Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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verzeihen,« stammelte der Vogt erblassend, »ich, ich ... Euer hochgräfliche Erlaucht werden zu Gnaden halten –«

      »Nun, was hat Er? Er wird meinen Befehlen nicht widersprechen wollen?« rief Philipp III. zornig aus. »Will Er etwa neue Regeln und Ordnungen hier im Lande einführen?«

      Der Vogt stammelte niedergeschmettert etwas von einer andern Bestimmung für seine Tochter.

      »Andere Bestimmung – Larifari – was geht mich ihre Bestimmung an! Will Er ein böses Beispiel im Lande geben, Vogt, und zeigen, daß man meinen landesherrlichen Befehlen nicht zu obtemperieren braucht? Will Er ein Ärgernis geben? Will Er mir meine Untertanen demoralisieren? Kein Wort weiter! Er weiß: was ich befohlen habe, das geschieht auch; wenn's sein muß, mit Gewalt. Weiß Er was: ich werde eine Hofkutsche herüberschicken am Samstag. Richte Er sich danach.«

      Hubert hatte bis jetzt dieser Szene in schweigender Zurückgezogenheit zugeschaut und zugehört. Im Anfange hatte ihn das Wesen und Gebaren dieses Landesvaters höchst betroffen und stutzig gemacht, dann mit einer gewissen Heiterkeit erfüllt, jetzt aber, wo er den Vogt völlig hilf- und ratlos dastehen sah, trat er mit seiner ganzen jugendlichen Keckheit vor, und aus innerer Empörung über und über rot, sagte er: »Die Hofkutsche, Erlaucht, können Sie sich sparen – das junge Mädchen wenigstens wird keinen Gebrauch davon machen.«

      Der Graf wandte sich. Er war bereits auf dem Wege zur Tür; aber bei diesem kecken Widerspruche blieb er stehen, fixierte eine Weile mit großen Augen den Studenten, und dann kehrte er zu seinem Stuhle zurück, auf den er sich wieder niederließ, als ob er das wunderbare und ganz neue Schauspiel eines Menschen, der ihm kühn ins Gesicht zu widersprechen wage, in völliger Gemächlichkeit und bequemer Ruhe genießen wolle. Endlich sagte er barsch: »Was hat Er hier zu reden? Was weiß Er davon? Was geht Ihn die Sache an? He? Antworte Er!«

      »Was mich die Sache angeht, Erlaucht?« entgegnete Hubert, dem funkelnden Auge Philipp III. mit freiem Blicke mutig begegnend; »nun, sie geht mich an, denn« – Hubert fühlte, daß er mit bloßen Redensarten hier keinen Sieg erfechten werde, daß er sich mit einer schlagenden Tatsache waffnen müsse, kurz, daß ihm nichts übrig bleibe, als auszurufen: »Nehmen Sie an, sie sei meine Braut – ich hätte mich um Marie Stahl beworben, der Vogt sie mir zugesagt – es kann dann für sie keine Rede mehr davon sein, ein Jahr lang an Ihrem Hofe in einen Dienst zu treten!«

      »Was?« sprudelte der Graf hervor, »das sind mir ja ganz neue Dinge! Seit wann verloben sich unsere Beamtentöchter ohne unsern landesväterlichen Konsens? He, Vogt,« wandte er sich an diesen, »seit wann? Will Er das etwa neu einführen? Er Jakobiner, Er – ihm soll ja das Wetter auf den Kopf fahren – und der Musje, den Er sich da angeschafft hat, um unserer landesherrlichen Würde und Gewalt eine Nase zu drehen, das ist auch wohl so ein Kujon, so ein Nichtsnutz, der bei den Sansculotten drüben in die Schule gegangen ist und das Revolutionieren gelernt hat – aber ich will Euch beibringen, Gott und sein Gebot ehren und Euerm Herrn untertänig sein!«

      Und nachdem er diese Drohung hervorgesprudelt, tobte Philipp III. noch eine den Styx an dunkler Höllenschwärze übertreffende Flut von Verwünschungen aus, während er seine schwere Reitpeitsche in der drohend erhobenen Faust schüttelte.

      »Wenn der Vogt Sie nach den Landesgesetzen um den Konsens bitten muß,« erwiderte Hubert fest, aber aus dem Bereich der gräflichen Reitpeitsche sich zurückziehend, »so wird er diesen Konsens einholen. An der Sache ändert das aber nichts. Ich werde das junge Mädchen zu vertreten und zu schützen wissen!«

      »Ich gebe den Konsens nicht, ich gebe den Konsens nicht!« schrie der Graf in steigender Wut.

      »So werde ich das Mädchen ohne Konsens heiraten und dann mein Hausrecht zu wahren wissen!«

      »Was ... Er ... das ist Rebellion, offene Rebellion – – Schilling, Amtsdiener, verhafte Er diesen Menschen da ... schließe Er ihn krumm – Wrechten,« wandte sich Philipp der Tolle dann an den ruhig und beinahe wie teilnahmslos in der Entfernung stehenden Adjutanten – »Wrechten, es ist Rebellion ... es ist Majestätsfrevel – werfe Er sich aufs Pferd, Wrechten, hole Er ein halb Dutzend von meinen Kammerhusaren her – bei Gott im Himmel ...«

      Der Adjutant entfernte sich rasch. Philipps weitere Befehle wurden aber unterbrochen durch eine Erscheinung, die so plötzlich und unbeachtet dicht vor ihn getreten war, daß sie etwas von dem Überraschenden einer Geistererscheinung hatte; wie ein Geist stand sie in der Tat vor ihm – eine große, todesernste, totenblasse weibliche Gestalt, in weißem Morgengewand, mit großen blauen Augen ihn anstarrend, ihre lange magere Hand auf seinen Arm legend. Nur die zitternde Lippe verriet ihre innere Bewegung; aus ihrem Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen; aber dieses marmorbleiche, marmorkalte Gesicht war schön und Ehrfurcht gebietend wie das eines zürnenden Engels. Es war vollkommen jetzt das Gesicht Mariens, das erkannte Hubert in diesem Augenblicke, aber es war das Gesicht Mariens in einem eigentümlich verklärten Abglanze.

      »Halt, Graf Philipp,« sagte die Frau, in ihrem leisen Tone, »ich habe viel, viel geduldet in diesem Hause und habe es geschehen lassen, weil ich es nicht ändern konnte; aber eins will ich nicht dulden unter meinem Dache, und das ist, daß Gott darin gelästert werde. Sie rufen Gott an ... Sie ... das ist Lästerung. Ich will Sie nicht reden hören von Gott! Was Sie tun und reden, das ist vom Bösen. Es stehen die bösen Teufel hinter Ihnen, die Teufel des Zorns der Gewalt, der Hoffart und der Fleischeslust. Und weil Sie nur die bösen Geister hören und niemand, der Ihnen die Wahrheit sagt, so will ich sie Ihnen sagen. Denn ich fürchte mich nicht vor Ihnen, weil ich das Leben nicht liebe und den Tod nicht scheue. Lassen Sie mich auf einen wilden Hirsch binden, wie Sie's einmal dem armen Zigeuner getan haben, weil er seiner Leibesnahrung nachging und seinen Hunger stillen wollte an Ihrem Wild – ich sage Ihnen doch die Wahrheit. Sie sind ein böser Mensch und ein grausamer Herr. Gott hat Ihnen Land und Leute gegeben, auf daß Sie sorgen dafür und einst davon Rechenschaft ablegen, wie Sie Gottesfurcht und Gottes Ehre darunter gemehrt haben; denn es steht geschrieben: Sehet zu, was Ihr tut, denn Ihr haltet das Gericht nicht den Menschen, sondern dem Herrn...«

      Der Graf war aufgesprungen bei der unerwarteten Erscheinung, die er anfangs stier angestarrt hatte ... jetzt wich er, wie sich vor ihr fürchtend, langsam einen Schritt nach dem andern vor ihr zurück – sie aber folgte ihm, die Hand drohend gegen ihn ausstreckend, wie eine mahnende, strafende Prophetin.

      »Sie können die, deren Herr Sie sind,« fuhr sie in demselben leisen Tone fort, »in den Tod treiben, wie Sie mein Kind in den Tod treiben wollen – aber Sie sind nicht unsterblicher als wir alle, und Gott wird nicht warten bis zum jüngsten Tage, Sie zu strafen. Der Herr wird wider Sie sprechen, was er gesprochen hat wider Pharao: Siehe, ich will an dich, du König in Ägypten, du großer Drache, der du in deinem Wasser liegest und sprichst: Der Strom ist mein, und ich habe ihn mir gemacht! So wird er auch Sie vor seinen Richterstuhl rufen; jede Stunde kann der Tod Ihre Stirn berühren, kann der Schlag Sie treffen inmitten Ihrer Lüste, dann werden Sie vor dem stehen, den Sie auf Erden durch Ihr Leben gelästert haben, als der Schlechtesten einer unter den Schlechten!«

      Der Graf und Reichsvorfechter war bei den letzten Worten der Frau aschfahl im Gesicht geworden. Wenn irgendein Wort in der Welt geeignet war, auf ihn einen niederschmetternden Eindruck zu machen, so war es das Wort: »der Schlag«. Am Schlage waren seine glorreichen Väter seit drei Generationen gestorben. Vor dem Schlage zitterte das Mark in seinen Gebeinen. Selbst seine Ärzte wagten nicht, das Wort vor ihm auszusprechen.

      »Dies ist eine schreckliche Verschwörung«, sagte er deshalb kleinlaut und gedemütigt, sich immer mehr zurückziehend. »Diese Frau ermordet mich, Wrechten. Führen Sie mich fort, wo sind Sie, Wrechten? führen Sie mich fort«, und dabei machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand, und die Worte stammelnd: »Die Frau ist mein Tod!« nahm er, rückwärts gehend, das verglaste Auge auf die zürnende Mahnerin geheftet, seinen Rückzug aus der Amtsstube und sofort spornstreichs aus dem Hause.

      Als er fort war, als er draußen, von seinen Leuten mühsam geschoben, glücklich im Sattel saß und an den Gräbern, die rechts und links an seinem Wege lagen, entlang, hinter den Strebepfeilern der Kirche verschwand – da sank die Flamme der Erregung, die in der armen Frau aufgelodert war, zusammen. Ein Strom von Tränen quoll


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