Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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machte und dem jungen Herrn eine Kußhand gab; sie war nett gekleidet, ein Drahthäubchen mit Bandschleifen, ein weißes Fürtuch – sie sah nicht aus wie ein Bauernmädchen, sondern wie eine Kammerzofe in Miniatur.

      »Wie heißt du, Kleine?« fragte Bernhard.

      »Müllers Veronika«, antwortete sie ohne Anstand.

      »So, Veronika? Dann ist wohl die gnädige Frau Aebtissin deine Pate?«

      »Ja, Onkel, sie hat mir noch heute etwas geschenkt.« Die Kleine zeigte ein auf Pergament gemaltes Bildchen mit einem Rand, der künstlich durchbrochen war, wie die sauberste Filigranarbeit. Man sah, die Kleine war gewohnt, von vorüberwandelnden Fremden angeredet zu werden und zugleich zu einem jüngferlich sittigen Betragen angehalten worden.

      Bernhard hatte die Immunitas sancti Cyriaci oder die Abteifreiheit betreten, wie eine am Wege stehende Steinsäule zeigte; nun kam ein langer, hölzerner Steg, der wie eine Brücke über sumpfige Wiesengründe führte. Die ganze Fläche unten war blau von Vergißmeinnicht; an den tieferen Stellen standen kleine Wasserflächen, in denen gelbe Nymphäen sich auf ihrem breiten glänzenden Blatte schaukelten, wie eine Orange auf ihrem Fruchtteller. Geißblatt und weiße Winden überrankten das Weidengebüsch, das sich hier und dort an den Steg drängte und wie müde Arme seine Aeste auf das Geländer gelegt hatte: es war ein Spaziergang, wie ein Stiftsfräulein mit Trillers Gedichten in der Hand ihn nur wünschen konnte. Der Steg endete an dem Gehölze, das unmittelbar die Abtei umgab; ein recht gut gehaltener Forst, in dem sich an vielen Bäumen saubere Täfelchen mit Nummern zeigten, als Beweis, daß die Aebtissen ihren Förster hielt, der ein sehr ordentlicher Mann war und unter tausend unnützen Umständlichkeiten – Kapuzinerarbeit nennt man's bei uns – seinen Mangel an eigentlicher Arbeit zu verbergen suchte. Hier und dort waren Alleen angelegt und Points de vue ausgeschlagen; in alle Bäume am Wege waren Namenszüge und brennende Herzen eingeschnitten, auch Verse an Phyllis oder Chimene in Ueberfluß, wo sich irgendeine glatte Rinde zeigte. Auf einer Rasenbank in einer der Alleen saß eine Stiftsdame, ein Buch, in dem der Wind blätterte, in der Hand. Sie stand auf und entfloh bei der Annäherung des jungen Mannes in das Gebüsch wie eine scheue Hinde; doch sah Bernhard bald nachher, wie sie in einem Seitenwege, der parallel mit dem seinen lief, gleichen Schritt mit ihm hielt und zuweilen durch die Lücken des Unterholzes verstohlene Seitenblicke nach ihm aussandte. Wo die Wege zusammentrafen, war sie verschwunden.

      Vor dem Tore begegneten ihm drei Zofen, die Arme umeinander schlagend, wie drei Grazien, mit feinen Drahthäubchen und glänzend weißen Schürzen, deren Bruststück nonnenhaft bis an die Schultern hinaufging, daß sich das gekrönte Herzchen von Goldfiligran mit den blutroten Tiroler Granaten in der Mitte desto glänzender abhob. Bernhard zog artig sein Käppchen vor ihnen; sie gingen knicksend und mit niedergeschlagenen Augen an ihm vorüber, aber drei Schritte weit hinter seinem Rücken hörte er sie lebhaft flüstern und kichern.

      Der Hof war groß und von den Häusern der Stiftsdamen umschlossen, von denen immer eines von dem andern durch den Garten, der es umgab, getrennt war. Die Kurien waren ansehnlich, jede mit einer hohen Treppe und ihrem Wappen über der Eingangstür. Nur die Abtei hatte auch einen Balkon und bekam dadurch den vornehmern Charakter; auch stand eine ausgespannte, schwerfällige Karosse davor, und ein Knecht war beschäftigt, das Leder einer Sänfte abzuseifen. Hinter ihr sah man die drei spitzen Türme und die Giebel der Abteikirche sich emporheben. Das Ganze bot ein stilles Bild: das Klappern von Flachsbrechen, das aus den Oekonomiegebäuden scholl, und einige Pfauen, die auf dem Hofe gellend das Wetter anschrien, machten den einzigen Lärm darin, wenn man die Kanarienvögel nicht rechnet, denn an jedem Fenster hingen mindestens drei Käfige voll dieser gelben Musikanten.

      Bernhard öffnete ein Gitter vor einer der Kurien, die rechts nahe bei der Abtei lag, und schritt über den gelben Sand des Blumengartens, an verblühten Aurikelbeeten her, durch zwei lange Reihen von Blumenscherben mit herrlichen, farbenglühenden Nelken, bis er auf der obersten Treppenstufe stand. Die Tür wurde von einer Magd geöffnet, die ganz ihre Bauerntracht beibehalten hatte, dieselbe, die auch der alten Margret so gut stand, eine seidene Nebelkappe mit silberner Tresse, ein Tuchrock mit schweren Falten, an den Aermeln offen, die Jacke von demselben Stoff und ein schweres Silberkreuz an einem Samtbande auf der Brust.

      »Ist das gnädige Fräulein zu Hause? Guten Tag, Anne- Marie, wie geht's?« sagte Bernhard, durch die halbgeöffnete Tür schlüpfend.

      »Ach, junger Herr, ja wohl, gewiß wohl, sie hat schon zweimal gefragt, ob Ihr noch nicht da wäret. So, hier nur herein, ich will sie gleich rufen.« Bernhard pochte das Herz, als er das Empfangszimmer, den sogenannten Saal betrat, den Anne-Marie aufschloß. Weshalb? wußte er selbst nicht; er sah sie ja zweimal in jeder Woche, seine Gönnerin, und stolz war sie auch nicht, sondern die Freundlichkeit selber; aber er war beklommen, als er wieder in dem bekannten Räume wartete und, ohne zu schauen, seine Blicke auf den ernsten Herrn im blauen Fürstenmantel heftete, der über dem Kamine hing und auf die Domtürme von M. wies, die man hinter einem zurückgeschlagenen Vorhang im Hintergrunde des lebensgroßen Gemäldes erblickte. Es war der letzte Fürstbischof, der Oheim der Stiftsdame, die Bernhard erwartete. Sonst war das Zimmer einfach; weiße Wände, an der Decke das Gebälke sichtbar, aber mit Stukkaturarbeit bedeckt, Kanapee und Stühle von rotem Plüsch mit gelben Nägeln beschlagen; auf der Kommode Porzellanfiguren, ein Topf mit Potpourri in der Mitte und eine bronzene Uhr, an die sich ein flötender Schläfer lehnte mit einem Geschöpf zu seinen Füßen, das ebensogut Fidel, das treue Tier, als ein Lamm sein konnte – das und noch zwei Konsolen zu beiden Seiten des Kanapees mit großen blauen Vasen aus chinesischem Porzellan machten das Ameublement aus, alles in dem hübsehen und phantasiereichen Geschmack, der nicht allein das Bedürfnis befriedigt sehen will durch eckige, schneidende Linien, wie wir sie vorziehen, sondern auch geschweifte Schönheitslinien, Schnitzarbeiten und Schnörkel verlangt, zum Zeichen, daß ein übriges vorhanden, das zugunsten der Zierlichkeit verwendet werden mag.

      Das Stiftsfräulein trat herein. Sie begrüßte ihn mit einem sehr feierlichen Knicks und einem freundlich-ernsten: »Guten Tag, wie geht es Ihnen, Herr Doktor?« – so hieß in den guten alten Zeiten jeder, der von der Universität heimkam – und setzte sich dann. Anne-Marie stand an der Tür, um auf ihre Befehle zu warten, als diese gegeben waren, ging die Alte und brachte gleich darauf eine Flasche Landwein mit einer Zuckerdose und einem Teller voll geschälter Mandelkerne und Traubenrosinen herein; ein andrer voll duftiger blauer Pflaumen, von der eignen Hand des Fräuleins für ihren Gast gepflückt, stand schon auf dem Tische. Sobald Anne-Marie aus der Tür war, stand die Dame wieder auf, ergriff mit ihren spottkleinen weißen Händen die beiden Bernhards und sagte: »Wie geht's meinem Jungen?« mit einem viel weicheren Tone, als ihre erste Begrüßungsformel trug. Bernhard sah sie mit einer schweigenden Innigkeit an und es konnte nun nur ein innerliches Seelenergötzen verursachen, ein Paar dieser treuen blauen Augen so in das andre blicken zu sehen, als ob es darin die Seele wiedersuche, die aus dem eignen hinüberschlüpfe.

      Habt ihr wohl je eine Stiftsdame gesehen? ich meine eine rechte ordentliche Stiftsdame, die von einer jetzigen gerade so verschieden ist, wie ein jetziger Johanniter-Ordensritter von den panzerklirrenden Söhnen des heiligen Johannes von Jerusalem, damals, als sie noch den weißbekreuzten Mantel trugen und ihrer zwei auf einem Pferde saßen. Nein, eine solche Stiftsdame habt ihr noch nicht gesehen, ihr seid zu jung dazu, ihr seid sogar jung und eure Gedanken sind Wickelkinder; wenn sie schon im Jahre 1830 ein Schattenspiel angeschrien haben, so ist es viel, sehr viel.

      Ich muß euch die Stiftsdame beschreiben. Sie trug ein weißes faltiges Kleid, das die volle, schöne Büste bis an den Hals hoch hinauf umschloß und von der schlanken Taille bis über den Fuß niederhing; es war schade für den Fuß. Die Aermel waren an den Ellbogen offen und mit langen herabhängenden Spitzen-Engageanten geziert; auch die Schürze hatte einen breiten Spitzenbesatz. Das Haar war zum Teil von dem Wimpel bedeckt, was wieder schade war für das goldne, fabelhaft reiche und seidenweiche Haar. Der Wimpel ist ein weißes gefälteltes Tuch von sehr dünnem, Linon genanntem Zeuge, das, um das Kinn gelegt, auf dem Scheitel zusammengenestelt wird und dann seine zwei Enden lang auf den Rücken hinabhängen läßt. Am Nacken, mitten zwischen den Schultern, war ein schmales Stück schwarzen faltigen Zeuges befestigt, das bis auf den Boden hinabflatterte, ganz wie ein Domherrnmantel.

      Das Stiftsfräulein


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