Um den Sohn. Artur Hermann Landsberger
diese Harmlosigkeit erschwert den an sich so einfachen Vorgang. Ich habe die Leute nun glücklich so weit, dass sie als Schmerzensgeld zehntausend Mark von mir genommen haben. Es scheint aber, als ob Du dem Mädchen mehr als nötig den Kopf verdreht hast. Ich finde das nicht recht, mein Junge, denn man soll in keinem Menschen Hoffnungen erwecken, von denen man weiss, dass man sie nicht erfüllen kann. Immerhin bin ich bereit, wenn es Dich beruhigt, ein übriges zu tun, und ihr, respektive der Mutter noch ein paar tausend Mark zu senden.
Von Dir erwarte ich nunmehr ein paar für das Mädchen bestimmte Zeilen, in denen Du Deiner jetzigen Position wegen von ihr Abschied nimmst — nicht zu elegisch bitte, sie verträgt das nicht — und ihr alles Gute für die Zukunft wünschst.
Damit ist dann diese Episode, um die ich mich nur ungern gekümmert habe, hoffentlich erledigt, und Du wirst von nun an in diesen Dingen etwas vorsichtiger sein. Denn Du bist jetzt in einem Alter, das Frauen, für die Du Interesse zeigst, an eine Ehe zu glauben berechtigt. Darauf musst Du nun auch in der Wahl Deines Verkehrs Rücksicht nehmen und nur mit Leuten Umgang pflegen, von denen Du weisst, dass auch ich sie in meinem Hause empfangen würde.
Dir steht jedes Haus offen. Du kannst dank dem Namen und dem Vermögen, die Dir Dein Vater hinterlassen hat, und dank Deiner Persönlichkeit die höchsten Anforderungen stellen. Und es wird das Glück meines Alters sein, Dich an der Seite einer Dir würdigen Frau zu wissen, die auch ich lieben kann.
In treuer Liebe
Deine Mutter.
Dr. Peter Reinhart
an seine Mutter.
Liebe Mama!
Auf Deine soeben empfangenen Zeilen schnell ein Wort der Erwiderung. Ich bitte Dich, mir zu glauben, dass mir Vaters letzte Worte soviel gelten wie Dir. Aber ich kann sie nur mit meinem Herzen und meinem Verstande fassen und nicht durch das Herz und den Verstand eines Dritten: selbst dann nicht, wenn dieser Dritte meine Mutter ist.
Dein Wunsch, mich von diesem Mädchen zu trennen, aber hiesse: Vaters letzten Willen ins Gegenteil kehren. Denn ich würde damit, um mich Deiner Worte zu bedienen, bewusst das Unglück eines Menschen verschulden; nach Vaters, Deiner und meiner Ansicht also aufhören, ein anständiger Mensch zu sein. Dass das Dein Wille nicht ist, weiss ich.
Du begreifst, dass mir heute die Stimmung und Ruhe fehlten, um auf den sonstigen Inhalt Deiner Zeilen einzugehen. Daher nur herzliche Grüsse!
In Liebe
Dein Peter.
Frau Geheimrat Reinhart
an ihre Schwägerin in Edinburgh.
Meine liebe Therese!
Jeder Brief meines Sohnes zeigt mir aufs neue, wie dankbar ich Euch für die Art sein muss, in der Ihr meinen Jungen auch diesmal wieder bei Euch aufgenommen habt.
Mehr als einmal habe ich mir in den letzten Jahren gesagt, dass Ihr wohl recht hattet, als Ihr mir beim Tode meines Mannes rietet, Euch den Jungen auf ein paar Jahre zu überlassen, der gerade in seinem damaligen Alter, mehr noch als die Liebe der Mutter, die Freundschaft eines Vaters brauchte.
Denn eine Freundschaft zwischen Mutter und Sohn ist in dem Augenblick gefährdet, wo der Junge aufhört, Kind zu sein. Und ist man erst mal in einer für die Weiterentwickelung wichtigen Frage als Freund und Berater ausgeschaltet, dann hat man bald auch jeden inneren Zusammenhang mit seinem Kinde verloren, das gerade im ersten Stadium der Reife, in der es alles unter dem oft ganz unbewussten Einfluss des Geschlechts betrachtet, so sehr der Leitung eines väterlichen Freundes bedarf.
Aber welche Mutter trennt sich wohl ohne Not von ihrem Kinde. Und wenn auch nur auf Jahre. Noch dazu zu einer Zeit, zu der sie, wie ich, eben ihr Bestes verloren hatte.
Heute bereu ich es und wünschte, ich hätte mehr an den Jungen, weniger an mich gedacht.
Bitte lies, was mir der Junge auf meine Bitte, sein Verhältnis zu einer kleinen Sekretärin zu lösen, antwortet. Muss einem da nicht der Verstand stille stehen? Das einfachste wäre natürlich, diesem unwürdigen Zustande kurzerhand ein Ende zu machen. Aber Du kennst die Empfindsamkeit Peters und weisst, wie sehr er zu Exzentrizitäten neigt. Damit muss ich in diesem Falle, der so deutlich zeigt, wie unreif er noch ist, ganz besonders rechnen. Zumal es letzten Endes ja auch hier nur wieder seine grosse Güte ist, die ihn Pflichten sehen lässt, wo keine sind. Darum will ich versuchen, der Sache ein Ende zu machen, ohne ihm weh zu tun. Dass es für mich natürlich nur noch eine Pflicht gibt, ihn so schnell wie möglich von diesem Mädchen zu trennen, brauche ich Dir, die Du selbst Mutter zweier blühender Söhne bist, nicht zu sagen.
Du kannst mir nun — und darum dieser lange Brief — dabei von Nutzen sein. Einmal dadurch, dass Du Peter so lange wie irgend möglich bei Euch hältst. Das wird nach seinen begeisterten Briefen zu urteilen nicht allzu schwer fallen. Dann aber, indem Du ihn vielleicht mit Hilfe Deiner Söhne für andere Frauen zu interessieren suchst. Sprecht ihm von seiner grossen Zukunft, von dem Namen, den ihm sein Vater hinterlassen hat, erfindet Fälle, wo junge Leute sich zu fest an ihre Verhältnisse attachierten, nicht mehr loskamen, sie zu ihren Frauen machten und unglücklich wurden. Ich meine, dass er dann von dieser Caprice lassen wird. Möglich aus freier Entschliessung und ohne Emotionen, die in dem Augenblick, in dem ich mich an den Vater des jungen Mädchens wende, wahrscheinlich unvermeidlich wären.
Ihr werdet es mir, die ich schon in Eurer Schuld stehe, hoffentlich verzeihen, wenn ich Euch, in Sorge um meinen Sohn, nun auch noch um diesen Liebesdienst bitte.
Grüsse mir meinen Bruder herzlich und sei selbst umarmt von Deiner treuen Schwägerin
Julie.
P. S. Den Brief Peters an mich, den ich ihm mit gleicher Post, und zwar bestimmter, als es mein Gefühl verlangt, beantworte, lege ich bei.
Frau Geheimrat Reinhart
an ihren Sohn.
Mein lieber Junge!
Eine andere Mutter würde Dir auf Deine Zeilen antworten: „wähle zwischen ihr und mir!“ und würde vielleicht unter Berufung auf Deinen Vater auf Dich einzuwirken suchen. Beides liegt mir fern. Denn ich kann nicht glauben, dass Du so verblendet bist, wie es nach Deinen Zeilen scheint. Nur eins, lieber Peter, verbiete ich Dir: den Namen Deines Vaters in Zusammenhang mit dieser Geschichte zu bringen, die ich, nimm es mir nicht übel — nicht anders als die groteske Verirrung eines verliebten Studenten bezeichnen und — soll sich das Bild, das ich von Dir im Herzen trage, nicht ins Gegenteil kehren — nicht ernst nehmen kann.
Du wirst von mir nicht erwarten, dass ich mich über absolut indiskutable Dinge mit Dir in einen Briefwechsel einlasse. Ich wünsche, von der ganzen Geschichte nun nichts mehr zu hören, es sei denn, dass Du mir sagst: sie ist zu Ende.
In Liebe
Deine Mutter.
William Wolff
an Frau Geheimrat Reinhart.
Liebe Julie!
Wir haben Deinen Jungen, der sich bisher in jeder Beziehung als vollendeter Gentleman gezeigt hat, bereits so lieb gewonnen, als wenn es unser eigener wäre. Daraus wirst Du schon schliessen können, wie sehr uns Dein Brief erregt hat. Wir haben es nicht glauben wollen, dass dieser wohlerzogene, ungewöhnlich gescheite und sympathische Mensch imstande wäre, eine Geschmacklosigkeit wie diese zu begehen. Leider belehrte uns Dein Brief eines Schlechteren.
Ich habe ihm nun, wie Du es wünschtest, in diesen Tagen verschiedentlich auf den Zahn gefühlt, und wir haben mehrmals stundenlang miteinander geplaudert. — Ja, liebe Julie, es wird mir schwer, aber sagen muss ich es Dir doch, dass ich den Eindruck gewonnen habe, als wenn Dein Sohn sich auf schiefer Bahn bewegt. Er entwikkelt Ansichten, die man von Söhnen unserer Kreise glücklicherweise sonst nicht zu hören bekommt. Er verwechselt, scheint mir, Christentum mit Sozialismus. Er verwirft jede Wertung des Menschen nach Geburt, Kinderstube, Erfolg und Stellung! Ihm ist die Gesinnung alles, und er legt sich sein Christentum aus, wie’s ihm passt.
Es soll mich daher nicht wundern, wenn er aus seiner Aventüre mit diesem Frauenzimmer