Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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der zornige Reichsgraf über ihn zu verhängen geruhen wird, wollen wir uns nach Köln zurückversetzen, um uns nach unsern dortigen friedlichen Freunden umzusehen.

      Es war um die Stunde der Dämmerung. Professor Bracht saß in seinem Studierstüblein hinter dem Auditorium bei seinen Büchern, die Frau Professorin überwachte von der Küche aus das Ladengeschäft.

      Professor Bracht war aber in seinem Studio nicht allein. Traudchen Gymnich war gekommen, aber die sonst immer tätige, mit irgendeiner Arbeit Beschäftigte, ließ heute ihre Hände müßig im Schoß ruhen und blickte nachdenklich in die Flamme des Lichts.

      »Ach,« sagte sie nach einer langen Pause mit einem schmerzlichen Seufzer, »wäre ich nur ein Mann – dann wäre alles gut!«

      Des Professors Miene drückte nicht aus, daß er für Traudchen viel gewonnen glaube, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Es ist möglich, daß, obwohl er ein alter Professor war, sie ihm so besser gefiel.

      »Ich bin immer noch der Ansicht,« sagte er, »man wendet sich an die Obrigkeit. Da der Studiosus Hubert Bender nunmehro nach allbereits vierzehn Tagen immer noch nicht heimgekehrt ist, so wäre es auch schon unsere Pflicht, geziementlich dem Rektor und Senat unserer Hochschule von seinem Verschwinden Anzeige zu wachen. Und weil wir seine Spur auch in der Tat gefunden, so würden Rektor und Senat sicherlich mit ihrer Autorität dazwischentreten.«

      »Ach, Herr Professor, die würden viel ausrichten!« rief Traudchen unwillig aus. »Sie würden schreiben, beraten, dann wieder schreiben und wieder beraten, endlich an irgend jemand, den es angehen könnte im Lande da drüben, einen langen Brief in sehr schönem Lateinisch erlassen, worauf sie nach einem Vierteljahr die Antwort erhielten, man fände drüben nichts von dem verlorenen Studenten in den Akten ... Damit wäre viel geholfen! Nein, nein – so nicht! Lieber ziehe ich selber die Kleider eines Mannes an und wandere ihnen nach, diesen bösen Menschen, bis ich sie finde, und schmettere sie zu Boden mit dem, was ...«

      Sie vollendete nicht, sondern verschwieg das Ende ihres Satzes.

      »Was wollte Sie sagen, Jungfer Traud?« fragte der Professor.

      »Nun, mit dem, was ich weiß!« stieß Traudchen wie zornig heraus.

      Professor Bracht zuckte die Achseln.

      »Es sind Phantasmata, Kind«, sagte er. »Sie ist nun einmal kein Mann, und wenn etwas für den armen Menschen geschehen soll, so muß es anders angefaßt werden.«

      Traudchen schwieg wieder. Nach einer Pause, während deren ihre Gedanken eine ganz andere Richtung schienen eingeschlagen zu haben, sagte sie plötzlich: »Glauben Sie denn auch, was die Leute reden, daß wir die Franzosen nächstens hier haben würden? Wenn der Ohm Gymnich abends aus dem Weinhause kommt, so schwört er Stein und Bein darauf, sie würden am andern Tage vor dem Hahnentore stehen.«

      »Nun, es ist möglich genug, und gewiß ist, daß sie nicht davor stehen bleiben, vor dem Hahnentore, Traud. Der Ohm Gymnich! Er ist auch einer von der schlimmen Bande, die sich das tausendjährige Reich und alle Herrlichkeit von ihnen verspricht. Sie werden es bereuen, bitter bereuen, wenn wir diese edlen Krieger, deren jeder den Tornister voll Brüderlichkeit, Gleichheit und Heil für die ganze Welt hat, mehr in der Nähe zu sehen bekommen ... sie werden's bereuen!«

      »Der Ohm Gymnich«, fuhr Traudchen fort, »kommt alle Tage trunken heim, und dann schwatzt er alles aus, was sie in dem Weinhause ausgemacht haben. Auf dem Neunmarkt wollen sie den Freiheitsbaum errichten, und den Magistrat, sagte er, und die Vierundvierziger könnten er und seine Freunde jetzt schon um den kleinen Finger wickeln.«

      Professor Bracht nickte trübselig mit dem Kopfe.

      »Wenn er das im Rausche sagt, so ist es leider darum nicht minder die Wahrheit. Seit der Preuße in Basel mit den Republikanern Frieden gemacht und Österreich im Stich gelassen hat, kann uns der Kaiser nicht mehr schützen. Der österreichische General Graf Baillot hat wenigstens den Schatz, den die Stadt in ihrem Zeughaus besitzt, retten und aufs andere Rheinufer bringen lassen wollen. Es sind eine Fülle guter Geschütze und Waffen darin. Aber die Schreier, wie Ihr Ohm Gymnich, gönnen sie lieber den Franzosen als den Österreichern, und daher hat der Rat es dem General abgeschlagen. Heute nachmittag ging die Nachricht durch die Stadt, man hätte vor dem Ehrentore und dem Hahnentore draußen in der Ferne eine Kanonade gehört. Vielleicht haben wir morgen die ganze österreichische Armee hier auf dem Rückzuge. Und dann kommen schlimme Zeiten über uns – schlimme Zeiten, Traudchen!«

      Die Sorgen und ängstlichen Voraussagungen des alten Mannes schienen Traudchen nicht sehr zu rühren.

      »Und wohin würden sich die österreichischen Heere wohl wenden, wenn sie sich vor den Franzosen zurückziehen und auf die andere Rheinseite hinüber müßten?« fragte sie ruhig.

      »Wohin? Nun, ins Bergische hinein, nach dem Süderland und so weiter, durch Hessen ins Fränkische.«

      Traudchen Gymnich schien diese Rückzugslinie der Österreicher allerhand zu denken zu geben. »Wenn ich ein Mann wäre,« sagte sie nach einer Weile, »so zöge ich mit ihnen!«

      »Mit den Österreichern? Sie?«

      Traudchen antwortete nicht. Nach einer Pause fragte sie: Ist keiner unter Ihren Bekannten, der den General Baillot kennt?«

      »Niemand«, versetzte der Professor. »Und wenn es der Fall wäre?«

      Bevor Traudchen geantwortet hatte, wurden draußen Stimmen und Schritte laut. Man hörte in dem Auditorium des Professors die Stimme der Hausfrau, welche einen Fremden zurechtwies, und gleich darauf klopfte es an des Professors Stüblein.

      Auf Brachts: Herein! öffnete sich die Tür und eine wohlbeleibte Gestalt trat ein; niemand anders als unser guter Bekannter, Herr Stevenberg, der Künstler und Heraldikus.

      Der Gelehrte bot ihm einen Stuhl.

      Herr Stevenberg setzte sich und sah mit düsterer, gerunzelter Miene, seinen Hut zwischen die Knie geklemmt und die Hände auf seine Schenkel stützend, zuerst den Professor, dann Traudchen Gymnich und sodann das bescheiden bürgerlich eingerichtete Stübchen an, in welchem er sich befand. Nach dieser Rundschau stürzte er mit einer merkwürdigen Hast die Frage hervor:

      »Ist der Studiosus Bender nicht hier? ... hat mir gesagt, er wäre um diese Stunde hier zu finden ... damit ich nicht so weit zu laufen habe, bis ... ha, ha, ha ,.. bis hinter St. Georg ...«

      »Kennen Sie den Studenten Bender? Was wollten Sie ihm sagen?« fragte eifrig Traudchen, die bei dem Namen hoch aufgehorcht hatte.

      »Kennen? ... den Studiosus Bender? Wie sollt' ich ihn kennen! Er ist nur einmal vor mehreren Wochen bei mir gewesen. Hat mich um einen Gefallen gebeten.«

      »Und worin bestand der Gefallen?« fragte Traudchen Gymnich, welche aufgestanden war, sich vor den Tisch gestellt hatte, an dem die beiden Männer saßen, und, indem sie ihre Hand darauf stützte, gespannt in das Antlitz des Wappenmalers blickte.

      »Worin er bestand? ...« versetzte Herr Stevenberg; »er wollte wissen, ob ich ihm nichts sagen könne über eine Familie Walrave von drüben her, aus dem Süderlande ...« »Walrave?« rief Traudchen Gymnich höchst überrascht aus.

      »Nun ja, Walrave«, fuhr Herr Stevenberg fort, und es war augenscheinlich, daß der Klang dieses Namens das Gepräge einer tiefen Melancholie auf seine Züge drückte ...

      »Ich habe erfahren,« sagte er dann, »und wenn Sie den Studenten sehen, so sagen Sie's ihm ... daß die Walrave ausgestorben sind. Schon seit vielleicht zwanzig Jahren oder noch länger. Der letzte von ihnen ist Wilbrand Goswin von Walrave gewesen, ein ruchloser Patron, der in seiner Jugend drüben im Lande auf eine für andere friedfertige Leute höchst unbequeme Art seinen Mutwillen ausgetobt hat. Zuletzt«, fuhr der Wappenmaler fort, »hat er aus lauter Übermut sich ... ha ha ha ... das Vergnügen gemacht, sich aufzuhängen!«

      Herr Stevenberg mußte erst einem Anfall seiner Lachlust nachgeben, bevor er fortfahren konnte:

      »Es ist das eine wunderliche Geschichte, von der man nicht recht weiß, wie sie zusammenhängt. Es ist ein Fräulein von


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