Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking


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Träume, die ihn mehrmals erschrocken auffahren ließen; in wirre Bilder und Visionen, unter deren Einfluß er aufstöhnte und mit den Armen um sich schlug, bis sein oft unterbrochener Halbschlummer nach und nach in einen tiefen erquickenden Schlaf überging. Dieser Schlaf war so fest, daß die schweren Nagelschuhe, die nach ein paar Stunden in der Nebenstube auftraten und hin- und hergingen, die eifernden, sich zankenden Stimmen, die aus rauhen Kehlen hier laut wurden, die den Tumult überschreienden Rufe des Vogts, wenn er Ruhe und Stille gebot – kurz, der ganze Lärm eines vom Vogt zu Elsen abgehaltenen Polizeigerichts, das nur durch eine Tür von Hubert getrennt war, nicht vermochte, ihn aufzuwecken.

      Es war mehrere Stunden nach Mittag, als er erwachte, die Augen rieb und sich mit erquickten Kräften und erfrischtem Mut in dem Stübchen umsah, in welchem er sich befand. Das Wetter hatte sich aufgeklärt, die Sonne schien freundlich in die kleine Kammer. Die Zweige schon halb entblätterter Obstbäume pochten leise, vom Winde bewegt, an die Fensterscheiben. In Huberts Stube stand eine alte geschweifte Kommode dem Bett gegenüber; ein altmodischer Spiegel in schwarzem Holzrahmen hing darüber; zwischen Spiegel und Kommode ein Bild in ovaler Medaillonform. Hubert ließ sein Auge darauf haften; es stellte den Kopf und die Brust eines Mannes in jugendlichem Alter dar, mit gepuderten Ailes-de-Pigeon-Locken an den Schläfen, in einem graublauen Rock und mit einem niedern, aber breitrandigen Hute – kurz, in einem Kostüm, wie man sie auf Bildern aus, der Zeit Chodowieckis sieht. Die Züge des Mannes zogen Hubert eigentümlich an – sie hatten ihm etwas Bekanntes; endlich stand er auf, nahm das Bild von seinem Nagel herunter, und nachdem er dann in sein Bett zurückgeschlüpft, hielt er es vor sich auf der Bettdecke, um es genauer zu betrachten.

      Die Rückseite trug einen Namen. Er war oben an den Rahmen geschrieben. Der Name lautete: »Christoph Eberhart Bender. Anno 1763.« »Mein Vater!« rief Hubert aus. »Das ist seltsam! Und wie kommt das Bild hierher?«

      Nachdenklich stützte sich Hubert auf den Arm, nachdem er das Bild vor sich hingelegt hatte, um seine sinnenden Blicke darauf zu heften.

      So beobachtete ihn ein Paar freundlicher Augen, die nicht zehn Minuten später durch die behutsam ein wenig geöffnete Tür in die Kammer spähten.

      Als Hubert nach einer Pause aufblickte, bemerkte er sie. Es waren die Augen der Frau des Vogts. Nur ihr Kopf war sichtbar und die Hand, welche in Brusthöhe etwa die Tür angefaßt hielt, um sich in der vorgebeugten Stellung zu stützen. Ein eigentümlich mildes, freundliches Lächeln schwebte auf dem blassen Gesicht der Frau, etwas wie eine stille innere Freude.

      Sie trat jetzt herein. Unhörbar, als wenn sie schwebe. Sie hatte ihr Morgenkostüm mit einem reinlichen grauen Überrock vertauscht und trug darüber ein grünes Tuch, das auf dem Rücken in einen Knoten zusammengeschlungen war.

      »Ich habe schon ein paarmal nach Ihnen gesehen«, sagte sie.

      »Ich schlief wohl sehr lange?«

      »Sehr lange und sehr fest – es wird Ihnen gut tun«.

      »Es hat mir gut getan – in der Tat. Ich bin sehr krank gewesen und war noch lange nicht ganz genesen, als diese böse Frau von Averdonk mich zwang, durchzugehen und die Nacht im Freien zuzubringen. Hoffentlich wird es mir nicht schaden und mich nicht zwingen, Ihnen länger lästig zu fallen. Es tut mir leid, daß ich es heute muß.«

      »Erholen Sie sich nur recht!« sagte die Frau tonlos und ohne alle Wärme, die bewiesen hätte, daß sie mit Freuden die Pflege ihres kranken Gastes übernommen; aber ihr Auge zeigte denselben freundlichen Blick, und dieser leuchtete noch wohlwollender auf, als sie, auf das Bild deutend, sagte: »Es ist recht fein und schön gemacht! Es ist ein Kunstwerk!«

      Hubert war nicht ganz dieser Ansicht. Ihm schien von Kunst nicht viel darangewandt. Aber er widersprach nicht. Es war offenbar, sie hatte Freude an dem Bilde. Sie hatte mit Freude den Blick eines Fremden solange darauf geheftet gesehen. Es mußte ein Zusammenhang da sein zwischen diesem ehrlichen »Gregorius« und der stillen Vogtin von Elsen, ein Zusammenhang, der in dieser sanften Frau irgendeine Seite des Gemüts berührte.

      »Es war einmal ein Maler hier, der hat gesagt, daß es sehr fein gemalt sei«, fuhr sie fort.

      »Kannten Sie den Mann, den es darstellt?« fragte der Student.

      »Ja, ich kannte ihn«, antwortete sie, tonloser noch, als sie gewöhnlich sprach. »Er ist schon lange tot.«

      Sie nahm das Bild und hängte es an seine alte Stelle.

      »Wohl ein Verwandter von Ihnen oder von Ihrem Manne?«

      »Nein, verwandt war er uns nicht. Aber ich kannte ihn.«

      »Ich kannte ihn ebenfalls.«

      »Sie?«

      »Nun, wie man sich so kennt, wenn man Vater und Sohn ist.«

      »Sohn?«

      »Ich heiße Hubert Bender.«

      Die Frau öffnete weit ihre feuchten hellblauen gutmütigen Augen.

      »Hubert Bender? Sie?«

      So ist es. Ich bin sein Sohn.«

      Sie schüttelte lebhaft den Kopf. Sie stand auf, als ob sie hastig fortgehen wolle, und dann wandte sie sich zurück und richtete noch einmal ihre Augen fragend auf Hubert. Sie war offenbar in einer Aufregung, die in einem lebhafteren Gemüte sich laut und entschieden kundgetan hätte, die bei ihr jedoch sich nur in einem Zucken der Gesichtsmuskeln und einem unruhigen Hin- und Hergehen verriet.

      »Er war nie verheiratet!« sagte sie mit größerer Bestimmtheit, als Hubert noch irgendein Wort von ihrem Munde gehört.

      »Wenn Sie das so gewiß wissen,« versetzte Hubert, »so kann ich als Sohn nur dazu sagen, daß ich es von dem alten Mann sehr leichtsinnig und sträflich finde, nicht verheiratet gewesen zu sein. – Aber vielleicht war er zu arm, um für eine Frau und einen Sohn zu sorgen, und begnügte sich deshalb mit einem Sohne.«

      Die Frau sah still auf den Boden; nur zuweilen warf sie unter den blonden Wimpern her auf den Studenten einen Blick, der jedesmal wie verstohlen flüchtig seine Züge streifte.

      »Sie gleichen ihm auch nicht«, sagte sie endlich.

      »Ich habe früher nicht den Ehrgeiz besessen,« erwiderte Hubert, »ihm zu gleichen; so wie ich mich seiner erinnere, war er nicht schön ...«

      Das Auge der Frau richtete sich mit einem Blick von eigentümlicher Innigkeit auf das Medaillonbild über der Kommode.

      »Obwohl«, fuhr Hubert fort, »jenes Bild dort ganz angenehme Züge zeigt. Aber schön oder häßlich, es würde mir in diesem Augenblicke lieber sein, ich gliche ihm.

      Die Frau antwortete nicht. Sie stand noch eine lange Weile in Gedanken versunken, und dann ging sie schweigend, den leeren Teller fortzutragen.

      Neuntes Kapitel

       Der Reichsvorfechter in sächsischen Landen

       Inhaltsverzeichnis

      Hubert hatte sich am Abende des ersten Tages, den er in der Vogtei zu Elsen zugebracht, noch in hohem Grade matt und hinfällig gefühlt, trotz seines langen erquickenden Schlummers; desto frischer und gestärkter erwachte er spät am folgenden Tage; seine jugendlich kräftige Natur hatte, schien es, alle Krankheit endlich überwunden. Die stille Hausfrau, die ihn mit Speise und Trank versorgt, sah mit ihrer ruhigen Teilnahme zu, wie er sein Frühstück mit einem wahren Löwenappetit vertilgte; dann sagte er ihr, daß er aufstehen und sich anschicken wolle, seinen Wanderstab wieder zu ergreifen, um ihre Gastlichkeit nicht zu mißbrauchen. Nur wünschte er vorher Marien noch zu sprechen – sie hatte ihm nämlich mitgeteilt, Marie sei zurückgekommen, schon am gestrigen Abend.

      Marie schien – das hatte er am vorgestrigen Abend zu bemerken geglaubt – Gegenstand der Neigung des jungen Mannes, der ihm über die Gartenmauer von Haus Dudenrode geholfen. Hubert mußte auch annehmen, daß er diese Hilfe nur einer Fürbitte Mariens verdanke, was allerdings


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