Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
Drickes kletterte wie eine Katze neben ihn, aber eine energische Armbewegung des andern warf ihn sofort wieder hinunter. Drickes schrie, der andere bohrte ihm einen Esel; Drickes eilte zu einem erneuten Sturmangriff der Position; der Professor warf sich abmahnend zwischen die Kämpfenden – da kam eine starke Männergestalt, faßte den kleinen Mann am Kragen und setzte ihn mit einem kräftigen Schwung sich auf die Schulter.
»Nu halt dich an mingem Kopp faß und setz stell«, sagte der Mann in einem vorwurfsvollen, zürnenden Tone.
»Ah, Herr Stevenberg,« rief der Professor aus, als er erkannte, wer ihm so als Helfer in seiner Not gekommen, »ich danke Ihnen von Herzen!«
»Das junge Volk will auch etwas sehen!« entgegnete der Wappenmaler und brach in ein lautes Gelächter über diese komische Eigenschaft der Jugend aus.
»Ha, der Franzos kütt, der Franzos kütt!« schrie Drickeschen jetzt laut von seiner Höhe herab, während er den kahlen Schädel des Herrn Stevenberg umklammerte und nun zum ersten Male den vollen Anblick der vorübermarschierenden Truppen hatte.
In diesem Augenblick wandte sich ein Soldat in sehr knapper und enger blauer Husarenuniform, der unter den Zuschauern vor dem Professor stand, um, und indem er diesem ein wettergebräuntes mageres Gesicht mit großem blonden Schnurrbart zeigte, sagte er:
»Wat dieses jugendliche Individuum da für einen jebildeten Dialekt besitzt! Ja, betrachte dich man den ›Franzos‹, dat du in deinen ollen Dagen davon erzählen kannst; denn dieses is nu eine höchst weltgeschichtliche Bejebenheit: der Österreicher Holter hat sich uf die Beene jemacht und looft davon, der Franzose rückt in, und hier steht der Preuße und kuckt sich mit Jemütsruhe det Schauspiel an.«
Die Köpfe der Umstehenden wandten sich sämtlich dem Sprecher zu, und der Professor fragte verwundert: »Woher kommt Er denn, guter Freund?«
»Ick? Woher ick komme? Nu, von meine Schwadron. Von die dritte Schwadron von det siebente Husarenregiment von Zitzewitz mit'n Dodtenkopp, det in Wesel steht; ich bin mit einem Befehl an unsere Werbekommandos in dat Bergische un weiter hinuf abgesandt, un da habe ick im Vorüberreiten eenmal die Nase in dieses merkwürdige olle Nest gesteckt, um mich mal anzukucken, wie der Franzose denn eigentlich aussieht. Mit die Haltung und dat Ajustement von diese Mannschaften bin ick aber nich zufrieden. Kreuzmillionenschockdonnerwetter, wenn unser olle Oberste von Zitzewitz mit'n Dodtenkopp diese Bande zu sehen kriegte – wat würde der fluchen!«
Die Umstehenden begannen über den Ton und den Dialekt, worin diese Bemerkungen gemacht wurden, laut zu lachen; als der Husar wahrnahm, daß er der Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden war, fuhr er mit großer Zungengeläufigkeit fort, seinen Zuhörerkreis durch seine Glossen über die vorbeimarschierenden Truppen zu unterhalten.
»Et is aber ooch eene janz von Jott verlassene Bande!« sagte er. »Det will Militär sind? Wenn mich solch ein Patron, wie die meesten sind, in die Straßen der berühmten Stadt Hameln bejegnete, so sagte ick: ›Dieses is also der berüchtigte Rattenfänger!‹ Hat doch der kleene schwarze Kerl da, hol' mir der Teufel, wieder eene jelbe Katze hinten uf den Tornister sitzen! Nu habe ick ihrer schonst achte jezählt von diese Tiergattung! Wat se nur dun mit det Katzenzeug! Is det 'ne Ordnung? Na, vielleicht sollen diese Beester ihnen bei det Mausen behülflich sind. Ooch jut. Und da kommt eener anjerückt, der hat eene dodige Jans uf det Bajonett jesteckt! Diese Erfindung is so übel nich – sie jefällt mich und könnte ooch bei det preußische Militär anjemessene Anwendung finden. Aber doch is et eene betrübende Tatsache, dat sich alle Zucht un Ordnung so uflösen kann ... aber nu ufjeschaut, Plantebitzel, da kommt die Kavallerie anjerückt, da kann der Unteroffizier von det siebente Husarenregiment seine Kenntnisse bereichern!«
Der Unteroffizier vom siebenten Husarenregiment hatte jedoch noch nicht drei Züge dieser neuauftretenden Waffengattung an sich vorüberziehen sehen, als er in einen Anfall ganz unbändiger Heiterkeit geriet.
»Ne, det is ja der janz richtige Templower, wie er wegen ungebührlichen Betragens an der Berliner Hauptwache uf den hölzernen Esel reitet. Det is nu wirklich eene Ergötzlichkeit anzusehen. Und diese Pferde! Det arme Biesterzeug! Na, bei diese Schwadron sollte ick Rittmeister sind ... da würden die Haselstöcke un Karbatschen im Lande deuer werden ... ick würde euch zeigen, wat striegeln is! Un da dervor looft nu der Österreicher! Ick habe immer Achtung jehabt vor diese Menschengattung, denn wat dat Riemenzeug angeht, so haben sie et immer blank und fleißig jewichst, un die Haltung is nich übel, man sieht, dat se von det preußische Militär wat gelernt und profitiert haben – aber vor diese Männekens auszukneifen, det wäre doch meiner militärischen Ehre zu nahe, det is eene unüberlegte Handlungsweise, wofür se alle miteinander ...« »Papa, Papa, süch enß!« rief in diesem Augenblick Drickeschen von seinem erhöhten Standpunkte aus, »de Jungfer Traud!«
»Wo ist die Jungfer Traudchen?« fragte der Professor.
Drickeschen glitt behende von der Schulter des Herrn Stevenberg herab, der sehr bereitwillig seiner ersten leisen Andeutung, von dem Hochsitz herunter zu wollen, nachgegeben hatte, denn dem Wappenmaler begann die Last nachgerade schwer zu werden – und behende wie ein Kobold wand Drickeschen sich durch die dicht stehenden Menschen, um nach wenig Augenblicken Traudchen, die er am Kleide gefaßt hielt, herbeizuzerren, obwohl sie wenig Lust zu haben schien, ihm zu folgen.
Das junge Mädchen sah aufgeregt und wie von Eile gerötet aus.
»Traudchen,« rief der Professor, »wohin so eilig?«
»Ich will fort, Herr Professor!«
»Fort? Wohin? War Sie bei dem General?« erwiderte Bracht, indem er seine Stimme zum Flüstern dämpfte.
Ich konnte nicht mehr zu ihm gelangen«, antwortete sie in demselben Tone. »Er stand im Begriff, den abgezogenen Truppen nach abzureisen.«
»Und der Ripperda ...«
»Gott sei Dank,« fiel Traudchen tief atmend ein, »er ist in der vorigen Nacht auch auf und davon – der Frau Zappes hat er gesagt, die Franzosen schössen jeden Emigranten tot, den sie trafen, darum hat er es so eilig gehabt.«
»Und Sie, Traudchen, will nun wirklich fort, um Hubert Bender aufzusuchen?«
»Ich will, noch heute«, antwortete sie lebhaft und entschlossen. »Ich habe eine vortreffliche Reisegesellschaft getroffen, eine zuverlässige Frau, die den österreichischen Truppen nachzieht und mich mit sich nimmt – als Marketenderin. In Deutz wartet sie auf mich – ich bin im besten Schutz – wir reisen zusammen ins Süderland ...«
»Herjes, rief hier der preußische Husar, der das hübsche Mädchen mit großem Wohlgefallen und seinen Schnurrbart streichelnd betrachtet hatte ... »von Reisen ins Süderland redet diese charmante Demoiselle, na, da nehmen Sie mir man als ufmerksamen und galanten Chapeau mit, da will ick ja justement ooch hin!«
Traudchen warf einen flüchtigen Blick auf ihn, dann reichte sie Bracht die Hand und sagte: »Leben Sie wohl, Herr Professor, ich muß eilen und den Augenblick benutzen, der Ohm Gymnich ist drüben auf dem Neumarkt in voller Tätigkeit, mit seinen Genossen einen Freiheitsbaum aufzupflanzen. So kann ich ungestört von ihm meine wenigen Sachen zusammenpacken. Leben Sie wohl – haben Sie keine Sorge um mich!«
Bracht erwiderte warm den Druck ihrer Hand und schaute ihr bewegt nach, als sie rasch im Gedränge verschwand.
Zwölftes Kapitel
Der neue Jägermeister
Wir haben unsern Lesern bereits in einigen Worten eine allgemeine Vorstellung von Schloß Ruppenstein mit dem zu seinen Füßen liegenden Städtchen gegeben. Was den Charakter der ganzen Gegend betrifft, so sah diese vor mehr als hundert Jahren jedenfalls dergestalt aus, daß es schien, als habe sie der liebe Gott mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Falken, Habichten und wilden Schweinen gemacht, weniger in der Absicht, daß sich Menschen hier ansiedeln und wohlfühlen sollten. Rauhe Berge, oben nackt und kahl und frostig anzusehen, schlossen den