Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
ja die Leute, von denen Sie uns gesprochen haben, als wir Ihnen das Siegel mit dem großen Wappen brachten«, fiel hier der Professor ein.
»Ganz dieselben«, sagte Herr Stevenberg, mit einer Miene, als ob die Erinnerung an diesen Umstand etwas tief Schmerzliches für ihn habe, und dann setzte er hinzu:
»Sie sind auch schon verlobt gewesen, da ist dieser Wilbrand von Walrave dazwischengekommen und hat das Erbfräulein für sich gewonnen, und man hat gesagt, der Bräutigam, der Herr von Averdonk, habe die Angst vor dem tollen Walrave bekommen und sich gar nicht mehr außerhalb seines Hauses – ich meine, Amelsborn muß sein Gut heißen – sehen lassen. Das hat nun eine Weile allerlei Hader und Span gegeben zwischen dem Erbfräulein von Stovelar und ihren Eltern, die den Walrave sich nicht haben über die Schwelle kommen lassen wollen, und dem Averdonk – bis eines schönen Tages gar plötzlich und unvermutet der alte Herr von Stovelar auf Dudenrode, der Vater des Erbfräuleins, gestorben ist. Nun hat jedermann geglaubt, der Walrave werde jetzt seinen Willen durchsetzen und das reiche Fräulein heimführen; aber die Mutter hat darauf angetragen, daß ihres seligen Mannes Freund, ein alter Herr von Eggenrode, zum Vormund ihrer Tochter gesetzt werde, und der hat gewußt, der Sache auf irgendeine Weise ein Ende zu machen; der Walrave hat weichen müssen und nach kurzer Zeit ist er, wie man gesagt hat, im Walde gefunden worden, an einem Eichbaume aufgehängt. Anfangs hat es geheißen, er habe sich selber ums Leben gebracht, denn sein Hab und Gut sei verzehrt und verschleudert gewesen, und seine Juden hätten nicht Lust gehabt, für seinen weitern standesmäßigen Unterhalt zu sorgen. Später aber hat man gesagt, der alte Eggenrode sei noch einer von den alten Wissenden und Freischöffen da aus der Gegend, der hätte mit einigen seiner Bauern Gericht über ihn im Walde gehalten und ihn an die Eiche gehängt, um seiner vielen Missetaten willen! Daran ist nun freilich nicht zu glauben; ich habe, so oft ich drüben im Lande gewesen bin, niemals eine Silbe mehr von dem alten Wesen gehört; und es ist auch gesagt worden, es sei alles nicht wahr, der Walrave sei gar nicht tot gefunden worden, sondern habe sich still aus der Gegend verzogen. Dem sei nun wie ihm wolle, mag der Walrave an der Eiche gehangen haben oder nicht, genug, das Erbfräulein hat den Averdonk heiraten müssen, und auf dem Schlosse Dudenrode wohnen sie noch heute, und das ist, was ich mir habe erzählen lassen, und wenn der Studiosus damit nicht zufrieden ist, so muß er sich an den Herrn Kanonikus Klevesahl an St. Aposteln wenden, der, wie mir gesagt worden ist, vor Jahren als Pfarrgeistlicher im Süderlande, in derselben Gegend, gestanden hat und vielleicht Genaueres weiß!«
Professor Bracht versicherte ihm, daß er zwar nicht wisse, welches Interesse sein abwesender fleißiger Zuhörer und Scholar an dieser Geschichte gehabt haben könne, daß sie aber jedenfalls merkwürdig genug sei, um sie sich einzuprägen, und daß er sie dem Studenten getreulich berichten wolle, sobald er ihn wiedersehe; und da ihm Herr Stevenberg nicht der Mann schien, von dem in der Angelegenheit Huberts eine besonders praktische Auffassung zu erhoffen, noch irgendein guter Rat einzuholen, so ließ er es bei diesen Worten bewenden, was den Wappenmaler dann veranlaßte, ohne weiteres Zürnen oder ferneres Gelächter seinen Aufbruch einzuleiten und sich endlich zu verabschieden. Als der Professor ihm über den Vorsaal geleuchtet hatte und zurückkam, fuhr das junge Mädchen wie aus einem Traume auf – sie legte hastig die Hand auf den Arm des Professors, und indem sie mit der andern Hand ein Papier aus ihrem Busen hervorzog, sagte sie in einem Tone, durch den etwas wie ein lauter Jubel klang: »Jetzt weiß ich alles, alles ... diese Menschen sind in meine Hand gegeben ... Professor, lesen Sie das – lesen Sie ...«
Der Professor sah sie betroffen an, dann nahm er das Papier, schlug es auseinander und las, indem er es der Lampe nahe brachte, die folgenden Zeilen, die auf einem von oben an beschriebenen Folioblatt standen:
»Demnach mir mitgeteilt ist, daß hiesigen Orts obrigkeitlich dem vorübergehenden Aufenthalt des Herrn Wilbrand von Walrave, jetzo genannt von Ripperda, Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden wollen, so bezeuge ich demselben auf sein Ansuchen, daß selbiger, obwohl anitzo Emigrant, doch von teutscher Herkunft und aus dem Gelderland daheim ist. Derselbige ist mir als solcher seit vielen Jahren von Person wohl bekannt, und traute ich selbsten ihme Anno 1777 mit dem hochwohlgebornen Freifräulein Gebharde Josephe von Stovelar zu Equordt und Dudenrode. Solches geschah am 13. Augusti adcitirten Jahres in der Pfarrkirchen zu Wolfshagen. Nachderhand um eine Anstellung in Frankreich zu suchen, verließ Herr von Ripperda das teutsche Vaterland, wurde Capitaine des chasses des Herzogs von Condé und kehret anitzo, weil der Herzog sich hat flüchten müssen, zurück. Ich bitte deshalb, ihme, als mir wohlbekannten und respectabeln Manne kein Hindernuß in den Weg zu legen, wenn er hiesigen Ortes zu verweilen wünschet.
Augustin Klevesahl, Canonicus ad S. S. Apostolos
Nachdem der Professor dieses seltsame Instrument halblaut für sich hin gelesen hatte, sah er verwundert zu Traudchen auf.
»Das ist eine verwunderliche Sache!« rief er aus. »Herr Hubert Bender spürt einem Herrn von Walrave nach, Walrave ist Ripperda, Ripperda ist getraut mit Fräulein Gebharde von Stovelar, die wieder, wie Stevenberg behauptet, mit dem Freiherrn von Averdonk verheiratet ist; und diese selbe Frau von Averdonk entführt den Herrn Bender – höre Sie, Traud, mir steht der Verstand still ...«
»Und der meine bekommt Flügel wie ein Falke dabei ...« fiel Traudchen Gymnich ein.
»Aber da hätte ja die Frau von Averdonk zwei Männer zur Ehe genommen ... das heißt, sie hätte, wenn dieser Maler Stevenberg die Wahrheit angibt ... aber es ist ganz unglaublich, Traudchen!«
»Unglaublich? Herr Professor« – rief das junge Mädchen in höchster Aufregung aus – »weshalb unglaublich? Wenn sie ein gutes Gewissen hätten, diese Leute, so würden sie nicht das Tageslicht scheuen und nicht heimlich bei nächtlicher Weile in einem alten, von keinem Menschen besuchten Hause zusammenkommen; noch weniger würden sie jemand, der sie belauscht, behandeln, wie sie Hubert Bender behandelt haben, und sich seiner bemächtigen, um ihn unschädlich zu machen, auf daß er ihre verbrecherischen Geheimnisse nicht verrät.«
Der Professor wiegte nachdenklich das Haupt.
»Um Gottes willen, woher hat Sie das Papier, Jungfer Traud? Sie hat es unter den Sachen des Herrn von Ripperda gefunden?«
»Ich habe es gefunden«, versetzte das junge Mädchen.
»Und Sie hat es ihm fortgenommen?«
Jungfer Traud bejahte durch ein ruhiges Nicken des Kopfes.
»Aber«, sagte der Professor ...
Traudchen sah ihn so an, daß er seine Worte für sich behielt.
»Wenn man Krieg führt, Krieg auf Tod und Leben, darf man seinem Feinde doch die Waffen nehmen!« sagte sie. »Sie ist in seinem Dienst ... Sie muß seine Sachen durchstöbert und durchkramt haben ...«
Traudchen hörte gar nicht mehr auf diese Gewissensskrupel des alten Mannes. Sie war zu sehr von einem Gedanken beherrscht, zu ausschließlich mit aller Energie ihrer Seele einem Ziele hingegeben, als daß sie ein Organ für solche Bedenken gehabt hätte.
»Es ist seltsam gefaßt«, sagte der Professor, indem er noch einmal die Schrift überflog. »Wie eine Rekommendation bei dem Bürgermeister sieht es aus ... weshalb der Kanonikus aber die ganze Lebensgeschichte dieses Ripperda hineingesetzt hat, und besonders daß er ihn getraut habe ... das ist auffallend, das begreife ich nicht.«
»Welche Absicht er auch gehabt haben mag,« antwortete Traudchen, »so viel ist gewiß, diese Menschen sind dadurch in meine Hände gegeben, und ich werde mit ihnen ins Gericht gehen, und wehe ihnen, wenn sie an Hubert Bender so gefrevelt haben, daß es nicht mehr in ihrer Macht steht, es vollauf wieder gut zu machen!«
»Traudchen, was will Sie tun?« fragte der Professor erschrocken. »Wenn Sie es durchaus wagen will, von diesem Papier da Gebrauch zu machen, so wende Sie sich im geheim an einen tüchtigen Advokaten. Lasse Sie den seine Maßregeln ergreifen.«
»An einen Fremden?« erwiderte das junge Mädchen – – »nein, nein, einem Fremden gebe ich dieses Blatt nicht in die Hände. Er könnte es sich von den Leuten, welche es angeht, für eine große Summe Geldes abkaufen lassen! Die Versuchung ist zu groß. Nein – ich selbst muß handeln. Und bald, bald ... sonst wird es