmal vor eine für Ihr Leben wichtige Entscheidung gestellt sind: möglich, dass dieser Rückhalt Ihnen dann erlaubt, neben Ihrer Vernunft auch Ihr Herz zu befragen. Und gern will ich wünschen, dass Sie dann das Richtige treffen.
Mit bester Begrüssung
Frau Geheimrat Julie Reinhart.
Aenne Hoffmann
an Frau Geheimrat Reinhart.
Gnädige Frau!
Sie reissen mich aus allen Himmeln. Ich erhalte eben während meiner Tischzeit Ihre Zeilen, die alles in mir durcheinanderwerfen. Ich bin ganz ratlos, hilflos, verzweifelt. Ich weiss ja nichts, ich verstehe ja nichts; aber ich fühle, dass das nicht geht. Nicht heut und nicht morgen, und überhaupt nicht. Bei mir nicht und auch nicht bei ihm. Sie wissen ja nicht, wie lieb wir uns haben! Das kann ja nur so ein Gedanke von Ihnen sein. Denn unsere Liebe, die hat ja nichts mit der Studentenzeit und dem Examen zu tun und mit all dem, was Sie sonst noch schreiben. Die ist eben da! Gott weiss, wieso. Ich nicht. Und ich darf auch gar nicht daran denken, dass es jemals anders kommen könnte! Ich wüsste nicht, was sonst geschähe. Also bitte! Bitte! Nichts mehr von einer Trennung! Und den Scheck lege ich wieder bei. Ich denk mir, das war nur so eine Versuchung. Aber ich brauche kein Geld, solange ich gesund bin, solange ich arbeite und — das gehört natürlich dazu — solange der Peter mich lieb hat.
Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.
Frau Geheimrat Reinhart
an Aenne Hoffmann.
Mein wertes Fräulein!
Wollte ich Ihnen die Gründe nennen, aus denen ich Ihrem: „es geht nicht!“ mit aller Bestimmtheit ein: „es muss gehen!“ entgegensetze, so hiesse das, Ihnen eine Schilderung von der Verschiedenheit der Welten geben, in der Sie und wir nun einmal leben.
Dass diese Verschiedenheit besteht, kann man