Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
jetzt, hoffe ich, darf ich mich verabschieden,« sagte Richard dann, die Hand nach seinem Papiere ausstreckend, um es zurückzunehmen.
»Warten Sie doch,« entgegnete Monsieur Ermanns, »es tut uns leid, Ihre Zeit noch länger in Anspruch nehmen zu müssen. – Sie sind, wie es scheint, allerdings Richard von Huckarde, einst der Erbe dieses Gutes. Weshalb sind Sie zurückgekehrt aus der Fremde – Sie waren jawohl in die Welt gegangen, um Ihr Glück draußen zu suchen – in diesem Nordamerika, woher sie kommen? Ist es nicht so?«
»Ich war in Amerika,« antwortete Richard; »da ich aber dort keine Verhältnisse fand, welche mich fesselten, bin ich zurückgekommen, um mein Gut, das jetzt nicht mehr Lehngut ist, zurückzuerlangen, und durch Verkauf eines Teils desselben mich mit den Gläubigern meines Vaters abzufinden.«
»Und als Sie in Ihr Gut kamen, das Sie wieder zu erhalten hofften, fanden Sie es von einem fremden Herrn eingenommen?« fragte Ermanns.
»Nicht mehr. Ich kam erst heute, und der fremde Herr liegt seit gestern hier neben uns als Leiche.«
»Allerdings – er liegt hier als Leiche. Und wir sind beauftragt, den Mörder zu entdecken.« fuhr Monsieur Ermanns fort. »Bei dieser Untersuchung nun finden wir Sie hier versteckt – in dem Gemache, in welchem das Verbrechen begangen ist. Sie, der Sie ein so großes Interesse dabei hatten, einen fremden Herrn, wenn Sie ihn fanden, aus diesem Schlosse entfernt zu sehen; der nicht hoffen durfte, ihn auf gerichtlichem Wege zu entfernen – mit einem Wort, mein Herr, Sie müssen begreifen, daß Sie verdächtig erscheinen.«
Monsieur Ermanns ließ bei diesen Worten die konzentrierte Kraft seines Adlerauges ihre Wirkung tun.
»Ich, verdächtig? Doch nicht verdächtig, den Grafen ...«
»Allerdings, den Grafen ermordet zu haben,« fiel barsch und ohne weitere Umschweife der Untersuchungsrichter ein.
Richard von Huckarde sah die beiden Männer mit großen Augen und überaus verwundert an.
»Ich, den Grafen von Epaville ermordet zu haben?« wiederholte er.
»Was sagen Sie zu dieser Anschuldigung?« fragte Monsieur Ermanns.
»Kein Wort, keine Silbe,« erwiderte Richard heftig.
»Sie begreifen jedenfalls, daß Sie fürs erste in den Händen der Justiz bleiben,« fuhr der Polizeibeamte fort. »Folgen Sie uns nach unten, ich werde Sie nach Düsseldorf transportieren lassen.«
Damit erhob sich Monsieur Ermanns.
Richard blieb regungslos stehen, die Arme über der Brust verschränkt, das Auge starr auf den Boden geheftet.
»Folgen Sie uns!« wiederholte der Untersuchungsrichter, sich ebenfalls erhebend.
Richard folgte nicht. Er schien in Sinnen verloren, er schien für das, was um ihn vorging, keine Organe zu haben ... bis er plötzlich das Haupt aufrichtend, während eine dunkle Röte über seine Züge glitt, ausrief: »Und wenn ich zu Ihrer Anschuldigung Ja sage, wird man dann sofort die Untersuchung gegen andere Verdächtige fallen lassen, wird die törichte und unverantwortliche Verfolgung der Familie Ritterhausen eingestellt werden?«
»Vorausgesetzt, daß zwischen Ihnen und den Leuten, welche Sie nennen, keine Verbindung stattgefunden hat...«
»Das kann ich zur Not doch wohl beweisen,« fiel Richard ein.
»Nun wohl, wenn Sie sich zu der Tat bekennen, als alleiniger Urheber, so kann dieselbe nicht von den Ritterhausen ausgehen,« antwortete der Polizeibeamte. »Es ist auch nicht anzunehmen, daß Sie in Verbindung mit einem Manne stehen, der – der Todfeind Ihres Vaters war!«
»So bekenne ich mich zur Tat,« sagte Richard fest, sich stolz aufrichtend.
Die Wirkung dieses Bekenntnisses auf die beiden Herren war eine verschiedene. Während der Untersuchungsrichter mit einem Blick, der nur eine mit Abscheu gemischte Verwunderung ausdrückte, den jungen Mann ansah, drückte sich in den Augen, womit der Polizeibeamte den geständigen Missetäter betrachtete, etwas ganz anderes aus. War es der Gedanke, daß alle seine Schlauheit bei der Vernehmung und Ausforschung der Verdächtigen auf dem Rheider Hammer umsonst aufgewendet sei, und daß er sie jetzt bei dem Bericht, den er dem Großherzog machen mußte, nicht werde in rechtes Licht setzen können, oder war es ein Zweifel, den er in die Richtigkeit und Wahrheit des Geständnisses setzte: kurz, er sah den bekennenden Verbrecher an mit einer Miene, die eher Mißvergnügen ausdrückte als alles andere. Vielleicht ärgerte ihn auch ein solch rasches Geständnis, welches, alle seine Inquisitionslist überflüssig machte und die cause célèbre, in der er glänzen zu können hoffte, sehr abkürzte.
»Es scheint,« hub er nach einer stummen Pause, die auf Richards rasch ausgestoßene Worte folgte, wieder an, »es scheint nach den Aeußerungen, welche Sie eben fallen ließen, Ihnen am Herzen zu liegen, daß der Untersuchung gegen die Ritterhausen, Vater und Tochter, kein weiterer Verfolg gegeben werde?«
»Weil Sie unschuldig sind,« antwortete Richard fest und bestimmt.
»Es ruht auf dem Hammerbesitzer noch ein älterer Verdacht,« fuhr Ermanns fort, »ist Ihnen der bekannt?«
Richard antwortete nicht gleich.
»Welchen Verdacht meinen Sie?« sagte er dann. »Ich weiß von keinem, der so ernstlich wäre, daß die Justiz sich mit ihm beschäftigen könnte; müßiges Gerede zu berücksichtigen ist doch wohl unter der Würde derselben.«
»Darüber wird die Justiz nun wohl selber zu entscheiden haben, was unter ihrer Würde ist, was nicht. Beantworten Sie meine Frage.«
»Ich glaube, daß ich das bereits tat.«
»Sie halten den Verdacht, von dem ich rede, den Verdacht, der auf Ritterhausen infolge des unglücklichen Endes Ihres Vaters gefallen ist, für ein müßiges Gerede?«
»Ja.«
»Teilen Sie uns Näheres über jenes Ereignis mit. Sie waren zugegen, als Ritterhausen Ihren Vater zum letztenmal – wir wollen annehmen, es sei das letzte Mal gewesen – gesprochen hat.«
»Mein Vater,« entgegnete Richard, »war in einer höchst unglücklichen und bedrängten Lage. Je mehr aber die Sorge seinen Geist niederbeugte, desto mehr suchte er sich aufrecht zu erhalten an seinem aristokratischen Standesbewußtsein, an seiner ungebeugten ritterlichen Ehre. Der Hammerbesitzer Ritterhausen hatte durch die Art, wie er seinen Prozeß geführt, meinen Vater tief gekränkt. Dieser hielt es für ein Gebot seiner Ehre, den Mann nicht länger auf seinem Grund und Boden zu lassen und alle Beziehungen mit ihm abzubrechen. Ritterhausen aber kam und zeigte meinem Vater, daß letzterer nicht imstande sei, diese Beziehungen zu lösen. Ritterhausen hatte Schuldforderungen gegen meinen Vater an sich gebracht; er drohte ihm, diese aufs strengste geltend zu machen, meinem Vater sein letztes Gut, sein Haus sequestrieren lassen zu wollen, wenn er ihm den Besitz des Hammers kündige. Mein Vater, ohnehin gebeugt genug durch seine Lage, vereinsamt, menschenscheu, ohne Freundestrost, wurde so erschüttert durch diese neue Verwicklung seiner Verhältnisse, durch den Gedanken, daß er nicht ausführen könne, was er laut und wiederholt bei seiner Ehre gelobt – sich selbst sowie jedem, der es hören wollte – mein Vater, sage ich, gab sich der Verzweiflung hin und machte seinem sorgenvollen Leben ein Ende. Ritterhausen hat an diesem traurigen Schicksal meines Vaters keinen andern Teil. Er hat sein Recht gebraucht. Vielleicht rücksichtsloser und schroffer als er sollte. Sein Ton in seiner letzten Unterredung mit meinem Vater war triumphierend und fast höhnisch. Er verwundete meinen Vater bis ins Herz. Er ist ein ehrlicher, tüchtiger, aber ein rauher, kalter Mann. Wenigstens war er es damals. Mein Vater war nicht gemacht, mit einer solchen Natur zu streiten. Es war ein Unglück, daß das Schicksal sie zusammenführte. Aber ein Verbrechen ist nicht geschehen, und der Verdacht, von welchem Sie reden, ist eine Torheit.«
»Und doch,« bemerkte hier der Untersuchungsrichter, »trug die Leiche Ihres Vaters eine große, vielleicht tödliche Wunde am Hinterhaupt, als man sie im Flusse fand. Und doch war Ritterhausen, zu ganz ungewöhnlicher Stunde, in der Zeit, wo Ihr Vater seinen Untergang fand, von seiner Wohnung entfernt.«
»Um