Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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Er fühlte dazu auch eine gewisse Teilnahme für den unglücklichen jungen Menschen. Die unumwundene Weise des Studenten gefiel ihm. Das Beste, sagte er sich, wäre, wenn man den kecken Studiosen nur erst wieder in seinem Köln hätte; dort wäre er unendlich weniger gefährlich als hier ... und dann gab er der Versuchung nach, über einem Plane zu brüten, wie er seinen erlauchten Dienstherrn um das neugewonnene Mitglied seiner militärischen Streitkräfte bringen könne, indem er diesem zur Desertion verhelfe. Das war das beste Mittel, Hubert zu beseitigen und ihn zu veranlassen, sich für immer möglichst weit vom Ruppensteinschen Gebiet entfernt zu halten.

      Mit diesen Gedanken war Herr von Ripperda beschäftigt, als er am Nachmittag desselben Tages beschloß, einmal nach Dudenrode hinüberzureiten und die Bekanntschaft des Herrn von Ardey zu machen.

      Er führte sofort diesen Entschluß aus.

      Franz kam auf dem Wege von Dudenrode dem Fremden höflich, doch sehr gemessen und ein wenig zerstreut entgegen – es war augenscheinlich, daß sein Gemüt von andern Dingen eingenommen blieb als von dem, was Ripperda in geläufiger Rede ihm auseinandersetzte, um seinen Besuch zu erklären ... daß er so glücklich gewesen, bei dem Grafen von Ruppenstein eine Anstellung zu bekommen und dessen Jagden jetzt auf einen andern großartigen Fuß setzen wolle. Zum Schlusse setzte er hinzu, daß er sich im allgemeinen Auftrage der Erlaucht erlaube, den Herrn von Ardey einzuladen, an den nächsten Treibjagden teilzunehmen.

      Franz von Ardey fuhr hierbei mit einer Lebhaftigkeit, welche einen merkwürdigen Gegensatz zu Ripperdas einschmeichelnder Höflichkeit bildete, auf:

      »Ich soll an den Vergnügungen des Tollen teilnehmen, mein Herr?« rief er aus. »Was muten Sie mir zu? Dieser Mann erlaubt sich Handlungen ...«

      »Die«, fiel Ripperda flüsternd und mit einem scharf fixierenden Blicke auf Franz ein, »allerdings ihm keine Freunde machen können bei Leuten von edler und geradsinniger, Denkungsweise.«

      Franz von Ardey sah ihn überrascht an.

      Über Ripperdas häßliche Züge aber ging es wie ein rasches Wetterleuchten. Es war, als ob eine Idee, ein Plan in ihm auftauchte – und in demselben flüsternden Tone fuhr er fort:

      »Ich sehe, daß ich mich bei Ihnen offen aussprechen kann, und das ist mir eine Wohltat. Ich höre da in Ruppenstein allerlei munkeln von einer schnöden Gewalttat, welche sich der Reichsgraf gegen die Familie eines seiner Beamten erlaubt hat ...«

      Franz von Ardey warf einen prüfenden Blick auf ihn.

      »Ich sehe,« sagte er dann, »Sie sind bereits sehr genau in die Lage der Dinge eingeweiht – und wahrhaftig, ich bin nicht in der Stimmung, Komödie zu spielen und mich zu verstellen – mögen Sie es immerhin wissen, und die ganze Welt mag es wissen ... meinethalb ... und mag ich zugrunde gehen darüber ... aber ich will dies Mädchen aus seiner entsetzlichen Lage retten und sollte ich zehnmal zu einem Mörder an einem Menschen wie dieser Philipp darüber werden! Aber«, fügte er, ruhiger werdend, nach einer Pause hinzu, »welches Interesse haben Sie ...«

      »Interesse habe ich keins – aber Teilnahme ... empörtes Rechtsgefühl ... den Drang, eine edle Handlung zu unterstützen ...«

      Franz von Ardey schwieg – er schien das rasch in ihm aufgestiegene Mißtrauen zu bekämpfen.

      »Wahrhaftig,« sagte er dann, sich in seinen Stuhl werfend, »ich bin so verlassen und ohnmächtig in dieser Sache, daß ich nicht lange untersuchen kann, von welcher Seite mir Hilfe geboten wird, wenn sie nur kommt – wenn Sie mir wirklich redlich beistehen, will ich Ihnen zeitlebens dankbar und Ihr Schuldner sein ...«

      »Nun wohl,« fiel Ripperda ein, »so ist unser Bund geschlossen – aber ich verlange Geduld, um mich erst über die Dinge noch genauer zu unterrichten; ich muß vorher die Leute, die mich umgeben, kennen lernen; muß die Örtlichkeiten studieren ...«

      »Und wie lange Zeit verlangen Sie dazu?«

      »Würden Sie mich morgen mit Ihrem Besuch in Ruppenstein beehren können?«

      Nun wohl, so könnten wir alsdann uns weiter besprechen; in diesem Augenblick bin ich nicht imstande, Ihre Frage zu beantworten. Aber vertrauen Sie mir, daß ich nicht müßig sein werde!«

      »Ich vertraue Ihnen – ich werde kommen!« Ripperda brach auf. Franz von Ardey wollte ihn eine Strecke heimbegleiten, um noch mit dem schnell gewonnenen Bundesgenossen zu reden, aber Ripperda bat ihn, zurückzubleiben.

      »Es ist nicht nötig, daß wir in vertrauter Unterredung zusammen gesehen werden«, sagte er ... »Sie begreifen, daß ich Rücksichten zu nehmen habe ...« damit drückte er Franz die Hand und entfernte sich rasch, um in den Ställen selber sein Pferd zu suchen – vor Franz von Ardey verschwand er so schnell, daß diesem war, als hätte ihm ein Traum die ganze merkwürdige Erscheinung, mit der er in kurzer Zeit verbündet wurden, gebracht; aber freudig aufatmend rief der junge Mann, in sein Zimmer zurückkehrend, aus: »Der kommt wie vom Himmel gesendet, wie ein Bote, daß der alte Gott noch lebt!«

      Weit weniger laut und nicht gerade so freudig waren die Betrachtungen, welchen sich Ripperda hingab, während er in gemessenem Schritt nach Ruppenstein heimritt; doch waren sie immerhin so, daß sie ihn mit einer an Freude streifenden Genugtuung erfüllten.

      »Die Dinge nehmen eine ganz gute Wendung,« sagte er sich ... »wir verhelfen diesem äußerst verliebten und unbesonnenen jungen Manne zu seiner Demoiselle Marie Stahl oder wie sie heißt... und weshalb in aller Welt sollten wir uns ein Gewissen daraus machen, sie zusammenzubringen? Weshalb sollte ein so hübscher junger Mann nicht ein so hübsches junges Mädchen heiraten? ... aber ein unversöhnlicher Zwist entbrennt dann zwischen Tante Gebharde und Neffe Franz – von Übertragung der Güter ist keine Rede mehr – Franz von Ardey ist unrettbar verloren und vernichtet bei der Gnädigen ... nun, das ist seine Sache; und was sie angeht, die stolze Gebieterin, so ist ja jetzt glücklicherweise ihr diensteifriger Freund, der gute, langerprobte, in allen Dingen erfahrene, mit allen Hunden gehetzte Ripperda da, um ihr beizustehen in der Verwaltung ihrer Güter – Herr von Ripperda, der, nebenbei gesagt, durchaus keine Lust hat, den Rest seines bewegten Lebens damit zuzubringen, daß er diesem widerwärtigen und unvernünftigen Philipp III. die Jagdstiefel sauber hält und seinen Blitzableiter abgibt, wenn der tolle Mensch auf eine Wildsau fehlschießt. Beim Teufel, ein ehrenvolles Amt für einen Capitaine des chasses eines französischen Prinzen von Geblüt ... Frau Gebharde ist sehr harmlos, wenn sie damit die höchste Staffel meiner Wünsche erklommen glaubt! Sie wird mir noch ganz andere Wünsche zu erfüllen haben, wenn ich erst Faktotum und der eigentliche Herr auf Dudenrode bin. Ich hoffe, es soll das ein höchst heiterer Abend für den stürmisch bewegten Tag meines Daseins werden. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, zuerst den verehrungswürdigen und schmählich mißhandelten Lactantius in seine Herrenrechte einzusetzen! Lactantius ... es wird ein Schauspiel für die Götter werden, wenn ich diesen pauvre Sire zu meinem Strohmann mache, und wenn die harte stolze Gebieterin ihr Haupt wird unter Lactantius' Autorität beugen müssen!«

      In natürlicher Gedankenfolge aber dachte Ripperda, während er dies Bild einer heitern Zukunft vor sich heraufbeschwor, zugleich an den eigentümlichen Umstand, daß ihm etwas abhanden gekommen war, was er mit großer Schlauheit sich zu verschaffen gewußt hatte, um eine recht nachdrückliche Schlagwaffe gegen Gebharde von Averdonk und im Notfall – man konnte nicht voraussehen, was kommen konnte – auch gegen Lactantius in der Hand zu haben ..., jenen Schein, den der gute »Knünch« so harmlos unterschrieben und der ihm von niemand anders als der wunderlichen Dirne in Köln entwendet sein konnte. Es war das nun freilich ein verdrießlicher Gedanke, daß dies Blatt in fremde Hände gekommen ... verdrießlich und beunruhigend zugleich, obwohl Ripperda sich zum Troste sagte, daß er sein Ziel auch ohne es werde erreichen können.

      Und dann kehrten seine Gedanken zu dem kecken rachsüchtigen Studenten zurück – dem einzigen, wie er sich gestand, der ihm durch seine entschiedene Weise und seine ruhige Entschlossenheit gefiel unter den Menschen, mit denen er in dieser Gegend in Berührung gekommen; dessen Energie ganz ohne Zweifel sich in viel glänzenderer Weise bewahren würde, als der in seiner leidenschaftlichen Erregung unberechenbare und unzuverlässige Franz von Ardey; und der bei dem Wagstück, was Ripperda unterstützen


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