Colours of Life 2: Rosengrau. Anna Lane

Colours of Life 2: Rosengrau - Anna Lane


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zu entfliehen, presse ich noch hervor: »Denkst du wirklich so?«

      Nun bin ich wirklich wütend. Auf mich selbst. Ich war nicht da, und ich habe Crys nicht geholfen. Für mich ist es einfach, mich zu regenerieren. Ich habe gelernt, meine Scherben schnell aufzusammeln und mich beinahe schmerzlos wieder selbst zusammenzusetzen, aber Crys … Die Anstalt hat viel angerichtet und ich vielleicht noch mehr, indem ich nicht da war.

      Crystal öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Die Sekunde, bevor sie endgültig spricht, zieht sich beinahe ewig hin.

      »Nein.« Es kommt sanft von ihren Lippen, wie ein müdes Eingeständnis.

      Ich reiße meinen Blick von der Heckscheibe des geparkten Wagens vor uns los. Keinen Moment lang halte ich inne, sondern küsse sie stürmisch. Und sie küsst mich zurück. Wir holen nicht Luft.

      ***

      Crys

      Bitter, atemlos, unvorhergesehen. Dieser Kuss fühlt sich genauso an. Fast wie im Wald, auf der Flucht, auf der wir uns beinahe selbst verloren hätten. Nein. Warte. Langsam lösen sich meine Finger aus seinem Haar, ich rücke unmerklich von ihm ab. Meine Hand wandert von seinem Hals zu seiner Brust, ich drücke ihn weg von mir.

      Ich habe mich verloren.

      »Was …?«, flüstert Cam, die Stimme erstaunt, leise, rau.

      Ehe er reagieren kann, trifft meine flache Hand schon seine Wange. Der Schlag ist nicht fest, aber dennoch heftig genug, um Cam aus der Fassung zu bringen. Oh Gott, ich habe ihn gerade geschlagen.

      »Denkst du wirklich, ein Kuss kann alles wieder in Ordnung bringen?«, frage ich ihn aufgebracht. Die zuckersüße Lethargie fällt von mir ab, schenkt mir ein paar Minuten Leben, das sich in Rage verwandelt. Was bildet er sich überhaupt ein?

      Cam legt seine Hand an sein stoppeliges Kinn, streicht über die Stelle, die ich getroffen habe. »Ähm … ja?« Er starrt mich an.

      Ich starre eine Sekunde finster zurück, sein Blick ist fest, dann lasse ich mich mit einem Seufzen zurück in den Sitz sinken. Diesmal bin ich diejenige, die die Augen auf die Windschutzscheibe gerichtet hält.

      »Du hast mich in Sicherheit gebracht, Cam, das weiß ich, und dafür bin ich dir dankbar. Aber du hast etwas ganz Wichtiges dabei vergessen.«

      »Was?«, fragt Cam. Ich kann seinen Blick auf mir spüren. Ich versuche, die Tränen, die hinter meinen Augen stechen, so gut es geht zu ignorieren.

      »Folgeschäden.« Ich fühle, wie sich in meinem Hals ein dicker, fester Knoten bildet, der mir die Luft zum Atmen nimmt.

      »Crys«, fängt Cameron an, legt seine Hand auf meinen Arm, doch ich wische sie weg.

      »Du bist abgehauen, Cameron. Du warst weg, als ich dich am meisten gebraucht habe!« Die Tränen fließen jetzt unaufhaltsam über meine Wangen, tropfen still auf mein Kleid und hinterlassen dunkelblaue Flecken. »Du hast mich fallengelassen, in eine andere Welt, in der ich mich nicht zurechtfinde. Und dann erwartest du, dass du einfach kommen und gehen kannst, wie du willst? Dass ein Kuss von dir wieder alles gut werden lässt?«

      Cameron hebt erneut seine Hand, diesmal schüttle ich sie nicht ab, als er mich an der Schulter berührt. Nach einiger Zeit löse ich meinen Blick von der Welt draußen, die langsam in herabfallenden Regentropfen ertrinkt.

      »Ich gehöre zum Requiem, und das Requiem gehört zu mir. Ich kann mir nicht aussuchen, wohin ich gehen muss. Aber ich konnte mir aussuchen, dass ich Teil davon sein möchte«, antwortet er leise.

      Ich schlucke, halte mich nicht damit auf, die Tränen wegzuwischen. »Wirst du mir sagen, wohin sie dich schicken, wenn ich frage?« Meine Stimme zittert.

      Cams Stimme ist fest. »Nein. Das kann ich nicht.«

      Ich nicke, wende meine Augen wieder ab. Damit habe ich gerechnet. Ich kann ihn einfach nicht ansehen, wie er dasitzt, gutaussehend, echt, lebendig. »Je weniger ich weiß, desto besser, was?«, schniefe ich, wische mir endlich die Tränen aus den Augen.

      Cameron seufzt, legt seine Hand auf meine. Ich starre unsere Finger an, die sich diesmal nicht miteinander verweben.

      »Ich will diese Floskel nicht bestätigen, aber ja, genauso ist es. Es ist nur …«

      »Zu meinem Besten. Schon klar. Ich weiß, wie das läuft, Cam. Denkst du, ich stelle deine Loyalität gegenüber dem Requiem infrage?« Ich schüttle den Kopf. »Du wirst dein ganzes Leben lang gefährliche Dinge tun, und ich werde hoffen, dass jedes Mal, wenn du gehst, nicht das letzte Mal sein wird, dass ich dich sehe. Das wird alles sein, was ich je im Leben haben werde.«

      Cam atmet laut aus, ich sehe ihn an. Er fährt sich durch die Haare, fühlt sich unwohl in der Situation. Natürlich. Er hatte ja auch erwartet, dass ich ihm um den Hals falle, als wäre nichts gewesen. Um ehrlich zu sein – diese Möglichkeit wäre verlockend, hätte ich nicht noch meinen letzten Funken Selbstachtung gespürt.

      »Das stimmt nicht. Es wird besser werden.« Obwohl er meinen Blick fest mit seinen dunklen Augen erwidert, glaube ich ihm nicht.

      »Oh, das heißt, ich darf in fünfzig Jahren wieder rausgehen, ohne mich vor jedem in einer dunklen Ecke lauernden Schatten fürchten zu müssen?«

      »Crys …« Zwischen Cams Augenbrauen bildet sich eine gequälte Falte. Ich lasse ihn nicht ausreden.

      »Wir beide wissen sehr gut, dass in diesem Krieg alles passieren kann. Er kann morgen enden oder den Rest unseres Lebens dauern. Und wenn Letzteres der Fall sein sollte, will ich mich nicht andauernd verstecken müssen.«

      Cam schüttelt den Kopf, spannt seine Kiefermuskeln an. »Nicht, wenn ich dich beschütze.«

      Ich rolle mit den Augen. Meine Tränen sind versiegt, sind einer angespannten Nervosität gewichen. »Du kannst mich nicht beschützen, Cam! Nicht vor allem und jedem! Es sei denn, du willst mich im Keller des Fountains einsperren und anschließend die Tür zumauern.«

      Cameron schüttelt heftig den Kopf, die Sterne in seinem Blick flackern auf. »Könntest du nur einmal nicht so verdammt sarkastisch sein? Nur ein einziges Mal?«, presst er zwischen seinen Zähnen hervor.

      »Tut mir leid, es ist einfach nicht meine Art, dabei zuzusehen, wie das Leben an mir vorbeizieht. Jetzt, wo ich wieder eines haben könnte«, schnappe ich zurück.

      »Und wem verdankst du das?«, herrscht Cameron mich plötzlich an. Ich zucke zusammen, seine laute Stimme füllt den Wagen. Er sieht mich an, jetzt so wutentbrannt wie schon lange nicht mehr. Ich erwidere seinen Blick ganz ruhig.

      »Und hast du noch ein anderes Argument, das mich dazu verpflichtet, nur das zu tun, was du für richtig hältst?«

      »Ich weiß, was gut für dich ist. Du nicht. Das ist das einzige Argument, das ich brauche.«

      Ich verschränke meine Arme vor der Brust. »Und das zeigst du mir, indem du immer für mich da bist? Wach auf, Cam. Dein Heldenkomplex mag ja recht ehrenhaft sein, aber ich lasse mich nicht mehr einsperren. Weder von dir noch von Carter.«

      Einen Augenblick sieht er mich noch an, Wut und Verschlossenheit zeichnen seinen Blick. Er versteht mich nicht. Dann startet er den Motor.

      »Ich denke, wir sollten zurückfahren. Carter wird sowieso schon auf mich warten.«

      »Sollten wir«, schließe ich und recke mein Kinn in die Höhe. Jede Sekunde des Nachhausewegs fällt es mir schwerer, die Tränen zurückzuhalten. Doch irgendwie schaffe ich es, ihnen erst freien Lauf zu lassen, als ich die Zimmertür hinter mir schließe.

      3

      One grief on me is laid

      Each day of every year,

      Wherein no soul can aid,

      Whereof no soul can hear.

      The Most of It

      Cameron

      »Komm


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