Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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Sie mir nie etwas gesagt haben von dem, was an dem Unglückstage vorgefallen ist, an welchem Richards Vater seinem Leben ein Ende machte!«

      »Habe ich dir nie davon gesprochen?« sagte Ritterhausen, »ja es mag sein. Du warst damals ein Kind noch ...«

      »Ich war achtzehn Jahre, Vater.«

      »Nun, so schienst du mir ein Kind. Und jedenfalls war die ganze Angelegenheit der Art, daß ich keine Befriedigung darin finden konnte, viel von ihr zu reden.«

      »Und wollen Sie mir jetzt nicht anvertrauen, was vorgefallen ist zwischen Ihnen und ihm an jenem Abende ...«

      »Ich will es – setze dich zu mir, schieb dir den Sessel dort her.«

      Sibylle rückte den Sessel zur Seite des Sitzes ihres Vaters, und indem sie ihren Arm auf die Lehne stützte, sah sie voll kindlicher Innigkeit und voll Vertrauen, daß sie wohl Trauriges und Erschütterndes, aber daß sie nichts hören werde, was ihre Liebe zu ihrem Vater mindern könne, zu ihm auf.

      »Ich ging an jenem Tage hinauf zur Burg,« begann Ritterhausen, »mit den besten Vorsätzen. Ich kam in einer Absicht des Friedens und der Versöhnung. Aber ich hatte mich mit einem Dinge nicht gerüstet, das ich hätte mitbringen sollen, und vielleicht wäre alles gut geworden ...«

      »Und das war Nachsicht und Geduld mit einem Manne in unglücklicher Lage!« sagte Sibylle vor sich hinflüsternd.

      »Nein, Sibylle, das war es nicht, was mir fehlte,« entgegnete Ritterhausen. »Was ich nicht mitbrachte, das war – Mut!«

      »Mut?«

      »Ja, Mut! Den Mut, meine innerste Meinung auszusprechen, meine eigentlichen Gedanken.«

      »Und wo hätte der Ihnen je gefehlt?«

      »An jenem Tage fehlte er mir. Ich hatte nicht den Mut, einem falschen Scheine zu trotzen. Nicht den Mut, mich nicht darum zu kümmern, wenn ich verkannt würde; wenn man mir als niedrige Berechnung auslegte, was der aufrichtige, durchaus uneigennützige Wunsch meiner Seele war ...«

      Ritterhausen schien bei diesen Worten einen seiner Schmerzanfälle zu empfinden; er zog wenigstens sein Gesicht in düstere Falten und stützte, die Stirn auf seine Hand.

      »Sprechen Sie weiter, mein Vater,« sagte Sibylle nach einer Pause. »Sie hatten den aufrichtigen Wunsch, mit dem alten Baron in Frieden und Freundschaft zu leben und Sie würden auch nicht Opfer gescheut haben, um dahin zu gelangen ...«

      »Was ich wünschte und wollte, das war, zum Frieden zu kommen durch euch, Sibylle, durch dich und Richard von Huckarde. Ich hatte wohl bemerkt, wie sehr ihr aneinander hinget; so wie ihr als Kinder alle Tage zusammen waret und gemeinschaftliche Spiele triebet, suchtet ihr als junge Leute euch auf und spannet einen Verkehr fort, dessen eigentliche Bedeutung mir keineswegs entging, so wenig ich es dir zeigte, daß ich euch beobachtete. Ich sagte mir, daß niemals ein Paar Leute mehr füreinander geschaffen seien, als ihr es waret. Eure Neigungen und eure Charaktere paßten zueinander. Ihr waret beide geneigt, das Leben von der ernstern Seite zu fassen und beide kräftige Naturen, die mit dieser ernsten Seite fertig zu werden wußten. War er ein Edelmann, so warst du eine stolze, aristokratische Natur. Stand er inmitten zerrütteter Verhältnisse, so warst du wohlhabend, wirtlich, besonnen. Du hättest das Glück zurückgebracht in dieses verwaiste, verwahrloste Haus der Huckarde.«

      »Fahren Sie fort, mein Vater,« sagte Sibylle mit einem tiefen schmerzlichen Seufzer.

      »Es wäre an Richard, an seinem Vater gewesen, davon zu beginnen,« hub Ritterhausen wieder an. »Er tat es nicht. Nun, es konnte sein, daß sie meine Gedanken verkannten und daß sie keine abschlägige Antwort holen wollten von dem, den sie für ihren Feind hielten und der es doch so wenig war. Aber die Zeit verging, der Augenblick rückte immer näher, wo es sich entscheiden mußte, wie wir zueinander standen, und so faßte ich meinen Entschluß. Ich wollte beginnen von der Sache. Es schien mir unmöglich, daß ich von dem adelstolzen Manne als ein Spekulant betrachtet würde, der die Lage eines edlen Hauses benutzt, um ehrsüchtige Zwecke zu erreichen. Die Verhältnisse lagen ja so klar und einfach vor uns, daß es mir gelingen mußte, ihn bald zu derselben Ansicht zu bringen, die ich von ihnen hatte.

      »So ging ich an jenem verhängnisvollen Abende zur Burg hinauf. Ich machte mich dabei auf einen rauhen Empfang gefaßt, der mir in derber Weise ehrlich und offen andeutete, wie man gegen mich gesinnt sei. Ich war vorbereitet, ebenso offen und ehrlich auszusprechen, wie ich dachte und fühlte. So glaubte ich, müsse eine Verständigung bei zwei redlichen Männern, mochten sie immerhin in Span und Unfrieden über das leidige Mein und Dein geraten sein, sich leicht erzielen lassen.

      »Aber es kam ganz, ganz anders. Nicht widerwillig, abwehrend, rauh, empfing mich der alte Huckarde – nein, er war höflich! Ja höflich, höhnisch höflich möchte ich es nennen, dies kalte abgemessene Wesen, das mir in jeder Bewegung, jeder Silbe zu sagen schien: sieh’, du bist ein brutaler, gemeiner, niedrig geborener Mensch, der den Frevel so weit treibt, sich aufzulehnen gegen seinen adligen Erb- und Grundherrn; aber nichtsdestoweniger empfange ich dich mit der herablassenden Seelenruhe und der Höflichkeit des vornehmen Mannes, der nicht um deinetwillen, sondern um seiner selbst willen, aus Achtung vor sich selber, nicht in den Ton und die Weise niedersteigt, in welchen Leute deines Schlages mit groben Worten und ungeschliffenem Wesen ihre Streitigkeiten verhandeln. Ich will dich fühlen lassen, daß du vor einem Höhern stehst!

      »Mochte ich nun recht haben oder unrecht, es so zu deuten – aber ich fühlte von diesem Betragen mir die Lippen zu offener rückhaltloser Rede geschlossen. Ich fühlte mich davon zu einem Zorn gereizt, der innerlich noch mehr aufkochte, als Huckarde sofort seinen Sohn herbeirufen ließ. Was sollte Richard bei dem, was wir zunächst zu verhandeln hatten? Was sollte er anders als eine Lektion erhalten – eine Lektion darin, wie ein Edelmann sich in Verhältnissen und Situationen gleich der unsern zu betragen habe? Wie er unter keiner Bedingung, in keiner noch so drückenden und verzweifelten Lage vor einem Roturier einen Finger breit von seiner Würde nachgebe? Und Richard kam; er hielt sich still und gedrückt im Hintergrunde, während ich mit dem Baron unterhandelte.«

      »Der arme alte Mann!« sagte Sibylle halblaut, während ihre Brust sich unter einer Reihe tiefschmerzlicher Gedanken hob.

      »Vielleicht wäre es im Laufe des Gesprächs möglich gewesen, daß wir uns dennoch in einer ruhigern Stimmung gefunden, daß sich mein vom Zorn verschlossenes Herz überwunden und daß ich meine eigentliche Absicht rundheraus erklärt hätte, obwohl man mich auf die bitterste Weise empfinden ließ, wie hoch und erhaben sich ein Huckarde über einen bürgerlichen Hammerbesitzer dünkte. Aber es trat bald etwas zwischen uns, was jede Brücke zur Verständigung abbrach. Der alte Huckarde erklärte mir im bestimmtesten Tone, daß seine Ehre es nicht dulde, mich auf dem Hammer zu lassen; daß er mit mir nur verhandeln könne, wenn mein Abzug von dem Hammer als ausgemacht vorausgesetzt werde. Denn er habe sein Wort dafür verpfändet, und nichts auf Erden werde ihn vermögen das zurückzunehmen!

      »Auch die Zukunft, die Existenz Ihres Hauses, das Glück Ihres einzigen Sohnes nicht, mein Herr Baron? fragte ich ihn.

      »Nein! antwortete er bestimmt und fest und sich von mir abwendend.

      »Nun, dann bleibt mir nichts übrig, entgegnete ich, als ohne den Friedensschluß heimzukehren, den ich zu erhalten hoffte, als ich kam. Ich muß den Dingen ihren Lauf lassen. Sie wollen die Strenge Ihres Rechts wider mich gebrauchen: ich werde mich verteidigen mit der Strenge meines Rechts.

      »Sie haben kein Recht! entgegnete er. Die Gerichte haben es Ihnen aberkannt. Sie haben einige Forderungen auf Entschädigungen für Bauten und dergleichen. Diese liegen den Gerichten vor, welche darüber ebenfalls in diesen Tagen erkennen werden.

      »Ich habe größere Forderungen an Sie, Herr von Huckarde, erwiderte ich nun mit derselben eisigen Kälte, zu der ich mich gefaßt hatte.

      »Ich wüßte von keiner, versetzte er betroffen.

      »Doch ist es so, fuhr ich fort. Es ist eine Schuldverschreibung von neuntausend Talern Ihnen vor mehr als Jahresfrist gekündigt. Hier ist diese Schuldverschreibung. Sie ist in meinen Händen. Ihr Gläubiger hat sie mir zum Ankauf


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