Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
weiß es nicht,« antwortete das junge Mädchen, verwirrt werdend und verlegen über die eigenen Worte.
»Wenn Sie so dunkle und ernste Prophezeiungen aussprechen, so müssen Sie uns auch gestehen, warum Sie es tun, welchen Grund Sie dazu haben, Mademoiselle,« fiel Murat ein, Sibylle verwundert anblickend.
Sibylle, nur noch verwirrter werdend durch alle die Blicke, welche sie fragend auf sich gerichtet sah, wußte anfangs nicht, was antworten. Dann aber faßte sie sich, und mit einer gewissen Befriedigung bei dem Gedanken, daß sie dem Grafen, dessen Persönlichkeit ihr so entschieden mißfiel, einen unbehaglichen Augenblick machen könne, versetzte sie lächelnd: »Verzeihen Sie, Hoheit – ich habe zuweilen Augenblicke, wo ich mich für etwas wie eine Wahrsagerin halte – ich hatte soeben solch einen Anfall – ich glaubte ein Unglück für den Grafen vorauszusehen. Es ist gewiß sehr kindisch von mir, daß ich meine lächerlichen Einfälle nicht für mich behalte! Und jetzt erlauben Sie mir, Hoheit, daß ich gehe, um zu meinem Vater zurückzukehren.«
»Bedarf der Ihrer so sehr?« fragte Murat mit einem nicht ganz gnädigen Stirnrunzeln. »Warum sehen wir den Herrn vom Hause nicht?«
»Mein Vater ist krank – er ist gefesselt durch ein unbarmherziges Gichtleiden, sonst würde er längst Ew. Hoheit seinen Dank für die Ehre zu Füßen gelegt haben, welche –«
»Das ist etwas anderes,« fiel Murat versöhnt ihr ins Wort, »Dann entlassen wir Sie in Gnaden, Mademoiselle, obwohl Sie eine Unglücksprophetin waren – pflegen Sie Ihren Vater und sagen Sie ihm unsern Dank für die Gastfreundschaft, welche sein Haus uns gewährt.«
Und mit einem sehr gnädigen Kopfnicken entließ Großherzog Murat das junge Mädchen, das froh und erleichtert sich entfernte.
Als sie zu ihrem Vater zurückkam, richtete sie ihm die Worte des Großherzogs aus; Ritterhausen äußerte seine Zufriedenheit, daß er also von der persönlichen Gene eines Besuchs des Herrn verschont bleiben werde – im Grunde seines Herzens wurmte es ihn, daß ihm diese Ehre nicht erwiesen wurde.
Murat hatte aus den Worten Sibyllens geschlossen, daß der Hausherr bettlägerig sei und deshalb sich der Pflicht eines Besuchs im Hause überheben zu können geglaubt. Es machte ihn deshalb betroffen, als der Graf von Epaville sagte: »Ich sehe drüben einen Mann am Fenster sitzen, der mir ganz das Ansehen des Hausherrn hat und uns mit merkwürdig gerunzelter Stirn betrachtet. Sehr krank scheint er mir aber nicht zu sein!«
Der Großherzog warf einen Blick in der von seinem Flügeladjutanten angedeuteten Richtung und sah ebenfalls den düsterblickenden Kopf des Hammerbesitzers hinter den Scheiben des Fensters.
»Ist das der Hausherr, Josef?« fragte er den in der Nähe stehenden Jäger.
»Ja, Hoheit!« versetzte dieser.
Ma foi, sagte Murat spöttisch lächelnd, »man scheint hier das Glück unserer Herrschaft nicht sehr lebhaft zu empfinden!«
»Ich glaube,« nahm der zweite Begleiter Murats, der Graf Nesselrode, da« Wort, »Monsieur Ritterhausen steht überhaupt in dem Rufe, etwas wie eine mauvaise tête zu sein!«
»Desto besser,« bemerkte der dritte im Gefolge, der Graf Beugnot, »daß Ew. Hoheit unsern Freund Epaville der Familie zum Nachbar gegeben haben. Er ist ganz der Mann dazu, in diesem Kreise Propaganda für die französische Liebenswürdigkeit zu machen.«
»Glauben Sie, Beugnot, daß ihm das hier genügen wird? Die junge Dame hatte nicht viel Ermutigendes für ihn.«
»Nun, der Ermutigung bedarf Graf Epaville auch nicht. Ich glaube, er wagt sich auch ohne sie vor.«
»Das glaube ich Ihnen; es ist nur die Frage, ob es ihm hier etwas anderes einbringt als ein zerkratztes Gesicht und ein blaues Auge,« lachte Murat. »Diese junge Dame sah mir beinahe aus, als ob sie einen Dolch im Strumpfband stecken habe wie eine Spanierin!«
»Das könnte man ja untersuchen,« sagte mit seiner hochmütigen Ruhe der Graf von Epaville.
»Mein teurer Graf,« fiel Nesselrode ein, »wagen Sie sich da nicht zu weit. Nehmen Sie sich vor dem düstern Kopfe da in acht, der hinter dem Fenster her jetzt eben wieder auf uns schaut.«
»Wahrhaftig, er sieht aus wie ein Jettatore,« bemerkte Murat.
»Und hat Ihnen soeben nicht die ländliche Schöne prophezeit, daß Sie Unglück in diesem Tale haben würden?« sagte Beugnot.
Der Graf von Epaville zuckte die Achseln, »Was wäre ein Sieg, der ohne Gefahr und Mühe erlangt werden kann?« sagte er.
»Ich wette, Epaville, Sie erleiden hier eine Niederlage!« rief der Großherzog.
»Die Wette gilt. Wenn ich oben in meinem alten Schlosse erst eingerichtet bin und Hoheit mich dann mit Ihrem Besuche dort beehren, soll die junge Schöne die Honneurs des Hauses machen!«
»Sie wollen sie doch nicht etwa heiraten?« fragte Murat.
»Das nicht, Hoheit!«
»Wie ist mir denn,« fiel Beugnot ein, »ich meine, ich hätte gehört, Sie wären verheiratet, Epaville?«
»Er? Verheiratet?« rief der Großherzog überrascht aus.
»Grenzenlose Verleumdung« entgegnete der Graf Antoine mit einem unmerklichen Erröten. »Sie wissen, Hoheit, Graf Beugnot hat die Leidenschaft, schlechte Späße zu machen.«
»Nun, also, um was wetten wir?« fuhr die Hoheit fort. »Um einen schönen inkrustierten Dolch von Florentiner Arbeit wider Ihren Türkensäbel, Epaville!«
Der Graf von Epaville erklärte sich einverstanden.
»Meine Minister Beugnot und Nesselrode sind Zeugen und kontrasignieren,« sagte Murat.
»Aber nun,« setzte er hinzu, »brechen wir auf, meine Herren! Ich sehe, der Wagen hält am Gartentor.«
Die Herrschaften erhoben sich und schritten dem Gittertor zu, das neben dem Hause auf den freien Platz vor dem Hammer und auf die Landstraße führte. Als sie durch den Garten gingen, kam Sibylle aus dem Gartensaale, um ihnen das Geleit zu geben. Murat nickte ihr einen Abschied zu, mit einer gewissen kalten Gnädigkeit, als ob er von dem Empfang, der ihm auf dem Hammer geworden, nicht übermäßig befriedigt sei. Der Graf von Epaville machte ihr eine tiefe Verbeugung, welche Sibylle ebenso kühl erwiderte wie Murat die ihrige. Und dann stiegen die Herrschaften in den vierspännigen eleganten Hofwagen, der sie auf die Rheider Burg gebracht hatte, und so rollten sie in die Residenz zurück.
Fünftes Kapitel
Der Graf von Epaville
In die leeren Gemächer der Rheider Burg war wenigstens etwas Geräusch und Leben zurückgekehrt, seit Antoine von Epaville aus der nahen Hauptstadt ein paar Handwerker herausgeschickt hatte, welche ihm einige Zimmer in bewohnbaren Stand setzten und mit den mitgebrachten Möbeln einrichteten. Er selbst war die beiden ersten Tage am Morgen herausgekommen, um sein neues Besitztum genau in Augenschein zu nehmen und abends in die Stadt zurückgeritten. Am Nachmittage des dritten Tages hatte ein Diener ein großes Schreiben von der Burg herab dem Hammerbesitzer überbracht, gesiegelt mit einem großen Wappen im Fürstenmantel und mit einer Herzogskrone darüber. Ritterhausen hatte es erbrochen und während Sibylle das Kuvert an sich nahm und das Siegel aufmerksam betrachtete, las der Hammerbesitzer die Depesche mit einem Gesicht, welches sich in immer düstere Falten verzog.
Der Inhalt des Schreibens lautete:
»Mein Herr!
Aus den mit meinem neuen Besitztum mir übergebenen, dazu gehörigen Archivalien und Aktenstücken erhellt in unzweifelhafter Weise:
Daß das in Ihrem Besitz befindliche Hammerwerk nebst allem Zubehör infolge eines Zeitpachtvertrages mit den frühern Eigentümern der Rheider Burg von Ihnen innegehabt wird.
Sie