Um den Sohn. Artur Hermann Landsberger
geht ihren Gang — und wir müssen ihn mitgehen. Das mag manchmal nicht leicht sein. Aber sich widersetzen, heisst: zu Schaden kommen. Was Ihnen jetzt geschieht und was ich von Ihnen fordre, ist nichts Ungewöhnliches und nichts Unerhörtes, fast möchte ich sagen: es ist etwas Alltägliches.
Daran ändert nichts, dass es jeder, dem es just passiert, als ein grosses Unglück empfindet — und ein noch grösseres Unrecht.
Erfragen Sie unter Ihren Kolleginnen, soweit sie nicht gar zu jung oder gar zu hässlich sind, ob sie nicht alle einmal diesen ersten Schmerz ertragen mussten und — wie sie ihn ertragen haben. Denn so viel ersehe ich bereits aus Ihren wenigen Zeilen, dass Sie nicht weltfremd genug sind, um zu glauben, mein Sohn, dem bei seiner Begabung und seinem Namen, den ihm sein in Gott ruhender Vater hinterlassen hat, und den in Ehren zu halten seine erste Pflicht ist, die Welt offen steht, konnte jemals daran denken — ja, ich will nicht ein Gespenst an die Wand malen, dessen ganze Widersinnigkeit so augenfällig ist, dass sich bei dem blossen Gedanken meine Feder sträubt.
Also, mein liebes Fräulein, nehmen Sie Vernunft an, statt sich im Ueberschwange Ihrer Gefühle jeder verständigen Erwägung zu verschliessen. Was sich heute vielleicht in einem grossen Schmerze äussert, dann aber als liebe Erinnerung, die man nicht einmal missen möchte, fortlebt, würde in zwei Jahren wahrscheinlich Ihren Zusammenbruch bedeuten.
Mir liegt als Mutter vor allem daran, von meinem Sohne alles, was die Heiterkeit seines von Natur aus frohen Gemütes trüben könnte, so lange wie irgend möglich fern zu halten.
Sie haben es also in der Hand, ihm einen notwendigen Schritt zu erschweren oder zu erleichtern. Ich weiss, dass stumm entsagen, grosse Liebe voraussetzt. Aber da ich keinen Grund habe, an der Aufrichtigkeit Ihrer Gefühle zu zweifeln, so weiss ich auch, wie Sie sich nun entscheiden werden.
Ich versichere Sie meiner aufrichtigen und jederzeit bereitwilligen Gesinnung und bin mit freundlichen Grüssen Ihre ergebene
Julie Reinhart.
Aenne Hoffmann
an Frau Geheimrat Reinhart.
Gnädige Frau!
Ich sitze vor Ihrem Briefe und weiss mir nicht zu helfen. Ich möchte ja gewiss alles Gute tun, um ihm zu nützen. Aber was Sie wollen, das kann nicht gut sein. Ich will die Welt nicht ändern; und auch die Menschen nicht. Es soll nur alles so bleiben, wie es ist — und was weiter kommt, das wollen wir ruhig der Zukunft überlassen.
Ich habe die Sprache nicht in der Gewalt wie Sie, und mir fehlt ja auch die Erfahrung, aber das sagt mir doch mein Verstand: wenn Peter so dächte, wie Sie, dann wäre es gewiss nicht nötig, dass Sie mir viele gute Worte geben. — Aber Peter denkt anders! Das weiss ich! Peter denkt wie ich!
Also nochmals: ich kann nicht! Und bitte, quälen Sie mich nun nicht länger. Ich bin schon halbtot und kann meine Erregung vor meinen Eltern kaum noch verbergen.
Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.
Frau Geheimrat Reinhart
an Aenne Hoffmann.
Wertes Fräulein!
Statt wie ein vernünftiger Mensch zu erwägen, zu prüfen und zu entscheiden, flattern Sie wie ein gescheuchter Schmetterling schreckhaft auf. Ich fürchte sehr, Sie werden sich, wenn Sie mir nun nicht bald folgen, die Flügel verbrennen!
Ich würde es sehr bedauern, wenn Sie mich durch weiteren Widerstand zwängen, die Vermittelung Ihrer gewiss ahnungslosen Eltern in Anspruch zu nehmen.
Dies ist mein letzter Versuch. Eine weitere Korrespondenz wäre zwecklos. Ich füge auch den Scheck wieder bei und begrüsse Sie bestens.
Frau Geheimrat Reinhart.
Telegramm Aenne Hoffmanns
an Peter Reinhart.
Dr. Peter Reinhart. 7 Montague Square. Edinburgh. Denke, Deine Mama schreibt mir, dass mich von Dir trennen soll. Bin völlig hilflos und verzweifelt; drahte, dass fühlst wie ich, dass Trennung unmöglich Ganz Deine Aenne.
Aenne Hoffmann
an Frau Geheimrat Reinhart.
Gnädige Frau!
Ich wusste mir in meiner grossen No nicht anders zu helfen und habe an Peter nach Schottland telegraphiert. Und Peter hat geantwortet: „Sei standhaft! Ich halte zu Dir!“
Sie sehen also, wie recht ich hatte! Ich wusste es ja! Es wäre auch furchtbar, wenn es anders wäre.
Darum dürfen Sie aber nicht etwa denken, dass Peter Sie nicht lieb hat. Ich weiss, wie er an Ihnen hängt. Und wenn er jetzt auch zu mir hält — lieb hat er Sie darum doch. Ich liebe ja meine Eltern auch und könnte doch ohne den Peter nicht leben.
Und nicht wahr, nun quälen Sie mich nicht mehr. Sie werden ja auch fühlen, dass es für Peter gut ist, wenn alles so bleibt, wie es ist.
Ich bin schon ganz krank von all den Aufregungen der letzten Tage. Wenn doch Peter erst wieder da wäre!
Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.
In grosser Eile! Daher nur dies! Und dies so flüchtig! Es ist mittags, und ich muss ins Bureau!
Frau Geheimrat Reinhart
an Frau Hoffmann.
Werte Frau Hoffmann!
Es tut mir leid, Sie mit diesen Zeilen bekümmern zu müssen; aber meine Versuche, Ihnen den Kummer zu ersparen, sind an dem Eigensinn Ihrer Tochter gescheitert.
Ich weiss nicht, ob es Ihnen bekannt ist, dass Ihr Kind seit einer Reihe von Jahren zu meinem Sohne Beziehungen unterhält, deren Charakter mir natürlich unbekannt ist. Es liegt mir daher fern, etwa der Ehre Ihrer Tochter zu nahe zu treten.
Jedenfalls musste sie sich bei der Verschiedenheit ihres Bildungsgrades und ihrer sozialen Stellung von vornherein klar darüber sein, dass diese — nun, nennen wir es einmal Freundschaft, eines Tages ihr Ende finden würde. Wie derartige Beziehungen denn überhaupt wegen der Schwere der Trennung nicht über Jahre hinaus bestehen sollten.
Und da mein Sohn mit Bestehen der ersten staatlichen Prüfung — nicht mehr wie bisher entschuldigt durch seine Jugend — die volle Verantwortung für alle seine Handlungen trägt, so darf er auch nicht mehr in das Schicksal eines Menschen eingreifen, dessen Leben von Natur aus eine andere Richtung geht als das seine.
Aus diesem Grunde liegt es im Interesse unserer beiden Kinder, dass sie ihre Beziehungen, gleichviel welcher Art sie waren, abbrechen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in diesem Sinne auf Ihre Tochter einwirken; ihr jede weitere, auch schriftliche, Verbindung mit meinem Sohne verbieten und dafür sorgen, dass auch jeder Versuch meines Sohnes, sich ihr wieder zu nähern, an Ihrer strengen Aufsicht und dem festen Willen, einen Verkehr nicht mehr zu dulden, scheitert.
Die kleine Summe, die ich in einem Scheck beilege, ist dafür bestimmt, Ihrer Tochter, der wir alles Gute wünschen, das Fortkommen zu erleichtern.
Hochachtungsvoll
Frau Geheimrat Reinhart.
Frau Hoffmann
an Frau Geheimrat Reinhart.
Sehr gnädige Frau Geheimrat!
Es ist der reine glückliche Zufall, dass Ihr Brief kam, als mein Mann fort war. Denn so schlimm alles schon ist, vor dem Schlimmsten blieb mein Kind wenigstens bewahrt. Wir haben nur das eine, und sie hat uns nie Sorge gemacht, war immer ordentlich und fleissig und verdient jetzt 180 Mark im Monat. Dass sie den Peter liebt, wusste ich — aber um Himmelswillen, wenn mein Mann das erfährt, dass sein Kind — und dass ich darum weiss! — Aber sehen Sie, immer nur arbeiten — die halben Nächte hat sie gesessen, als sie auf der Handelsakademie war und hat nebenbei verdient, um uns nicht zur Last zu fallen. — Und wie dann das mit dem Herrn Peter anfing, das hat sie mir alles erzählt — wie sie sich kennen lernten bei dem Stenographenkursus und wie er sie dann bat, zusammen zu arbeiten. Na, und wie das dann eben