Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
ausbrach, »was haben Sie dagegen, wenn ich damit zu dem Ergebnis komme, daß Sie unschuldig sind?«
»Nichts weiter,« antwortete Ritterhausen, ohne über diese Ehrenerklärung in großen Jubel auszubrechen, doch freilich mit offenbar erleichterter Brust, »nichts weiter, als daß es mir lieber gewesen wäre, Sie hätten mich von vornherein für unschuldig gehalten und hätten mich mit jeder Untersuchung verschont, sei sie nun eine nach der strengen alten Inquisitionsmanier vorgenommene oder nach Ihrer Belauscher- und Belauerweise geführte.«
Monsieur Ermanns wollte antworten,, als seine Aufmerksamkeit plötzlich von Ritterhausen ab- und Sibylle zugezogen wurde. Sibylle nämlich war hinter seinem Rücken, während er sich dem Hammerbesitzer zuwandte, aufgesprungen, hatte mit einer raschen Bewegung die Glastür aufgerissen, war die paar Stufen in den Garten hinabgeflogen und lag, ehe sich jemand dessen versah, in den ihr entgegeneilenden Richards Armen.
»Richard – du – du hier – o mein Gott, welch ein Wiedersehen!« stammelte sie, und ihrer selbst nicht mächtig, barg sie ihr von Tränen überströmendes Gesicht an seiner Brust.
»Sibylle!« sagte er, sie sanft an sich drückend. »So finde ich dich wieder! Sei getrost – fasse dich ... du bist frei. Da diese Menschen das Opfer eines Unschuldigen verlangen, habe ich ihnen mein Leben zum Opfer dargeboten, Es war ohnehin dem Untergang geweiht, mein armseliges Leben. Ich werfe es gern von mir, da ich dir damit den Frieden und die Freiheit erkaufen kann! Sei getrost ...«
»Und das soll mich trösten, Richard?« schluchzte Sibylle, »ob dein, ob mein Leben ...«
Hier wurde die kurze Unterredung unterbrochen – Monsieur Ermanns, der in Hast Sibyllen nachgestürzt war, fuhr gewaltsam dazwischen und trennte die beiden jungen Leute, indem er die Hand auf Sibyllens Arm legte und den Gendarmen einen Wink gab, Richard fortzuführen. Sibylle wollte sich an den Geliebten anklammern, aber Richard drückte einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn und wandte sich dann, um einer Szene mit seinen Wächtern zuvorzukommen, von ihr ab und schritt dem Ausgang des Gartens zu.
Monsieur Ermanns bot Sibyllen zuvorkommend den Arm, um sie ins Haus zurückzugeleiten. Sibylle achtete nicht darauf, sie blickte mit strömenden Augen dem Dahinschreitenden nach.
Der Polizeibeamte machte ihr deshalb eine stumme, ebensowenig beachtete Verbeugung und eilte dem von den Gendarmen fortgeführten Richard nach.
Er schüttelte dabei, während er mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken, dahinschlenderte, nachdenklich sein ergrauendes Haupt.
Ich fürchte, ich fürchte – so lauteten ungefähr in Worte übersetzt seine Gedanken – wir sind der Aufklärung dieser vermaledeiten Geschichte noch um keinen Schritt näher gekommen. Keine List verfängt bei den Ritterhausen. All meine rührende Gemütlichkeit hat ihnen nicht ein Wort, nicht einen Laut, nicht ein Zucken einer Miene abgelockt, bei dem ich hätte sagen können: jetzt hab’ ich dich! Alle meine Freundschaftsergüsse haben sie in keine Schlinge gezogen ... Ich glaube wirklich, sie haben keinen Teil an der Sache. Ja, sie sind unschuldig, wenn ich mich nur soviel wie ein Dorfgerichtsschreiber auf die Worte und Mienen verstehe, wodurch sich Schuld oder Unschuld verrät. Wären sie schuldig, wir hätten ganz andere Reden gehört. Sie hätten mit beiden Händen zugegriffen, als Ihnen Gelegenheit geboten wurde, die Schuld auf einen andern, diesen Herrn von Huckarde zu schieben. Mein Herr Ritterhausen würde Gründe genug zu finden gewußt haben, weshalb es gerade niemand anders getan haben könne als Richard von Huckarde. Er würde hundert kleine Züge und Tatsachen gewußt haben, woraus hervorgegangen, daß dieser Mensch schon in seinem zartesten Knabenalter, ja in der Wiege ein blutdürstiger Bösewicht gewesen! Nein, es ist nichts mit der ganzen Untersuchung gegen diese Leute. Sie sind der Tat fremd. Ganz fremd. Was ist da nun zu machen? Soll man ein Brett vor den Kopf nehmen und kurzweg in diesem Menschen da den Täter sehen? In diesem Richard von Huckarde? Ist er der Täter? Ist dieser Mensch mit dem ruhigen Blick, mit der stillen Entschlossenheit und dem trotzigen Selbstbewußtsein ein Verbrecher? Nun, er sagt’s ja selber; wir können Seiner großherzoglichen Hoheit wenigstens mit einer Antwort aufwarten, wenn wir gefragt werden, was wir geleistet haben.
Zwölftes Kapitel
Erinnerungen und Enthüllungen
Sibylle war, nachdem Richard durch Ermanns und die Gendarmen von ihr getrennt und abgeführt worden, wankenden Schritts in das Haus zu ihrem Vater zurückgekehrt.
»Sibylle ... was war das? – was bedeutet das?« fragte Ritterhausen erschrocken seine Tochter, »du bist so außer dir, als ob Richard von Huckarde dir gestanden hätte ...«
»O nein, nein,« fiel Sibylle ein, indem sie außer sich vor Bewegung ihre Arme um die Schultern ihres Vaters schlang und wie an einer Brust Zuflucht suchte, an der sie sich nicht erinnerte geruht zu haben, seit sie aufgehört hatte, ein Kind zu sein; denn Ritterhausen war nicht der Mann, dessen Wesen ein weichfühlendes Frauenherz, und wenn es auch das seiner einzigen Tochter war, seinem Herzen nahe zog.
»Richard hat mir gestanden,« schluchzte sie, »daß er sich als Schuldigen bekannt habe, nur um mich, um uns zu retten!«
»Wirklich?« fragte Ritterhausen, indem seine Stimme ein leises Zittern annahm, welches verriet, daß doch Rührung auch den Weg zu seiner Seele gefunden ... »das hätte ihn bestimmt?«
Er legte seinen Arm um die Gestalt seiner weinenden Tochter und blickte eine Weile stumm in ihre bleichen, schmerzentstellten Züge.
»Ich habe deine Neigung für Richard von Huckarde wohl gekannt,« sagte er, »ich habe aber für eine Torheit gehalten, daß du sie im stillen forthegtest. Ich habe nicht geglaubt, daß Richard zurückkehren werde. Noch weniger, daß er seine Neigung für dich nicht drüben, jenseit des Meeres, längst vergessen habe.«
»Nein, nein,« rief sie leidenschaftlich aus, »seiner Treue war ich sicher und gewiß! Aber daß seine Liebe so weit gehen, so weit sich verirren könnte, daß er für mich, für uns in den Tod gehen würde ...«
»Beruhige dich, Kind ... du ängstigst dich ohne Grund um ihn!«
»Ohne Grund ... wenn er sich diesen Menschen als Mörder bekennt?«
»Das reicht allerdings hin, ihn eine längere oder kürzere Zeit in eine höchst unangenehme Situation zu bringen ... und man wird ihn gefangen halten, inquirieren, peinigen ... jedoch dazu reicht es nicht hin, einen Menschen zum Tode zu verurteilen, wenn er unschuldig ist!«
»Aber wenn er selbst sich schuldig nennt ...«
»So hört damit die Tätigkeit der Gerichte nicht auf. Sie untersuchen dennoch und die Untersuchung muß bald zu dem Ergebnis führen, daß er die Tat ja gar nicht begangen haben konnte!«
»Wie leicht kommen scheinbare Verdachtsgründe, unglückliche Umstände, die sein Geständnis zu bekräftigen scheinen, hinzu ...«
Ritterhausen schüttelte den Kopf.
»Es ist das möglich,« sagte er, »auch wider den Unschuldigen, der nicht gesteht, kann sich der Zufall verschworen zu haben scheinen, um ihn zu verderben. Aber das sind seltene und ungewöhnliche Fälle. Weshalb sollen wir einen solchen Fall hier fürchten? Wir haben gar keinen Grund dazu!«
Sibylle war durch diese Rede ihres Vaters nicht beruhigt, und Ritterhausen selbst war nicht so ruhig und zuversichtlich, wie er den Schein annahm, um seiner Tochter Kummer zu mildern.
»Bei Gott,« fuhr er nach einer Pause fort, »es wäre doch ein zu bitterer Hohn des Schicksal«, wenn Richard von Huckarde um unsertwillen, um des Mannes willen ins Verderben geschickt wurde, der seinen Vater ins Verderben trieb!«
Sibylle sah ihren Vater groß an. Sie war von diesen Worten aufs äußerste überrascht. Niemals war früher über Ritterhausens Lippen ein ähnliches Wort gekommen, welches ein Schuldbewußtsein in ihm verriet.
»Du siehst mich überrascht an, daß ich das sage, Sibylle,« fuhr er fort, das Gesicht