Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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hoch und schön geschwungen, das große blaue Auge hatte etwas Träumerisches; wenn sie die langen Lider schloß, konnte man deutlich darunter die Bewegungen sehen, die der Apfel machte. Die Nase war lang und fein geschnitten, und der Mund klein; die ganze Partie umher hatte einen weichen kindlichen Charakter behalten. So nannte jeder das Fräulein von Plassenstein schön; freilich, man hätte manches gegen die unbeschränkte Anwendung dieses Beiworts auf ihre Züge einwerfen können, zum Beispiel, daß die Röte der Gesundheit nicht auf ihre Wangen sich beschränkte, ferner, daß die Nase, ganz scharf betrachtet, eine geringe Abweichung von der geraden Linie zeige, wie das gewöhnlich bei klugen Leuten der Fall ist. Aber, wer hätte das bei einem Gesichte, wie das ihrige, bemerkt? Es verschwand unter dem Eindrucke, den das Ganze machte, und dieser Eindruck war im höchsten Grade anziehend. Das Alter der Frauen ist zwar ein Geheimnis, außer bei den armen Prinzessinnen, die im Staatskalender stehen; aber man konnte es bei ihr doch ungefähr bestimmen. Sie hatte vor zwei Jahren ihre eigne Kurie bekommen; das geschah, wenn die Stiftsdamen fünfundzwanzig Jahre zählten; so lange mußten sie als Residenzfräulein bei einer ältern Chanoinesse wohnen: also war sie mindestens siebenundzwanzig Jahre alt. Aber Menschen mit umfassendem Geiste, wie der Katharinens war, sind jung und alt zu gleicher Zeit; sie haben alle inneren Schätze und Gefühle des Kindes, seine lebhaften Empfindungen und seine Lust an allen kräftig gefärbten Erscheinungen sich gerettet und zugleich durch Intuition alle Erfahrungen des Alters vorweggenommen. Sie umfassen auf einem Standpunkte das ganze Leben. Das ist das Geheimnis des Genies.

      Uebrigens hatte Katharina von Plassenstein mehrere Gesichter; am auffallendsten war das, wenn sie auf dem Klavier phantasierte; es war nicht das schönste, denn sah man auch in ihren emporgeschlagenen Augen dann eine innere, Zeit und Erde überflügelnde Erhebung, so war doch damit der Ausdruck eines Stolzes verbunden, der sie unschön machte. Sie fühlte sich alsdann zu sehr als Kaiserin über ein Gebiet von Tönen und Gefühlen, über eine ganze, ihr gehörende Welt; dies nahm ihren Zügen an gewinnendem Reiz, was es ihnen an imponierender Hoheit zurückgab. Sie sah dabei aus wie eine Prätendenten-Majestät. Schöner war ihr Gesicht beim Nachsinnen, wobei leicht ihre Wimper naß wurde. Sie bekam dann etwas Veledaartiges, das die ernste Ordenstracht nur noch mehr hervorhob; auch dann, wenn sie erzählte, was meist höchst seltsame Geschichten waren, die man besser bei Tage, als an dunklen stürmischen Abenden hört. Sie hatte noch ein Gesicht, das hatte Bernhard aber erst einigemal gesehen; einst, als er Abschied von ihr nahm, um eine Reise zu machen. Dann sah sie so freundlich – sie sah aus wie eine trauernde Lachtaube.

      Sie hatte kaum eine Weile mit ihrem Gaste sich unterhalten, als der Schäfer an der Bronzeuhr flötete; gleich darauf schlug die Glocke der Abteikirche vier Schläge an und das Vesperglöckchen läutete. Ein Kammermädchen trat ein und küßte ihrer Herrin die Schürze. Dann stellte sie sich mit dem Brevier derselben an die Tür, um ihr zum Chore zu folgen. Bernhard begleitete sie dahin, durch einen etwas feuchten und modrig duftenden Kreuzgang, der das enge, immer im Schatten begrabene Quadrum neben der Abteikirche mit seinen gotischen Arkaden umschloß. Am Ende desselben führte eine hohe Steintreppe durch eine kleine Spitzbogentür auf das Chor, das wie eine Emporkirche die hintere Hälfte des Münsters einnahm und eine Art zweiten Stockwerks darin bildete, vorn nach dem Altar hin mit einem niedern Geländer geschlossen, aus dessen Mitte ein großes steinernes Kruzifix hervorragte. Die andern Fräulein saßen zumeist schon in ihren geschnitzten Chorstühlen; keine verriet, daß sie dem Begleiter Katharinens irgend Aufmerksamkeit schenke. An der linken Seite des Chors, etwas in die Kirche hinausragend, war der Erker, in dem die Frau Aebtissin steckte, von den Fräulein ungesehen, aber mit scheuen Bücken bewacht; ihm gegenüber an der rechten Wand der Kirche hing das lebensgroße Bild des Schutzheiligen, recht gut in Oel gemalt; einige der älteren Damen schienen eine besondere Andacht zu ihm zu tragen, wie sich aus ihren tiefen Verbeugungen, als sie daran vorübergingen, und ihren Blicken, die zuweilen darauf hafteten, schließen ließ. Sankt Cyriakus war aber auch ein schöner Patron, blühend und hoch gewachsen; er saß in goldner Rüstung auf einem bäumenden und schnaubenden Apfelschimmel, der staunenswert gut im Futter gehalten war.

      Als die Vesper geendet, waren Katharina und Bernhard fast die letzten, die das Chor verließen. Sie gingen eine Zeitlang in dem schmalen und düstern Kreuzgang auf und ab. Bernhard besah die vielen Epitaphien, die an Wänden eingemauert waren, die meisten in dem schlechten Jesuitenstil des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, einige aber weit älter, deren Unterschrift kaum mehr leserlich und auf denen der Donatar noch im Ringelpanzer und der Halsberge kniete, einen Helm von der Form des elften Jahrhunderts neben sich; ihm gegenüber sein wohl verhülltes steinernes Ehegemahl und hinter ihr eine ganze Reihe kleiner Burgfräulein wie Orgelpfeifen nach ihrer Größe geordnet; Katharina wußte von den meisten irgendeine seltsame Geschichte. »Das hier ist ein Miles von Schwalenberg«, sagte sie: »Sie sehen ihn allein, ohne Gespons. Er hatte in seiner frühesten Jugend einer Verwandten Treue gelobt, die einer verarmten Familie abgenommen und von seinen Eltern aufgezogen war; er hatte ihr hundertmal geschworen, sie allein solle alle seine Güter haben, und werde dann reich genug sein, wenn sie ihm einwarf, sie sei zu arm, um an eine Verbindung mit ihm denken zu dürfen; die schwalenbergischen Besitzungen waren ausgedehnt und das Gesohlecht gehörte zu den angesehensten jener Zeit. Aber eines Morgens war Agnes verschwunden; seine Eltern hatten sie in diese Abtei gesehickt, die damals noch ein Nonnenkloster war und eine strenge Klausur hatte; und nun half kein Beten, Agnes mußte den Weihel nehmen. Der junge Edelknecht sollte eine andre Jungfrau aufsuchen, mit der er den Namen fortsetze, aber ein Ritter des zwölften Jahrhunderts wußte sein Wort zu halten; er wollte nicht und es war nichts mit ihm anzufangen. Er wartete den Tod seiner Eltern ab und dann war das erste, was er tat, daß er alle seine Güter ohne Ausnahme diesem Kloster schenkte, mit der Bedingung, daß bei der nächsten Wahl Agnes zur Aebtissin gekoren werde, worauf der Konvent natürlich gern einging. So hatte Agnes doch seine Güter bekommen. Er selbst behielt sich nur eine Jahrrente und seine väterliche Burg vor, auf der er die Bücher der damals berühmtesten Dichter abschrieb. Eines davon besitze ich, das Sie nächstens sehen sollen; seine Handschrift ist nicht besonders; aber die Bilder werden Sie freuen. Er war der letzte Schwalenberg; darum ist das Wappen umgekehrt. – Sehen Sie, dieser hier ist mein Held,« fuhr sie fort, indem sie auf einen Ritter deutete, der ganz aufrecht an der Wand stand, dunkelbraun bemalt und auf zwei gelbe Hündchen seine Eisenstiefel stellend, »das ist Bernhard von Horstmar, auch der letzte dieses Dynastengeschlechts; er war ein Hauptanführer im zweiten Kreuzzuge und der westfälische Coeur de Lion; was mir ihn so lieb macht, ist, daß er neben seiner Tapferkeit so klug und brav war, und gewiß nicht seinen Vater totgeärgert hätte, wie der englische. – Aber nun kommen Sie, Sie haben ja alle diese Geschichten schon einmal gehört.«

      »Aber Sie wissen, ich bin wie ein Kind, das am liebsten die Geschichte wieder hört, die es schon kennt.«

      »Gut, Sie sollen alles noch einmal hören, aber nur draußen in der frischen Luft; es ist abscheulich feucht und dunstig hier.« Sie gingen durch einen von Rebenlaub umzogenen offenen Spitzbogen in einen großen Gemüsegarten hinaus, der durch einen Baumhof am Ende eine fast unabsehbare Verlängerung erhielt.

      »An jenem Brunnen, dort unter den drei Mispelbäumen,« erzählte Katharina weiter, »spukt es in einigen Nächten des Jahres: vorzüglich zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest will abends keiner der Leute mehr hinaus, um frisches Wasser zu holen. Man sagt, eine weiße Nonne komme dann dort aus der Kurie des Dechanten her, gehe quer durch die beiden nächsten Blumengärten trotz Geländer und Hecken, dann über den Hof, durch das Tor, bis an diesen Brunnen, wo sie einen Eimer Wasser nach dem andern schöpfe und nur zuweilen einhalte, um die Hände zu ringen. Einmal im Winter hat ein Knecht behauptet, eine ganze Flut Wasser habe, zu einem Eishügel gefroren, morgens neben dem Brunnen gelegen, der, das könne er beschwören, am Abende vorher nicht dagewesen sei.«

      »Was mag sie denn daraus schöpfen wollen?«

      »Die Sage behauptet allerlei Widersprechendes; ich weiß es nicht«, sagte Katharina.

      Sie gingen an einer Hecke entlang. An der andern Seite kam ihnen das lesende Fräulein von Vorhin entgegen, das vor Bernhard entflohen war. Sie erwiderte seinen Gruß mit großer Nachlässigkeit, schritt aber jetzt mit erhöhter Anmut und Würde drüben auf und ab. Auf Katharinens Gesicht zeigte sich ein Anflug von lächelndem Spott, sie wußte, daß jenseits an der Hecke kein Pfad herlief, sondern daß das majestätische


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