Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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hatten, aber auch hoffärtig, eigensinnig und verschlossen, gerade so wie ihr Vater, der alte Wellmeyer. Nun, es ist auch eine harte Sache, fremder Leute Brot essen zu müssen, für die Tochter eines freien Schulzen, der vielleicht über Karls des Großen Schwert gesetzt ist, damit zu richten über alles, was Femwroege, und der jedenfalls weiß, daß seine Vorfahren seit uranfänglichen Zeiten auf seinem Hofe gesessen haben und die eigentlichen Herren des Landes sind, so daß der heutige Adel nur braucht auszusterben, und es kann dann nicht fehlen, daß alle seine Güter und Grundstücke wieder den Schulzen zufallen. Wer kann es der schönen Margret also verargen, daß sie sich nichts wollte bieten lassen? Die von Schemmey behandelten sie auch gut; denn als der letzte Baron geheiratet hatte, ward sie Wärterin bei seinen Kindern. Und doch hatten sie so viel Not mit den Kindern und ließen von allen Domestiken keinen ihnen nahe kommen als nur die schöne Margret, die auch mit nach Paris mußte, als die Herrschaft dahin zog.

      Die Schemmeys waren gestorben. Nach ihrem Tode war sie noch eine Zeitlang auf dem Gute gewesen, bei dem neuen Herrn von Katterbach, der als Lehnsfolger die Besitzungen der erloschenen Familie angetreten hatte. Darauf folgten ihre weiten Pilgerfahrten und nach diesen ihre Heirat. Mit der war es auch sonderbar zugegangen. Als sie das letztemal wieder nach Hause gekommen, hörte sie, daß es dem Schulmeister ihres Dorfes so erbärmlich gehe. Der arme Mann hatte die Gicht so stark in allen Gliedern, daß man ihm seine Stelle hatte nehmen müssen; zu gleicher Zeit waren ihm zwei Kühe, sein einziger Reichtum, innerhalb dreier Wochen nacheinander gefallen; und nun lag der arme Mensch kontrakt in seiner Hütte, ohne daß sieh jemand um ihn kümmerte und ihn pflegte; seine Frau war lange tot, und seinen Sohn, einen baumlangen Menschen, hatten die Preußen für die Potsdamer Wachtparade gestohlen. Der Mann hätte durchaus wieder eine Frau haben müssen, die Tag und Nacht um ihn wäre; aber wer wollte den kranken Schulmeister nehmen, um mit ihm auf dem blanken Stroh zu liegen und sich was vorstöhnen zu lassen?

      Margret ging zu ihm und sagte ihm, daß sie es wolle. Der arme Schelm traute seinen Ohren nicht, aber als sie damit anfing, ihn zu pflegen und einen Doktor herbeizuholen, der nur aufschreiben durfte – Margret bezahlte alles – brachte sie ihn bald so weit, daß er mit ihr den Kirchgang machen konnte. Und weil sie so gut angeschrieben stand bei den vornehmen Leuten auf Diependahl und da herum, kostete es ihr nur eine oder zwei kleine Fußreisen – und der arme Schulmeister ward plötzlich als Verwalter auf Bechenburg angestellt, wo freilich nicht viel zu verwalten war denn die Grundstücke des Gutes waren alle verpachtet. Endlich starb er ihr ab; Margret schien sich aber so an ihn gewöhnt zu haben, daß sie auch nach dem Tode nicht von ihm lassen konnte; wer ihn sehen wollte, dem zeigte sie ihn, wie er in ihrem Bette lag, das heißt seine Schlafmütze und sein Nachtwams mit einer Maske dazwischen.

      Nur zwei Umstände blieben geheimnisvoll an ihr. Ich meine nicht den, daß Margret für eine Vorgeschichtenseherin galt, denn das ist nichts Verwunderliches in Westfalen, daß es einzelne Leute gibt, die es nachts heraustreibt – zumeist wenn der Vollmond am Himmel steht – um Dinge zu sehen, die sich erst später wirklich zutragen sollen und die aus ihrer Zukunft herauf einen Schatten werfen, der ihnen oft um lange Zeit vorausgeht. Das hab' ich selber schon erlebt. Es sind meistens Leute mit hellblonden Haaren und nixhaften Augen, aus denen eigentümlich bohrende Blicke kommen, diese Seher; und sie klagen sehr über diese Gabe, als ob Gott sie damit strafen wolle; aber jeder Mensch hat seine Gaben, und was einem auferlegt ist, das muß man tragen. Nein, Margret besaß zwei Dinge, von denen niemand recht wußte, woher sie kamen; das eine war viel Geld und das zweite ein Sohn.

      Die Leute wußten nur, daß sie den Sohn als Knaben von drei Jahren zu sich genommen, als sie Haushälterin bei dem von Katterbach auf Diependahl war, und daß sie ihm eine außerordentliche Sorgfalt widmete; auch nannte sie ihn »junger Herr« und »Ihr«, was darauf hindeutete, daß er wohl einen vornehmen Vater haben mußte; doch konnte man darauf keine Schlüsse bauen, denn Margret war in allen Dingen wunderlich. Woher sie aber das Geld bekam, ihn studieren zu lassen, das wußte und begriff anfangs keiner. Zuerst war er in M*** auf dem Gymnasium gewesen; dann hatte sie ihn zu Altdorf und Helmstedt studieren lassen, als wär er weiß Gott welcher vornehme Junker gewesen, und nachdem er nun zurückgekommen, sollte er, wie es hieß, noch nach Harderwyk gehen, um sich dort zum Doktor beider Rechte machen zu lassen, was doch, wie der Pfarrer sagte, nur für hundert holländische Dukaten zu haben war. Er war übrigens ein stiller und sanfter, aber etwas grillenhafter Mensch, den jeder lieb hatte, obwohl man selten eigentlich verstand, was er sagen wollte, wenn er sprach; er sah alles mit andern Augen an als andre Leute, und es hätte keinen gewundert, wenn Bernhard Fahrstein – er hatte den Namen mitbekommen in Ermangelung eines andern – behauptet hätte, der aufgehängte Buntekuh sei ein braver Mensch gewesen und er selbst sei ein Galgenstrick. Er hatte ein etwas blasses Gesicht, das zart und fein geschnitten war, und sehr weiche Züge. Weil er so zart gebaut war, schien er auch nicht groß; doch war er über mittlere Größe. Sein Auge war so blau und treu wie das einer zahmen Taube, sein ganzes Wesen aber jungfräulich und sanft; ich glaube, er war so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der Grundzug im Charakter Bernhards war ein sinniges, tiefes Gemüt, das still und ohne äußern Prunk wie eine zarte, rotblühende Erika auf den Heiden Westfalens erwachsen. Seine rätselhafte Abstammung, deren Geheimnis die Mutter nicht lüften wollte, diese still und wechsellos dahinfließende Kindheit – die Mauern eines alten verfallenen Ritterschlosses, dem nur der dunkle Wald drüben seine Grüße zurauschte, an dessen Toren nur der kalte Nordwest, wie ein durchfrorener Pilger, um Einlaß pochte, den ihm die klappernden Bohlen nicht verwehrten; – die wunderlichen Bilder, welche die abergläubische und abenteuerliche Gestalt der Römischen Marget in einer empfänglichen Phantasie wecken mußte; die Erziehung, die eine solche Frau nur geben konnte, alles das hatte seinem Gemüt eine ganz eigentümliche Richtung erteilt. Wer zweifelt, daß die fessellosen Aussprudelungen desselben originell, tief wehmütig und voll echter Poesie gewesen, wenn sie auch formlos waren? – Sie waren voll der Poesie, die auf der Heide wächst, die mit schlichten, gelben Ginsterblüten sich begnügen muß, voll Muttersorge über das Nest der Lerche sich beugt und das Rieseln und Pfeifen des Windes in den Aesten einer einsamen Föhre belauscht; die aber, wenn sie ihren Aufschwung nehmen will, gleich zum blauen Himmel hinauf muß, weil die Heide keine andern Höhen hat.

      Als Bernhard größer geworden und von den Schulen zurückgekommen war, begann sein Leben reicher an Ereignissen zu werden, als seine Kindheit gewesen. In der Nähe von Bechenburg war ein adliges, freiweltliches Damenstift, zu dem er häufig von seiner Mutter gern gesehene Ausflüge machte. Wir wollen ihn auf einem derselben begleiten.

      Es war ein heißer Nachmittag am Tage nach Herrn von Drieschs Ankunft auf seinem Gute. Als Bernhard aus dem Forste trat, der nach zwei Seiten hin das Gut umgibt, flimmerte die Luft wie lauter Silberfäden über den Pflanzen der Heide. Sie lag wie ein großes braunes Tuch ausgespannt vor ihm, von den Blüten der Immortelle hier und da rötlich überhaucht; dazwischen hielt eine Orchis den stämmigen Stengel mit der Blütenperücke dem Luftzuge entgegen oder ließ die Gentiane ihre tiefblauen Glocken im Winde spielen. Den Horizont besäumten blaue Waldungen; aus näheren Baumgruppen lauschten einzelne Strohdächer hervor, hier und dort auch mehrere zusammen, von denen das größte dann zum Teil mit Ziegeln gedeckt war, ein ansehnlicheres Gehöft. Auf der Mitte des Weges stand eine alte Buche mit einem Marienbild am Stamme und darunter eine Steinbank. Bernhard rastete dort, denn es knüpften sich liebe Erinnerungen für ihn an diese moosige Steinplatte; er überblickte seinen Pfad, den er so oft jetzt, trotz Regen und Wetter, trotz prellender Sonnenstrahlen zurückgelegt hatte; er kannte jeden Stein, jeden Baumstumpf am Wege, und jedes Ding hatte ein besonderes Auge, mit dem es ihn ansah; vor allen das Muttergottesbild, das nicht schlecht gehauen, wenn auch etwas verwittert war und ihm mit den Zweigen, die es oben schützten, zu sprechen schien. Als Knabe hatte er es oft genug mit dem Kopfe nicken gesehen, vorzüglich in der Dämmerung; und wenn er fortgegangen, winkten ihn die Zweige zurück.

      Er schritt weiter, immer über die Heide fort; als er fast eine Stunde zurückgelegt, kamen Wiesengründe mit Erlengebüsch, dahinter eine Mühle an einem von Schwertlilien umgebenen Weiher, auf dem Enten in der grünen


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