Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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eine Rasenbank erreicht hatten, die in dem Baumhofe angelegt war und sich an den mächtigen Stamm einer prachtvollen Buche lehnte, die über die birnen- und äpfeltragenden Nachbarn weit hinausragte. Diese Höhe und der majestätische Umfang des Wipfels hatte sie wahrscheinlich vor dem Untergange gerettet, als man den Baumhof anlegte. Katharina setzte sich und fuhr in ihren Erzählungen fort. Bernhard stand vor ihr und bemerkte, wie sie einigemal verstohlen nach einer Stelle des Baumstammes blickte. Er brachte sein Auge näher an die Rinde und fand mit einem Bleistift darauf geschrieben:

      Wenn du anhero kommst, o göttliche Celinde,

       Und in dem Schatten ruhst von dieser breiten Linde,

       Bedenke, daß dein Hirt so manche Sternennacht

       Mit kläglichem Gestöhn an diesem Stamm vollbracht.

      Darunter war ein von zwei Pfeilen durchschossenes Herz gezeichnet. Bernhard fühlte einen Anflug von Aerger über die Verse, weil er an Katharinens Miene zu sehen glaubte, daß sie auf diese selbst von irgendeinem vornehmen und zierlichen Anbeter gemünzt seien; auf ihrem Gesichte zeigte sich übrigens wieder derselbe Ausdruck lächelnden Spottes, den eben das krautdurchwatende Fräulein hervorgerufen hatte.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      O Zeit der goldenen Tabatieren und der gestickten Westen mit den großen, großen schönen Blumen darauf! Deine Menschen hatten selber etwas Blumenhaftes; sie dufteten ja so süß – von Bisam und Poudre à la Maréchale; schimmernde Tauperlen lagen in den Kelchen dieser Blumen, jene Perlen, welche die zarte Empfindung weint. Es war nicht bloße Mode, daß die Poesie jener Tage immer im Schäfergewande auftrat und alle Verhältnisse mit dem roten Hirtenbande durchflocht. Diese Menschen der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts waren in der Tat sehr nahe den Lämmern verwandt.

      Die gescholtene Unnatur jener Zeit bestand darin, daß man in jedem Schloßpark ein Arkadien sah, daß jedes Hoffräulein eine Celinde, jeder gepuderte Kavalier ein Damöt werden mußte, wenn man irgendeine der verschiedenen Situationen, in die ein Kavalier mit einem Hoffräulein in einem Park geraten kann, poetisch verklären wollte. Nun, was ist denn so viel Lächerliches daran? Kann denn eine solche Situation nicht in der Tat und Wirklichkeit sehr schäferlich ausfallen?

      Und sind wir weniger unnatürlich? Wir nehmen die konkave Schale des Himmels in die Faust und schlagen den konvexen Erdball hinein, daß es klappt; und zu dem Donner blitzen wir Gedanken. Hat je einer – die Hand aufs Herz! – einen dieser Blitzkerle in der Tat und Wirklichkeit Gedanken blitzen gesehen?

      Katharina von Plassenstein gehörte dieser Zeit an und wieder nicht an. Sie teilte die zarte Empfindung derselben; auch in dem Kelche ihres Gemüts lagen viele jener Tauperlen, die leicht in ihre Augen traten; schon als Kind hatte sie viel Weiches, Anschmiegsames, ja Liebeseliges gehabt und zuweilen ganz ernsthaft die Mutter um die Erlaubnis gebeten, jetzt etwas weinen zu dürfen. Wenn die erteilt wurde, stieg sie ruhig die Treppe zu einem Bodenkämmerchen hinauf, schloß bedachtsam die Tür ab und sobald der Riegel vorgeschoben, schossen die Tränen in Strömen über ihre Wangen, bis gerade zu dem Augenblick, wo die erlaubte halbe Stunde vorüber war. Das konnte aber auch eine bloße Nervenschwäche sein; wenigstens nahm diese Empfindsamkeit ihren Gedanken nichts an Kraft, ihren Entschlüssen nichts an Entschiedenheit. Mit den nach Bewußtsein strebenden Gedanken stand sie über ihrer Zeit, mit der sie überhaupt unzufrieden war und die sie weit dem Mittelalter nachsetzte. Sie mochte damals weit und breit die einzige Person sein, die mit diesem sich viel beschäftigte.

      Jedenfalls stand sie mit allen ihren Liebhabereien und geistigen Beschäftigungen, die ebensowohl bei den römischen Dichtern verweilten, als bei den spanischen und französischen, und nur die deutschen ausschlossen, die damals in der Tat zu langweilig waren – außerhalb der Kreise ihrer Umgebung. Bernhard war ihr eine desto willkommenere Erscheinung. Sie hatte ihn zuerst bei einem der Canonici ihres Stiftes – denn auch für einen Dechanten und sechs Canonici hatte das reiche Stift Pfründen – gesehen, war mit ihm befreundet geworden, hatte immer größere Teilnahmen für ihn bekommen und sich endlich immer fester verpflichtet gefühlt, für den jungen, unerfahrenen Menschen, der gar nicht in die Welt paßte und sich schicken konnte, der wie eine exotische Pflanze war, die nie aus dem mütterlichen Treibhaus in die rauhe Luft gestellt werden darf, Sorge zu tragen. Wer sollte es auch anders? Seine Mutter war ja eine so wunderliche Frau. Dazu haftete ein Flecken auf seiner Geburt. Er war nur um so schlimmer daran. Und sie war unabhängig, eine Heirat hatte sie sich aus dem Sinne geschlagen; wozu hätte eine einzelnstehende Dame einige Tage ihres Lebens besser anwenden können, als die geistige Entwicklung und die äußerliche Wohlfahrt eines jungen Mannes befördern zu helfen, der es verdiente? Sie hatte ihm gesagt, weil er nun einmal eine so wunderliche Mutter habe, wolle sie sein Tantchen sein.

      Ich weiß nicht, ob alle so jugendlichen und hübschen Tantchen ein so merkwürdiges Herzpochen und eine fast unerträgliche Spannung aller Nerven fühlen, wenn sie einem Neffen entgegensehen, wie Katharina von Plassenstein, an den Tagen, wo sie Bernhard erwartete. Gewiß ist aber, daß sie sich hütete, diese Frage an sich selbst zu stellen.

      Als Bernhard das nächste Mal zu ihr kam, wurde er in ihr Wohnzimmer im zweiten Stock geführt; sie war nicht darin, aber ihre Stimme, die hinter einem grünen Vorhange her erscholl, rief ihn in das Allerheiligste ihres Gedankentempels. Er hob den Vorhang, der statt einer weggenommenen Tür diente, die früher die spitzbögige Maueröffnung geschlossen hatte, und trat in ein rundes Turmzimmer; es war ein allerliebst ausstaffiertes Gemach. Die Fenster hatten noch die runden bleigefaßten Scheiben mit Wappenmalereien; die Nachmittagssonne fiel schräg hindurch und legte einen blauen Glanz auf einen an der gegenüberstehenden Wand hängenden runden Ritterschild von Eisen mit getriebenen Figuren, in deren Mitte ein zürnender Achill mit einem großen Federbusch prangte. Ein schöner Speer mit zerrissenem Fähnchen hing darunter; zur Seite ein Helm von seltsamer Form; an der andern Seite hing eine kleine schottische Harfe, wie man sie damals viel gebrauchte. Dem Vorhang gegenüber stand eine Rüstung wie ein vollständiger Ritter, an dessen Brust sich die Ranken einer wuchernden Passionsblume schmiegten, die von ihrer Konsole bis zu dem Helden hinangeklommen waren.

      »Sie haben beinahe eine Rüstkammer aus Ihrem Zimmer gemacht!« sagte Bernhard, sich umschauend. »Es muß sich hier gut und selig träumen lassen.«

      »Versuchen Sie's einmal.«

      »Mir ist bange, meine Gedanken machen es wie die Blume und ranken sich um Dinge, die tot sind, und darüber könnten sie leicht zu denselben blassen Schmerzenskelchen aufblühen, die an dem Gewächs dort niederhangen.«

      »Armer Schelm, weshalb denn? Sind sie hier nicht gut aufgehoben?« sagte Katharina, indem sie von ihrem Taburett aufstand und ihm mit der Hand das Stirnhaar scheitelte und plötzlich wie verlegen zurücktrat.

      Er sah sie eine Weile schweigend an, dann trat er an das Fenster und blickte auf Wiesengründe hinaus, wo sich Buben zwischen frischgemähten Grumthaufen umtrieben.

      »Ich will Kapuziner werden«, sagte er nach einer Weile halb im Scherze, halb im Ernste.

      »Dann können Sie eine so fromme Seele werden, Wie hier in dem Buche abgemalt ist; schauen Sie her. Das nenne ich noch Frömmigkeit; so wahrhaft kindlich sollen Sie werden und dem lieben Gott ›die Sorge lan‹. Schauen Sie, das ist das Buch, das der letzte Schwalenberg abgeschrieben hat.«

      Katharina öffnete die schweren Holzdecken einer alten, etwas vergilbten Pergamenthandschrift, die sie bei Bernhards Kommen fortgelegt hatte. Sie mußte sehr alt sein, denn die Schrift war schön und leserlich. Randzeichnungen hatte sie nicht, dafür aher sehr schöne und auffallend gut gezeichnete Miniaturgemälde jedesmal auf der vierten Seite; nur hatte man leider hier und da eines, wahrscheinlich um es Kindern zu schenken, herausgeschnitten. Der Inhalt war ein Gedicht von Jesus und der Seele und beider Liebe zueinander. Auf dem ersten Bilde stand der Herr zu Füßen des kleinen Bettes der Seele – sie war ein hübsches, rotwangiges Kind mit blondem Haar und blaßblauen Augen; er, im violetten, goldgestickten Gewände, groß und schlank, ein blasses, ernstes Jünglingsgesicht. Er hatte mit der Rechten


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