Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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auf Reisen umhergetrieben hast, so ziemlich als vollendet betrachten. Über die Früchte dieser Erziehung will ich nicht reden, obwohl sich manches darüber sagen ließe; deine lange Abwesenheit von hier, wo noch die gute alte Zucht und Sitte herrscht, hat wenigstens nicht dazu beigetragen, dich vernünftiger und einsichtiger zu machen. Aber das gehört nicht gerade jetzt zur Sache. Zur Sache gehört, daß es jetzt Zeit ist, dich zu vermählen, Zeit, daß du dir eine Häuslichkeit schaffst, und daß du dich in den Stand setzest, an der Verwaltung unserer Güter teilzunehmen, die dir nach meinem Tode, wenn du dir meine Zufriedenheit erhältst, zufallen sollen.«

      »Das heißt, ich soll Hedwig von Wrechten heiraten und mit ihr Amelsborn beziehen, um es zu verwalten.«

      »Das heißt es!«

      »Meine teuerste gnädige Tante!« sagte Franz von Ardey ruhig, »ich bin von Herzen gern bereit, in dem tristen alten Kastell zu Amelsborn zu wohnen und es Ihnen auf Probe zu verwalten; ich würde es tun, wie nur der gewissenhafteste Rentmeister es kann... es wäre mir jedoch lieber, unendlich lieber, wenn ich es allein beziehen könnte, ohne Hedwig Wrechten mitnehmen zu müssen!« Dabei stieß der junge Mann einen tiefen Seufzer aus und blickte, die Arme verschränkend, äußerst melancholisch zu Boden.

      »Daraus wird nichts,« sagte die Tante sehr bestimmt, »der Aufenthalt –« Sie unterbrach sich, denn draußen auf dem Korridor wurden Schritte laut, und nachdem die Tür sich geöffnet, trat Baptist hinter dem verdeckenden Schirm hervor.

      »Habt ihr ihn gefunden? Habt ihr seine Spuren?« rief ihm Gebharde von Averdonk mit leidenschaftlichem Eifer zu, indem sie aufsprang und ihrem Diener zwei Schritte entgegenging.

      Baptist zuckte die Achseln: »Ihn nicht – Spuren wohl, gnädige Frau! Er ist über die Gartenmauer entkommen.«

      »Die Pest über ihn!« sagte die Dame, indem ein Blick wilden Zornes aus ihren Augen flammte. »Hat der Bursche denn Flügel?!«

      »Die hat er nicht gebraucht, er hat eine Leiter im Garten gefunden und ist damit an einer Seite hinauf-, an der andern bequem wieder hinuntergestiegen.«

      »Eine Leiter? So wird der Andres, der nachlässige Schlingel, sie draußen haben stehen lassen. Er läßt immer die Gartengerätschaften und was er am Tage braucht, über Nacht im Garten umherliegen; kommt es noch einmal vor, so soll er weggejagt werden. Hat man den Menschen verfolgt?«

      »Der Jäger und der Andres sind ihm mit den Hunden in den Wald nach. Aber sie werden ihn schwerlich drin finden. Es ist eine Nacht, so dunkel ...«

      »Nun ja, ihr wißt euere Dummheit und Faulheit immer zu entschuldigen. Geh!«

      Baptist wandte sich, und während er abging, sagte er in mürrischem Tone: »Wir haben getan, was wir gekonnt haben!« und dabei schnitt sein häßliches Gesicht mit den hängenden Mundwinkeln eine höchst respektwidrige höhnische Fratze. Franz vernahm seine Erwiderung sehr wohl, Tante Gebharde schien sie völlig zu überhören; sie stützte den Kopf auf die Hand und schien ganz mit der Nachricht beschäftigt, welche Baptist ihr eben gebracht hatte.

      »Sie wollten mir sagen, weshalb ich nicht allein auf Amelsborn wohnen darf,« nahm der junge Mann nach einer Weile das abgebrochene Gespräch wieder auf – »während ich doch unendlich lieber allein dort wäre als mit all den Ballkleidern, den Kapricen und den Hofdamenerfahrungen Hedwig Wrechtens. In der Tat, meine gnädigste Tante, Hedwig hat mir viel zu lange Zeit am Hofe des tollen Philipp gelebt, als daß ich je eine wünschenswerte Gattin darin sehen könnte, wenn ich überhaupt daran dächte, zu heiraten.«

      »Das sind deine Vorurteile, an die ich mich nicht kehren kann. Du weißt auch lange genug recht wohl, daß du Hedwig heiraten wirst, um dich mit dem Gedanken daran vertraut gemacht zu haben. Es ist unnütz, weiter davon zu reden. Und weshalb du nicht allein in Amelsborn wohnen sollst? Weil es nicht gut ist für dich!«

      Der junge Mann schwieg, in seinen Zügen den unverkennbaren Ausdruck eines tiefen zornigen Verdrusses.

      »Weshalb«, begann er nach einer Pause wieder, »haben die Tugenden Hedwigs nicht während meiner langen Abwesenheit größere Anerkennung gefunden und ihr einen andern Mann verschafft? Ich habe ihr lange genug Zeit gegeben, sich einen zu erobern!«

      »Da es bekannt ist, daß sie für dich bestimmt, wäre es seltsam gewesen, wenn ein anderer Mann sich ihr genähert haben sollte!«

      Franz schwieg wieder eine Weile. »Meine Tante,« sagte er dann, »ich bin bereit, in allem Ihren Willen zu erfüllen und auch die Partie mit Hedwig Wrechten in Überlegung zu ziehen; ich will gleich morgen nach Amelsborn übersiedeln – aber dann lassen Sie Marie Stahl hier! Wenn ich fort bin, liegt ja für Sie kein Grund mehr vor, das arme Geschöpf zu verstoßen.

      Der junge Mann brachte diese Worte mit dem Tone der äußersten Bitterkeit vor.

      »Ihr werdet nach Amelsborn ziehen, wenn ihr vermählt seid«, versetzte Gebharde streng und bestimmt. »Und das wird geschehen, sobald die nötigsten Einrichtungen dort getroffen sind. Ich werde sie beschleunigen lassen, damit alles in Ordnung ist, bevor vielleicht die Kriegsstürme über uns hereinbrechen, die schwarz und dunkel genug über uns hangen. Die Franzosen drängen, wie nur heute geschrieben wird, dem linken Rheinufer zu, und wenn sie erst so weit sind, werden wir sie leider bald genug auch hier haben.« »Sie wissen ja,« bemerkte Franz ironisch, »der tolle Philipp rüstet!«

      Frau Gebharde antwortete nicht darauf. Sie begnügte sich, ihrem Neffen anzudeuten, daß sie mit ihm an einem der nächsten Tage nach Ruppenstein fahren werde, um dort am Hofe mit ihm einen Besuch zu machen.

      Da Franz hierauf schwieg, erstarb das Gespräch.

      Die Gebieterin von Dudenrode versank eine Weile in tiefe Gedanken; dann erhob sie sich, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen. Sie befahl Franz, ihrer Jungfer zu klingeln, und verabschiedete ihn dann, indem sie ihm die Hand zum Kusse reichte. Franz entfernte sich. Es mochte etwa zehn Uhr sein, als er die Zimmer betrat, welche ihm in dem alten Gebäude zu seiner Wohnung angewiesen waren. Er stellte das Licht auf den Tisch im ersten Zimmer, dann verließ er es wieder, horchte lange auf den düstern und stillen Gang hinaus, der sich bis an das Ende des ganzen Flügels hinabzog, und schritt endlich so geräuschlos, wie es ihm möglich war, diesen Gang hinunter. Es war allerdings viel zu dunkel ringsumher, als daß ein Fremder hier noch irgend etwas hätte wahrnehmen können; aber Franz von Ardey schien hier eben kein Fremder zu sein, sondern selbst bei äußerster Dunkelheit ganz bewunderungswürdig genau Bescheid zu wissen; und so sah er denn auch zu seiner Linken eine Tür, wo ein anderer jetzt gewiß nichts von einer Tür bemerkt haben würde. Sie war aber doch da, so gewiß und richtig, daß, als Franz daran klopfte, ein »Herein« hinter derselben erscholl, und daß der junge Mann durch sie in ein wohnliches, guterleuchtetes, guterwärmtes und mit außerordentlich vielen Gegenständen erfülltes Zimmer treten konnte, welch letztere darauf deuteten, daß hier so etwas wie die oberste Zentralstelle und das Generaldirektorium eines ausgedehnten Haushalts sich befinde. Namentlich zeigten sich an den Wänden außerordentlich viel Schlüssel, die, mit Etiketten versehen, in drei langen Reihen auf einem großen schwarzen Brett hingen; außerordentlich viel ineinander geschachtelter Waschkörbe, aus deren oberstem ein Haufe blendend weißer Wäsche hervorschimmerte; außerordentlich viel schwerer, schwarzer Plätteisen, welche in einer Reihe auf einer Fensterbank standen und aussahen wie kleine dunkle Kriegsschiffe mit kriegerisch drohendem Schnabel, die, nachdem sie den Tag über in einer heißen Aktion gewesen, hier in Schlachtlinie vor Anker gegangen. Den Mittelpunkt dieses ganzen häuslichen Verwaltungsapparats bildete jedoch eine große Kaffeekanne von blaugeädertem Porzellan, die auf einem runden Tische in der Mitte der Stube stand und vor allen andern Kaffeekannen in der Welt die besondere Eigenschaft voraushaben mußte, daß sie sich durchaus nicht von ihrem Ehrenplatze auf dem Tische in der Mitte des Gemaches verdrängen und in irgendeinen Schrein einschließen ließ; wenigstens war es allen Bewohnern von Haus Dudenrode bekannt, daß sie den lieben langen Tag von morgens früh bis abends spät just hier und nirgendwo anders stand.

      An dem Tische mit dem hartnäckigen Kaffeegeschirr saßen zwei Frauen; die eine ist unsern Lesern bekannt; denn wenn auch ihre Züge einen andern Ausdruck tragen als in dem Augenblicke, wo wir sie zum ersten Male erblickten, wenn auch ihr


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