Colours of Life 2: Rosengrau. Anna Lane

Colours of Life 2: Rosengrau - Anna Lane


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würde ja sagen, es tut mir leid«, sage ich, während ich mich im Nacken kratze.

      »Ich weiß«, erwidert er trocken. »Und wegen deiner Leidenschaft braucht dich das Requiem auch. Dumm nur, dass dich genau diese Charaktereigenschaft immer wieder in Schwierigkeiten bringt.«

      Mein Mundwinkel zuckt vergnügt. »Hast du nicht vor der Anstalt gesagt, dass ich viel reifer geworden bin in letzter Zeit?« Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Carter sieht mich an, in einem grauen Hemd und mit einer Brille auf der Nase. Irgendwie ist es ungewohnt, ihn nicht in Militärkleidung zu sehen, sondern eingepfercht hinter einem Schreibtisch, der viel zu klein für ihn scheint.

      »Ich sage nicht, dass du aufhören musst, sie zu mögen. Ich verlange aber, dass du deinem Drang, bei ihr zu sein, nicht erliegst. Zumindest nicht, bis …«

      Mal abgesehen davon, dass er meine Frage ignoriert, fängt er jetzt schon wieder damit an.

      »Ich regle die Sache.« Unwillkürlich verkrampft sich mein Kiefer.

      »Tust du immer, ich weiß. Nur wenn du dich nicht an unsere Regeln hältst, dann kann es sein, dass Karen ein Machtwort spricht. Sie ist impulsiv, genau wie du. Muss wohl in der Familie liegen«, murmelt er und schüttelt den Kopf, bevor er wieder spricht. »Jedenfalls wird sie es nicht gutheißen, wenn du dich nicht von Crystal fernhältst – zumindest für eine gewisse Zeit.«

      »Jeff«, fange ich an, doch er schneidet mir abrupt das Wort ab.

      »Ich werde Karen nichts bezüglich des heutigen Abends sagen. Aber sie hat recht, Cam. Crystal lenkt dich zu sehr ab. Wenn das alles vorbei ist und du deine Aufgaben erledigt hast, kannst du wieder tun und lassen, was du willst.«

      Und wann soll das sein? Wann ist meine Aufgabe zu Ende? Ich wusste noch gar nicht, dass ich Karens Eigentum bin – obwohl ich in den letzten Jahren zunehmend das Gefühl hatte. Seit meine Brüder verschwunden sind, überwacht sie beinahe jeden meiner Schritte.

      »Karen ist meine Tante, nicht meine Mutter. Und auch, wenn du dich wie mein Vater benimmst, bist du nur mein Onkel. Jedenfalls habt ihr beide kein Recht, euch in mein Privatleben einzumischen.« Mein Kiefer arbeitet.

      Jeff seufzt. »Das Requiem wird beobachtet. Von oberster Stelle. Und wenn einer unserer Gönner glaubt, dass wir unsere Mission nicht erfüllen, dann haben wir ein Problem. Karen tut, was sie kann, um uns Spenden zu beschaffen.«

      »Es geht ums Geld?« Er zuckt nicht einmal mit der Wimper, als ich ihn anblaffe. »Seit wann sind wir von irgendwelchen Politikern oder Geschäftsmännern abhängig?«

      Ich starre Carter an, obwohl es ein Kampf ist, den ich nicht gewinnen kann.

      »Seitdem wir ohne ihre finanzielle Zuwendung keinen unserer Leute irgendwo hinschicken können. Oder ausbilden. Karen tut, was sie kann, um uns Einfluss und genügend Kapital von den richtigen Leuten zu besorgen. Lobbying ist nicht einfach. Ich sorge dafür, dass bei den Schlachten, die wir schlagen, alles glatt läuft.« Sein langes Ausatmen ist das einzige Geräusch im Raum. »Hin und wieder denke ich, dass du unsere Arbeit hier hochstilisierst. Wir sind nicht die Guten, wir sind auch nicht die Bösen. Wir sind nur Menschen, die diesen Krieg hier so schnell wie möglich beenden wollen. Aber wir verwenden genau die gleichen Mittel wie die, die wir bekämpfen. Nur unser Handeln hat einen anderen Zweck.«

      Hochstilisieren. Mein linker Mundwinkel zuckt. Diesmal nicht aus Belustigung. »Einen höchst ehrenwerten, was?«, spotte ich, obwohl ich weiß, dass ich es bereuen werde. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich Carter noch nie wütend gesehen. Er bleibt ruhig – wie immer.

      »Du kannst auch austreten. Dann kannst du tun, was du willst. Du bist kein Gefangener, Cameron. Auch wenn du dich manchmal so fühlst. Aber wenn du wirklich gehen wolltest, hättest du das schon längst getan.«

      Ich starre Carter lange an. Er hat recht, das weiß er. Ich weiß es auch. Und das ist das Beschissene an dieser Sache. Das Requiem ist meine Familie. Aber, scheiße, ich lasse mir nicht sagen, wen ich lieben soll und wen nicht.

      Carter schüttelt kaum merklich seinen Kopf. »Wenn ich deinen Dickschädel nicht zur Vernunft bringen kann, dann wirst du über kurz oder lang selbst mit den Folgen klarkommen müssen.«

      Ich stöhne laut auf, erhebe mich dann mit Schwung aus dem Stuhl. »Der Schreibtischjob steht dir nicht, Carter«, sage ich, als ich mich zum Gehen wende.

      »Cameron?«

      »Ja?« Ich drehe mich genervt um.

      »Wenn du sie wirklich so sehr magst, wie ich vermute, dann sollte dir alles an ihrer Sicherheit liegen. Aber du bist selbstsüchtig, das hattest du deinen Brüdern voraus. Deshalb hast du wahrscheinlich bis jetzt überlebt.«

      ***

      Crys

      »Ihr werdet das schaffen«, sage ich, während ich über Lynns Arm streiche und mir ein Lächeln auf die Lippen zwinge. Nehmt mich mit, würde ich am liebsten sagen. Aber ich weiß, dass sie ohne mich besser dran sind.

      »Das hoffe ich auch«, antwortet sie und tätschelt meine Hand. In ihren Augen sehe ich, dass sie mein Lächeln völlig enttarnt.

      »Hast du alles dabei?« Shinji kommt in Lynns Zimmer, einen Rucksack über die Schulter gehängt. Ich weiß nicht, was er mit alles meint, doch bis jetzt hat sich in Lynns Rucksack auf ihrem Bett noch nicht viel außer ein paar Kleidungsstücken gesammelt.

      »Fast«, sagt sie, und sie sieht ihn an, ein komischer, kurzer Blick, als wüssten sie etwas, das ich nicht weiß.

      »Was ist der Plan?«, frage ich die beiden.

      Shinji fährt sich durch die kurzen, schwarzen Haare und sieht mich mit ruhigen Augen an. »Irgendwie wieder nach China zu kommen. Ohne erwischt zu werden. Laut Carter soll es drüben ziemlich friedlich sein. Zumindest auf dem Land. Bis sich die Lage in der Stadt der Mitte beruhigt hat, bleiben wir bei meinen Eltern.«

      Ich nicke, obwohl der Neid mich wie ein Blitzschlag durchfährt. Eltern. Ich werde meine wahrscheinlich nie wiedersehen. Ich schüttle die negativen Gedanken ab und umarme Lynn. Neptune ist zwar meine allgegenwärtige Begleitung, aber Lynn … Lynn und ich sind uns ähnlich. Zumindest halbwegs.

      »Für Finn«, sage ich und drücke ein letztes Mal ihren Arm. Lynn nickt, ihre Augen glänzen, und einen Moment sieht sie mich fast bittend und zweifelnd an, als wollte sie eigentlich gar nicht weg von hier. Als hätte sie Angst. Doch dieser Moment dauert nur eine winzige Sekunde, dann ist sie wieder ganz ihr ausgeglichenes Selbst. »Pass auf dich auf, Crys. Lass dich nicht von deinen Feinden kriegen.«

      Die Uhr über dem Kühlschrank tickt stetig auf die Sechs zu, eigentlich würde ich noch oder schon im Bett liegen, doch ich konnte einfach keinen Schlaf finden. Der Streit mit Cam liegt mir noch immer schwer im Magen. Ich habe mich gestern schon leergeweint, und bis auf ein hohles Gefühl in mir drinnen ist der Schmerz schon abgeflaut.

      Ich hebe die Hand und will nach einem Joghurt greifen, auf dem ein Zettel mit der Aufschrift ›Finger weg, Crys! N.‹ klebt, als das Licht im Kühlschrank wild flackert, dann ganz ausfällt. Das ist schon der dritte Stromausfall, seit ich hier bin. Ich werfe die Kühlschranktür zu, taste mich im Dunkel an der Kücheninsel entlang, bis zur Tür und ins Esszimmer. Ich fluche leise, als mein Zeh gegen ein Tischbein stößt, und blinzle ein paar Mal, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen.

      »Könnte mal jemand das verdammte Licht wieder anmachen? Danke!«, schallt es aus dem oberen Geschoss, ich zucke überrascht zusammen. Neptune knallt die Tür seines Zimmers zu, der Nachhall lässt das Geländer im Vorhaus erzittern.

      »Schon dabei.« Mein Murmeln verliert sich in der Dunkelheit. Beim letzten Stromausfall waren Tyler und ich gerade in der Küche. Wo hatte er noch gleich die Taschenlampe her? Irgendwo bei der Rezeption müsste er sie hingelegt haben, wenn ich mich recht erinnere. Vorsichtig tapse ich in Richtung des Eingangs, bis ich in der Finsternis das langgezogene Pult ausmachen kann.

      Mein Knie trifft schmerzhaft auf eine halboffene Lade unterhalb des Tisches, und ich ziehe erneut die Luft ein. »Das


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