Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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Masse gewesen, die jedem Fußtritt, den ihr ein hochmütiger Nachbar versetzt, nachgegeben hätte. Solch ein Zustand aber war einem Souverän wie Philipp III. unendlich willkommener als das, was er die »österreichischen Intrigen« nannte, um die Mitglieder des Reichskörpers in ewiger Unruhe und Not und Aufregung zur Bekämpfung des Franzosen zu erhalten. Auch hatte Philipp III. seit Jahren schon manches Hühnchen zu rupfen bekommen mit einem paar ganz fataler, chikanöser und in jeder Beziehung verderblicher und unmoralischer Institute, die Österreich, seiner Ansicht nach bloß aus Tücke und Frevelmut, zur Unterdrückung der Souveränitätsrechte der deutschen Reichsstände aufrecht erhielt. Dies waren das Kammergericht und der Reichshofrat. Der Reichshofrat und das Reichskammergericht waren so etwas wie eine letzte Zuflucht für alle, welche unter dem Zepter irgendeines kleinen Reichstyrannen keine Hilfe und keinen Rechtsschutz mehr fanden. Sie waren die Organe, wodurch sich von Zeit zu Zeit zeigte, daß noch immer eine schirmende Kaisergewalt da sei, welche den Unterdrückten beisprang und die Kleinen gegen die Großen in Schutz nahm.

      Die österreichischen »Kostbeutel« also, wie man damals sich ausdrückte, waren dem regierenden Landesherrn in der Seele zuwider, und er hätte nichts gegen das gehabt, was seine Beamten, diese arme, vielgeplagte Menschenrasse, politisierend und kannegießernd wider sie vorbrachten, wenn er es hätte hören können. Das jedoch war ihm unmöglich, denn zwischen dem Raum, in welchem sie sich aufhielten, und dem, worin die höchsten Herrschaften sich befanden, lag ein zweiter Salon, in welchem einige mehr oder minder junge Damen, ein paar »Hofchargen« und ein paar Offiziere sich sehr lebhaft unterhielten.

      Im Vorübergehen streift unser Blick eine dieser Damen, die auf einem Taburet in einer Fensternische ruht; ein blühendes, von Gesundheit und Fülle strotzendes Geschöpf. Es ist Hedwig von Wrechten, die Nichte des Hofmarschalls und des gräflichen Adjutanten. Sie bildet eben den Mittelpunkt einer höchst belebten Unterhaltung, denn die beiden Offiziere und ein paar andere junge Herren, die dem Adel der Nachbarschaft angehören, machen ihr sehr eifrig den Hof. Und Hedwig von Wrechten ist immer sehr liebenswürdig, sehr heiter und sehr graziös, wenn man ihr den Hof macht. Wenn dies nicht geschieht und Fräulein von Wrechten folglich sich langweilt, so ist jenes weniger der Fall. Sie schlendert dann languissant umher oder streckt sich auf einem Sofa und ist der vollendete Typus jener liebenswürdigen und achtungeinflößenden vornehmen jungen Damen, deren ganzes Sein und Wesen sich zu dem bewunderungswürdig logischen Programm ihrer Existenz zuspitzt: zwar ich verstehe und weiß nichts, aber man soll mich verehren; ich tue und leiste nichts, aber ich will bewundert sein; ich bin in jeder Beziehung nichts, aber mich zu lieben und anzubeten ist Pflicht jedes Sterblichen von gutem Geschmack, und wer es nicht tut, ist nicht wert, daß ich Notiz von ihm nehme.

      Also Hedwig von Wrechten ließ sich eifrig den Hof machen, und darüber vergaß sie ihren stillen, blöden und wortkargen Verehrer Franz von Ardey, den ihr die Frau von Averdonk in Eintracht mit ihrem Oheim, dem Hofmarschall, und dem regierenden Herrn zum Gemahl bestimmt hatte, weil sie von tadelloser Herkunft und die Erbin eines ansehnlichen Vermögens war. Sie entbehrte seinen heute besonders ernst aussehenden blonden Kopf mit den mehr Unmut als Mut ausstrahlenden blauen Augen ganz und gar nicht unter den belebten, geröteten Gesichtern der Männer, welche sie umgaben und über die mehr heitern und kindlich albernen als sinnvollen Einfälle lachten, die sie zum besten gab.

      Im dritten Raume, sagten wir, befanden sich die höchsten, Herrschaften ... es waren ihrer zwei, Graf Philipp und ein nur um ein Jahr jüngerer Bruder – ein harmloser dicker Mann, an dem die Natur offenbar genug getan zu haben glaubte, daß sie ihn zum Grafen von Ruppenstein gemacht; ja, als ob ihm damit bereits zu viel Ehre geschehen, schien sie nun auch jede weitere Gabe für überflüssig gehalten zu haben. Wie aber jedes individuelle Leben, welchem man eine ungehinderte und freie Entwicklung läßt, sich zu Besonderheiten, die es in seiner Art beachtenswert machen, ausbildet, so war Graf Rupprecht von Ruppenstein auch zu einer Individualität geworden, die ihren bestimmten Charakterzug hatte. Er leistete Erstaunliches darin, eine ruhig diskutierende Gesellschaft gerade im richtigen Moment durch irgendeine schreckliche Störung, z. B. durch das plötzliche wütende Schmerzgeheul eines unglücklichen Hundes, dem er auf den Schwanz trat, zu erschrecken; auch war es seine Spezialität, jemandem, der sich eben setzen wollte, so geschickt unversehens den Stuhl fortzureißen, daß er sicher auf den Boden fiel. Niemand war ferner geübter darin, Löcher durch Türen und Wände zu bohren, die einen Einblick in irgendeinen verschlossenen Raum verstatteten, namentlich dann, wenn er von Damen bewohnt war; und sein Kopf war äußerst fruchtbar an Einfällen, wenn es galt, irgendeinen Nebenmenschen um seine Nachtruhe oder seine Bequemlichkeit zu bringen, und dies besonders, wenn dabei Anstand und Reinlichkeit in ganz erstaunlicher Weise verletzt werden konnten.

      Philipp steht in der Mitte des Salons, mit dem Rücken an eine große runde Tafel mit schwerer Marmorplatte gelehnt, und neben ihm steht der Freiherr Lactantius von Averdonk, der seine lange Figur heute in einen Staatsrock von dunkelblauem Samt mit silbernen Knöpfen und silbernen Borten gehüllt hat, und dessen Toilette wohl ohne Zweifel so tadellos ist, weil seine Gattin selbst sie einer Prüfung und letzten Nachhilfe zu unterwerfen für gut fand. Daneben zeigt sich ein großer, kräftig gebauter Mann in einer absonderlichen, altmodischen Ritterschaftsuniform, die durch ihre Falten und ihren verblichenen Glanz andeutet, daß sie sehr lange nicht mehr aus dem Kasten gekommen ist, und die dem Träger fortwährend ein Gefühl von Unbehagen zu erwecken scheint, das sich auf den mißmutigen Zügen des alten Mannes abprägt. Gegen die Sitte der Zeit trägt dieser Herr keine Perücke, sondern über seiner enorm hohen kahlen Stirn ruht ein aus seinen grauen Haaren gebildetes Toupé, welches da oben thront wie die Arche auf dem Berge Ararat; unter den merkwürdig dichten buschigen weißen Brauen rollt ein Paar schreckeneinflößender großer Augen, und der größte Teil des übrigen Gesichts ist in einen Wald von grauem Barthaar versteckt. Diese merkwürdige Figur, die aussieht, als habe sie in verschiedenen Perioden der Geschichte sich durch viele notable Taten ausgezeichnet und noch in reifern Jahren um die Welt große Verdienste erworben, sei aber zu stolz, sich in dieser Richtung weiter zu bemühen, gehört einem Freiherrn Burkard Mordian von Eggenrode zu.

      Den Kreis, welcher sich um die Erlaucht gebildet hat, schließt ein Herr in österreichischer Uniform, ein Stabsoffizier, der auf der Durchreise begriffen ist, da er die Mission hat, die Wege in den Gegenden zu inspizieren, durch welche das österreichische Heer seinen Rückzug nach Franken zu bewerkstelligen beabsichtigt. Der Offizier war mit Philipp III. wegen der Herstellung einer fahrbaren Straße durch sein kleines Land in Unterhandlung getreten, hatte dabei jedoch den entschiedensten Widerstand gefunden. Philipp III. behauptete, es sei kein Weg in seinem Gebiet, auf welchem er selbst, wenn er sich zu Pferde setze, nicht recht wohl vorwärts käme, und wenn andere Leute das nicht vermöchten, so sei es offenbar Mangel an Geschick und gutem Willen. Die Verhandlung hatte sich etwas erhitzt; der österreichische Offizier hatte sich dabei, wie man in Wien sagt »gegiftet« und im stillen vorgenommen, seinerzeit womöglich Rache an der Erlaucht zu nehmen. Für den Augenblick schien der Hader vergessen; der Offizier erzählte mit großer Lebhaftigkeit von dem letzten Feldzuge in den Niederlanden, und Graf Philipp III. machte seine von mehr oder minder gesunder Urteilskraft zeugenden Bemerkungen dazu, während die beiden anderen Herren sich zu den Dingen, die ihnen im Geiste, vorgeführt wurden, in auffallender Verschiedenheit verhielten.

      Lactantius von Averdonk hörte mit der gespannten Neugier eines Kindes zu, und schien ganz hingerissen von der Bewunderung jener männlichen Tapferkeit, die sich in den Schilderungen des Österreichers malte, wenn dieser von den letzten Waffentaten seiner Kriegsgenossen unter dem Erzherzog Karl und Clairfayt erzählte. Schwärmerei für männliche Tapferkeit, das ging aus allem hervor, war des Freiherrn von Averdonk schwache Seite, und wenn man sein leis gerötetes Gesicht, seine aufleuchtenden großen Augen betrachtete, so war man versucht, sich besorglich nach seiner treuen Gattin Gebharde umzusehen, ob sie auch in der Nähe und bereit sei, ihn von dem voreiligen Entschluß abzuhalten, sich sofort auf den Schauplatz des Kampfes zu begeben und sich ins dichteste Handgemenge zu stürzen.

      Ganz anders der Freiherr von Eggenrode; er ließ mit einem Ausdruck des höchsten Unwillens seine dicken Brauen arbeiten und, die Mundwinkel so tief und mürrisch herabhängen, daß sein Gesicht eine auffallende Ähnlichkeit mit einer menschenfeindlich gesinnten Dogge erhalten hatte. Es war, als ob er den ganzen französischen Jakobinerschwindel und den ganzen österreichischen Leichtsinn, der sich mit ihm


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