Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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durch eine der schmalen Schluchten dieser Hügel hervorbricht, und dann talwärts so rasch und keck daherschießt über Geröll und Felsgeschiebe, daß man sieht, das wilde Gebirgskind hat keine Furcht, da unten seine Freiheit zu verlieren; keine Furcht, in diesem Tale würden Menschen kommen, schlaue betriebsame Menschen, und beuten seine Wasser aus, um ihn zum Mahlen ihres Korns, zum Drehen von großen Rädern an Drahtrollen und Eisenhämmern, oder zum Bewässern magerer, unfruchtbarer Wiesen zu mißbrauchen: und deshalb zeigt sich der Sohn des Gebirges so mutwillig und unbändig, er schlägt Bogen wie ein Aal, den ein Fischer am Kopf gepackt hat; und je nachdem ihn die Laune erfaßt, rieselt er zuweilen durch die einzelnen Rinnen in so dünnen Wasserfaden, als könne kein aus den Wäldern niedersteigendes Reh seinen Durst in ihm löschen; und zu andern Zeiten schwemmt er Wassermassen und Güsse daher, als wolle er eine Welt überfluten; immer aber läuft er mit der Hast eines Schelms, der sich nicht fangen lassen will.

      Für die Falken und die Eber nannten wir diese Gegend geschaffen. Sie sind auch gekommen, sich darin anzusiedeln: Falken, deren wilder Schrei einsam um den nackten Felsgrat gellt, und andere Raubvögel, deren Nester auf den Vorbergen aufgebaut sind, fest aus Steinen gefügt, mit Mauern, Giebeln und runden Türmen; Eber, deren Rüssel den Boden der mastreichen Eichenwälder aufwühlen, und andere, deren Hauer einst von Eisen und Stahl waren wie die der »Eber der Ardennen«. Ein wildes Geschlecht, von Jagd und Fehde und Kampf gestählt, freiheitsdurstig wie der Falke und gewalttätig wie der Eber, hat Besitz von diesen einsamen Tälern und Halden genommen, wo es, von der Welt abgeschieden, ungehindert seinen Instinkten nachhängen und sich den Leidenschaften hingeben konnte, zu denen sein Naturell es führte. Und was die andern Menschen betraf, die, welche sich »im Schutze« der Schlösser und Burgen angebaut hatten, so konnten sie wenigstens darüber nicht klagen, daß ihnen das Schicksal die Gelegenheiten versagt habe, sich Ansprüche auf eine besondere Berücksichtigung bei der letzten Ausgleichung aller irdischen Dinge zu verdienen; es waren ihnen vollauf dazu Mittel geboten. Sie hatten um sich her eine sterile Natur, die ihnen zähe vorenthielt, was ihr nicht durch die äußerste Anstrengung entrissen wurde; sie hatten um sich her Wälder, welche nicht ihnen gehörten, und Wild darin, das sie nicht erlegen, in den Bächen hatten sie Fische, welche sie nicht fangen durften: sie hatten Steuern von allen Arten, und hatten in den Tagen, von denen wir reden, als Schützer und Hort und Landesvater – Philipp den Tollen!

      Und doch lebten sie, und wenn sie arm waren, so bewahrte sie doch eine zähe Ausdauer, eine nicht zu erstickende Energie vor dem äußersten, unmenschlichen Elend, dem ein Stamm von geringerer Widerstandskraft, von geringerer Hartnäckigkeit vielleicht verfallen wäre. In ältern Zeiten hatten sie sich nachdrücklich zu schützen gewußt, wenn die Falken gar zu keck aus ihren festen Nestern hervorgekommen waren, um auf ihre Beute zu stoßen; wenn die Eber gar zu wild geworden und in ihre Hürden gebrochen, als Brecher des Friedens und des Gesetzes. Was da noch das Bewußtsein der uralt vererbten Freiheit besessen, das hatte sich nach dem altfreien Väterbrauch zusammengetan und in schlichter derber Kürze sich sein Recht genommen gegen femwrogige Mannen. An irgendeiner alten Malstätte, unter einer Eiche, oder einem Holunderstrauch saß dann eine Gruppe von Bauern mit derben Armen und schwieligen Fäusten, im Flieswams oder im Zwillichkittel; die tauschten eine kurze Weile allerlei Sprüche und aus verschollenen grauen Urzeiten bewahrte Reime, und darauf ihre Meinungen und Gedanken über die Sache, um derentwillen sie zusammengetreten, aus; und danach gingen sie und hängten einen gefangenen Mann mit einem Weidenstrick an den nächsten passenden Waldbaum. Oft auch war der Missetäter nicht gekommen; es war ein mächtiger Herr, den Mauer und Bellfried seiner Burg schirmte: aber Tor und Riegel und Waffen halfen ihm nichts, wenn der freie Bauer sein Urteil gesprochen; es waren der helfenden Arme der »Wissenden« zu viele, und die Stunde kam, wo er »baumelte«.

      Diese Zeiten waren nun freilich vorüber. Aber die Sitten hatten sich gemildert, das Leben war erträglicher, vor Friedens- und Rechtsbruch gesicherter geworden; und mit welchen Gedanken und Vorstellungen auch diese stillen Gebirgstäler den Wanderer erfüllen, er wird gestehen müssen, daß sie eine großartige Natur vor ihm enthüllen; er wird diese waldigen Gebirge, diese alten Burgen, diese einsamen Flußtäler als ein bleibendes Bild in seine Seele aufnehmen; und wo er in den bevölkertern, mildern Teilen des Landes den emsigen Fleiß und die Betriebsamkeit des in seinen Eisenhämmern, seinen Steinbrüchen, seinen Drahtrollen oder auf seinen bergigen Äckern hart werkenden Volks wahrnimmt, wird er Respekt vor einem Menschenschlag bekommen, der es verstand, seinem eigenen Wesen treu zu bleiben und eine Art von derber Poesie an seinen Herd zu fesseln, an dem noch heute der Väter patriarchalische Sitte, die alten Traditionen und der Brauch der Vorzeit walten. Er wird einen Menschenschlag ehren, der mit seinem hohen Wuchs und seinen breiten Schultern die echten blonden Söhne der alten Marsen oder Sigambrer darstellt, welche in diesen Waldschluchten den Gedanken der römischen Weltherrschaft verhöhnten und mit ihren Fäusten die Adler der Cäsaren zerbrachen; die Söhne jener Sachsen, deren harte Schädel man mit dem Schwerte taufen mußte, ehe die Sonne des fränkischen Christentums wie aus einem Meer von Blut über diese Welt aufging. – –

      Schloß Ruppenstein, wie wir sagten, lag, eine ziemlich ausgedehnte Tallandschaft beherrschend, auf der mittlern Höhe einer sanft ansteigenden Bergwand; einst bloß eine wehrfeste Burg, war es durch allmählichen Ausbau einzelner Flügel zu etwas geworden, was einen mehr schloßartigen Charakter trug. Doch waren seine hohen Ringmauern hinter trockenen, in das feste Berggestein gehauenen Gräben aufrecht erhalten, und ein mächtiger Torbau mit gewölbtem Durchgang und einem praktikabeln Fallgitter verteidigte es. Hinter dem Fallgitter rechts war in diesem Vorbau der Eingang in ein Wachtlokal, welches der gräflich Ruppensteinsche graue Grenadier mit dem Qualm seines fürchterlich schlechten Tabaks und dem Lärm über seine noch schlechtern Spaße füllte. Der Hof, in welchen man gelangte, wenn man an der Wache vorübergekommen war und sich zur Zufriedenheit des kommandierenden Unteroffiziers über Stand, Namen und Absicht des Kommens ausgewiesen, war von einem großen, altersgrauen, sehr hohen Gebäude im Hintergrunde abgeschlossen, das unten noch spitzbogige Fenster zeigte und auch ein breites Eingangsportal mit einer Spitzbogentür hatte. Über diesem letztern zeigten sich mächtige Wappenschilder mit zahlreichen Quartieren, in denen mehrfach der auf die Abstammung von dem Sachsenherzog Wittekind und den alten Grafen im Westfalenlande zu Werl und Altena beutende Silberadler zu sehen war. Zur Rechten dieses, den Kernpunkt der ganzen Gruppe von Gebäulichkeiten bildenden massiven Schloßbaues, der mit seiner Wucht, seinen starken Quadern, seinen breiten und schwerfälligen Verhältnissen für eine Persönlichkeit wie Philipp III. wie geschaffen schien, erhob sich, halb verdeckt von einer mächtigen, uralten Linde, ein zierlicher, schlank aufstrebender Bau in gotischem Stil, die Schloßkapelle. Gebäulichkeiten für Dienstleute und zur Unterbringung des Hofpersonals füllten die übrige rechte Seite des Hofes aus. Zur Linken dagegen zog sich von dem Hauptbau bis an das Ende der linken Seite des Hofs ein ziemlich langer, im blühendsten Rokokostile erbauter Flügel von zwei Stockwerken und mit einer Reihe Mansardenfenster versehen. Da, wo dieser Flügel an den alten Haupt- oder sogenannten »Wiprechtsbau« anstieß, zeigte sich ein gewölbter Durchgang, der auf einen zweiten, von Remisen, Pferde- und Hundeställen gebildeten Hof führte. Aus dieser Gegend der Schloßgebäude pflegte zu den verschiedensten Tageszeiten ein überaus mißtönendes Geheul herüberzuschallen, das namentlich gegen die mittäglichen und abendlichen Fütterungsstunden ganz entsetzlich wurde; es waren Serenissimi Koppelhunde, Solofänger, Teckel und Windspiele, die so für die einzige Musik sorgten, welche innerhalb der Mauern von Schloß Ruppenstein Übung und der Herrschaft geneigtes Gehör fand. Im vordern Hofe pflegte an sonnigen Tagen als Zeremonienmeister und angenehmer Bewillkommner der Fremden, namentlich der schüchtern mit Bitten und Klagen nahenden Untertanen, ein großer alter Bär umherzuspazieren, dem zwar Zähne und Krallen genommen waren, der aber darum nicht minder ganz entsetzlich zornig grunzte, wenn er irgendeinen verwegenen Sterblichen, der ihm nicht als hoffähig bekannt war, sein Gebiet betreten sah.

      In einem Gemache dieses alten ehrwürdigen Väterschlosses ist seit einigen Tagen Herr von Rippersa als seiner Dienstwohnung installiert.

      Was Traudchen Gymnich im vorigen Kapitel dem Professor Bracht erzählt hatte, daß Herr von Ripperda sich vor den anrückenden Franzosen eiligst geflüchtet, war völlig richtig gewesen. Ein paar lakonische Zeilen ohne Unterschrift von Gebhardens Hand hatten ihm zwei Tage vorher gesagt, daß sie sein Verlangen erfüllt habe, daß er kommen dürfe. Sein Wunsch ist jetzt erfüllt: er


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