Um den Sohn. Artur Hermann Landsberger

Um den Sohn - Artur Hermann Landsberger


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macht Unterschiede, deren Feinheit verblüfft und die man in jenen Volksschichten, wenn überhaupt, dann höchstens materiell wertet. Er unterscheidet bescholtene und unbescholtene Mädchen und treibt den Wahnsinn so weit, zu behaupten, es gebe nur eine Frauenehre, und wenn ein Unterschied überhaupt existiere, dann sei es der, dass das gefallene Mädchen der Gesellschaft noch unter dem gefallenen Mädchen aus dem Volke stehe!

      Du kannst Dir denken, wie verblüfft ich war. Und da ich mit meinem Urteil nicht zurückhielt und solche Ansichten für verrückt erklärte, so machte er auch noch den Versuch, mich von der Richtigkeit seiner Wahnidee zu überzeugen.

      Seine Beweisführung ist für die Vorstellungen, in denen er lebt, zu charakteristisch, als dass ich sie Dir vorenthalten dürfte.

      Also höre! Er sagt: Das Mädchen aus dem Volke, das als Kind schon ohne Aufsicht auf der Strasse spielt, sei, kaum erwachsen in den Betrieben, in denen es arbeitet, in ganz anderer Weise der Verführung ausgesetzt als das junge Mädchen der Gesellschaft, bei dem jeder Schritt von Mutter und Gouvernante bewacht wird.

      Auch sei sich das junge Mädchen der Gesellschaft infolge seiner Erziehung und Bildung ganz anders der Tragweite seines „Falls“ bewusst und vermöge daher a priori dem Verführer einen ganz anderen inneren Widerstand entgegenzusetzen als das Mädchen aus dem Volke, das schon im zarten Alter die Scheu vor Dingen verlöre, die jenes nie zu sehen bekommt.

      So sei das Proletarierkind — ohne Erziehung, ohne Vorbild, ohne Aufsicht, ohne gesellschaftliche Rücksicht — ein leicht erlegbares Wild, das oft noch die Not dem Verführer geradezu in die Arme treibt. Während das junge Mädchen der Gesellschaft selbst erst mit List alle möglichen Hindernisse wegräumen müsse, nur um dem Verführer überhaupt die Möglichkeit zu schaffen, seine Kunst zu üben!

      So etwa Dein Sohn!

      „Aber Junge! Das Menschenmaterial ist doch ein ganz anderes!“ schrie ich empört und erhielt als Antwort: „Nein! In der Stunde der Geburt sind sie alle gleich!“ —

      Ja, liebe Julie, bei derart verschrobenen Ansichten bekommt Dein Junge es auch fertig, die Person, die er da am Halse hat, am Ende für anständig zu erklären und sie Dir eines Tages als Schwiegertochter zu präsentieren. Nach dem, was er mir da entwickelt hat — ich habe Dir natürlich nur das Wesentlichste berichtet — halte ich das durchaus für möglich.

      Da sieht man wieder mal, wie wenig man sich im gesellschaftlichen Verkehr kennen lernt. Hättest Du uns nicht die Direktiven gegeben, wir wären doch nie auf solche Dinge, die unseren Kreisen gottlob ja auch völlig fern liegen, zu sprechen gekommen.

      Du, liebe Julie, wirst ja nun wissen, was Du zu tun hast. Dass Dein Sohn noch lange bei uns bleibt, glaube ich nicht. Die Welten, in denen wir leben, sind denn doch zu verschieden.

      Das kann natürlich an unseren Gefühlen für Dich nichts ändern, die gleich herzlich sind und bleiben. Auch in Thereses Namen grüsst Dich in Liebe

      Dein Bruder William.

      Telegramm Frau Reinharts

      an ihren Sohn.

      Ich fahre, da erholungsbedürftig, heute abend Ostende Plage Hotel, wo Dich bestimmt erwarte. Du fährst am besten noch heute und sorgst für gutes Logis.

      Deine Mama.

      Frau Reinhart

      an ihren Bruder in Edinburgh.

      Lieber William!

      Mein Telegramm, das ich sofort nach der Lektüre Deines Briefes an Peter sandte, hat Euch, noch vor Empfang dieser Zeilen, von der Gegenwart meines Sohnes befreit.

      Ich bin die letzte, die seine Ideen billigt oder verteidigt. Aber ich weiss auch, dass die Jugend, die gern durch Leidenschaft ersetzt, was ihr an Erfahrung mangelt, sich aus überspanntem Ehrgefühl mit Vorliebe auf die Seite der Schwachen und Unterdrückten schlägt.

      Dieser Zug — du nennst ihn ja wohl verrückt oder gar sozialistisch — schwindet, wie alle Illusionen der Jugend, sobald die praktische Vernunft erwacht, von selbst. Ihn zu bekämpfen ist eine Pflicht, der ich mich im Interesse meines Kindes nicht entziehen werde.

      Aber ich spreche Euch, wie jedem anderen das Recht ab, daraus kränkende Schlüsse auf den Charakter meines Sohnes zu ziehen, über den ich heute wie immer schützend meine Hände breite. Ich kenne sein gutes Herz und weiss, dass er bei allem, was er tut, das Gute will. Mag er, was die Wirkung angeht, noch so oft daneben hauen und gegen das verstossen, was man heute gerade Moral nennt.

      Ja, ich gestehe, dass es selbst mir nicht immer leicht fällt, ihren Gesetzen zu folgen, die — seien wir uns selbst gegenüber doch ehrlich! — längst nicht von der Ethik, sondern von der Zweckmässigkeit bestimmt werden.

      Ueber das moralische Unbehagen, das die unreife, weil unzweckmässige Weltauffassung meines Sohnes bei Euch auslöst, kann ich — verzeiht mir! — daher nur lachen.

      Um ein „nützliches Mitglied der Gesellschaft“ aus ihm zu machen, ist es meine Pflicht, ihn zu dieser „zweckmässigen Weltauffassung“ zu erziehen und — wenn es sein muss — zu zwingen. Ich werde mich dieser Pflicht nicht entziehen. Aber ich bin mir dabei jeden Augenblick bewusst, dass ich meinen Jungen damit wohl vorwärtsbringen, nicht aber bessern kann, denn durch seine Euch entwickelten Ideen — obschon ich sie mit leidenschaftlichem Eifer bekämpfen werde — habe ich meinen Jungen, den mir Gott erhalte, wenn möglich noch lieber gewonnen.

      Bestens

      Eure Julie.

      William Wolff

      an Frau Geheimrat Reinhart.

      Liebe Julie!

      Wir hätten allen Grund, über Deine Zeilen und die Art von Peters Fortgang gekränkt zu sein. Wir sind es nicht! Vielmehr bedauern wir Deine Verblendung, die Dir Blick und Urteil trübt. Um so mehr als Du Dich zur Mitschuldigen machst und eine Verantwortung auf Dich lädst, an der Du noch einmal schwer tragen wirst.

      Du tätest wirklich gut, Peters Angelegenheit durch Deine Schwiegersöhne erledigen zu lassen, die zum mindesten in Dingen wie diesen besser als eine Frau, die ihnen weltfremd gegenübersteht, Bescheid wissen.

      Du wirst es daher hoffentlich nicht falsch auslegen, wenn wir sie von unserer Korrespondenz und den sie begleitenden Vorgängen in Kenntnis setzen. Mit der glücklichen Erledigung der leidigen Angelegenheit, an der wir keinen Augenblick zweifeln, wird auch Deine Verstimmung gegen uns schwinden, die wir nur Dein und Deines Sohnes Bestes im Auge haben.

      Wir grüssen Dich herzlich

      William und Therese.

      Ilse von Zobel

      an Frau Geheimrat Reinhart.

      Liebe Mama!

      Aus Deinen verschiedenen Nachrichten, die uns unter den jetzigen Verhältnissen natürlich ganz besonders interessieren, haben wir so gut wie nichts über die Fortschritte, die Peters Angelegenheit macht. entnehmen können.

      Kurt und ich hatten das günstig gedeutet und gehofft, dass Du uns bei Deiner Rückkehr vor ein fait accompli stellen würdest. Leider belehrt uns ein Brief von Onkel William, der eben eintrifft, eines Besseren. Danach scheinst Du ja mit einer Rücksicht zu verfahren, als wenn es sich um die Entlobung einer höheren Tochter handle.

      Ich empfinde es zwar als durchaus unpassend, mich in die Weibergeschichten von Peter zu mischen. Ich möchte aber doch, dass Du weisst, wie sehr ich in allem der Auffassung Kurts beipflichte, mit deren Befolgung Du sicherlich in Peters Interesse handelst und Dich und uns alle vor der üblen Notwendigkeit bewahrst, uns ein zweites Mal mit so unappetitlichen Dingen zu befassen.

      Tu, liebe Mama, was Kurt Dir rät und beschwere Dir nicht den Kopf durch übertriebene und deplazierte Rücksichtnahme, wo nur ein schneller Entschluss und fester Wille zum Ziele führen.

      In Liebe

      Deine Tochter Ilse.

      Kurt von Zobel

      an Frau Geheimrat Reinhart.

      Liebe


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