Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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Ich kann jeden Tag Ihr Besitztum sequestrieren lassen.

      »Der Baron erbleichte, als ich so sprach. Er hatte diesen Schlag nicht erwartet. Er verlor einen Augenblick die Fassung. Wie niedergeschmettert sank er in seinen Stuhl zurück.

      »Ich hatte Mitleiden mit ihm,« fuhr Ritterhausen in seiner Erzählung fort. »Wahrhaftig, so männlich und entschieden meine Aeußerungen gewesen sein mochten, so bin ich mir doch bewußt, daß, wer mich hätte verstehen wollen, den aufrichtigen Wunsch, nicht zu quälen und zu vernichten, sondern zu helfen und zu vermitteln, auf dem Grunde meiner Worte erkennen mußte. Ich blickte forschend, fragend in das Auge des Sohnes und des Vaters. Aber ich sah nicht in ihnen, was ich suchte. Es war kein Nachgeben darin. Das Schicksal wollte es so. Ich konnte nur die Achseln zucken und gehen. Auch habe ich es nie bereuen können, daß ich jetzt ging, ohne viel hinzuzufügen; oder wenn ich es auch bereute, so habe ich mir doch keine Vorwürfe darüber gemacht. Jeder Mann in meiner Lage hätte gehandelt, wie ich handelte.«

      Ritterhausen sah bei diesen Worten beinahe wie fragend in das Antlitz seiner Tochter. Es war, als sei er gefaßt darauf, von ihr einen Vorwurf zu hören, und er wünschte es, um ihn widerlegen zu können.

      Aber Sibylle schwieg eine lange Zeit und dann sagte sie: »Ich kann darüber nicht urteilen und darf es nicht. Aber es ist mir immer eine tiefe Beruhigung gewesen, daß auch Richard keinen Vorwurf gegen dich laut werden ließ, als ich ihn nach dem Tode seines unglücklichen Vaters wiedersah. Hätte er geglaubt, daß eine Schuld an diesem Tode auf dir ruhte, so würde er schwerlich zu mir gekommen sein; und sicherer noch ist, daß er dann nicht hierher zurückgekehrt wäre aus der Fremde und heute das für uns getan hätte, was er getan hat!«

      »Er sprach schon damals keinen Vorwurf wider mich aus?« fragte Ritterhausen.

      »Nein! Er kam damals, von mir Abschied zu nehmen. Ich versuchte, ihm seinen Entschluß, in die Fremde zu ziehen, auszureden. Ich verwies ihn auf die Hoffnungen, welche das Vertrauen auf Gottes Vorsehung uns in jeder Lebenslage läßt. Er trug kein solches Vertrauen in seiner Seele. Es war früher schon oft Gegenstand des Gesprächs zwischen uns gewesen. Wir dachten völlig verschieden in diesem Punkte. Er wähnte, keinen Glauben zu haben. Er wähnte es. Denn er verstand die leisen Stimmen des Gemüts in der Tiefe seiner eigenen Seele nicht. Ich versuchte es, sie ihn verstehen zu lehren. Aber ich brachte es nicht dahin. Ich war zu jung, zu unerfahren, zu wenig beredt, um es zu können. Es bedurfte eines andern Lehrers – des Lebens, des Schicksals. Und so mußte ich ihn ziehen lassen. Es war eine Art Wette zwischen ihm und mir. Wir nahmen uns vor, das Schicksal über den Gegenstand unserer Meinungsverschiedenheit entscheiden zu lassen. Unser beider Ziel sollte dasselbe sein. Das Haus seiner Väter sollte ihm wieder errungen werden – er wollte es durch seinen eigenen Fleiß, durch seine Kraft allein; ich wollte es hier still abwarten, durch welche Wendung der Ereignisse die Vorsehung das felsenfeste Vertrauen meines Gemüts lohnen werde!«

      Ritterhausen schüttelte den Kopf.

      »Du bist sonst so klug und klarsehend, Sibylle,« sagte er. »In einem solchen Vorsatze erkenne ich meine vernünftige Tochter nicht wieder.«

      »Und doch,« sagte sie mit traurigem Tone, »hat mir der Erfolg noch nicht unrecht gegeben.«

      »Da hast du recht,« versetzte Ritterhausen bitter lächelnd. »Er ist wiedergekehrt, aber es hat nicht den Anschein, als sei er wiedergekehrt mit viel Früchten seiner Kraft und seines Fleißes. Er sieht nicht aus wie ein Mann, der reich und schätzebeladen aus einem Lande heimkommt, wo ihm das Glück hold war.«

      »Gewiß nicht!« flüsterte sie halblaut.

      »Aber du – bist du deinem Ziele näher?« fragte er in seiner scharfen Weise.

      Ritterhausen bereute im nächsten Augenblicke diese Worte gesprochen zu haben. Denn helle Zähren schossen plötzlich unter den Wimpern des jungen Mädchens hervor.

      »Sibylle,« sagte er beruhigend, »gib dich nicht so deinem Schmerze hin – sei meine starke, entschlossene Tochter, wie du es warest all diese bittern, angsterfüllten Tage her. Es kann ja alles noch gut werden. Du hörtest, wie dieser verdammte hinterlistige Franzose es offen erklärte, daß er uns für nicht schuldig halte!«

      »Um Richard schuldig zu halten!« fiel Sibylle ein.

      »Allerdings – aber Richards Schuldlosigkeit muß und wird sich herausstellen, und dann ...«

      »Wird der Verdacht auf uns zurückfallen!« sagte Sibylle.

      »Nein, nein,« entgegnete Ritterhausen, »dem ist die Spitze abgebrochen ... wir werden rein aus dieser Sache hervortreten; vertraue mir und fasse dich, mein Kind. Was gegen uns vorliegt, ist viel zu schwacher Natur, als daß es nicht auch alsdann unzulänglich wäre, eine Anklage gegen uns darauf zu bauen, wenn sich zeigt, daß Richard an allem so wenig teil hat wie das erste beste Kind. Hast du dem Deserteur ein Versteck in der Burg gezeigt, so ist das geschehen noch bevor du ahnen konntest, daß diese Burg einen neuen Herrn bekommen würde. Hatte ich Gründe, diesen neuen Herrn zu hassen, so hatte ich ganz und gar keine, ihn ermorden zu lassen, denn ob er da oben wohnt oder seine Erben, das mußte mir völlig gleichgültig sein!«

      Ritterhausen suchte auf diese Weise seine Tochter zu beruhigen ... es war lange her, daß Johann Wilderich Ritterhausen sich soviel Mühe gegeben hatte um irgendeinen Menschen auf Erden willen!

      Aber die Tatsachen waren über sein düsteres, menschenfeindliches Haupt nicht fortgegangen, ohne einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Sie hatten ihn gedemütigt und milder gestimmt.

      »Ich weiß, daß du Briefe erhieltest von Richard von Huckarde,« sagte er nach einer Pause.

      »Ich erhielt im Anfange Briefe von ihm,« entgegnete sie, »aber wenige; in den letzten Jahren erhielt ich keinen mehr. Ich durfte daraus schließen, daß er nichts zu schreiben haben werde, was geeignet sei, mir Freude zu machen.«

      »Und die Briefe, welche im Anfange kamen – enthielten sie freudige Nachrichten?«

      »Auch sie nicht: aber sie waren voll der besten Hoffnungen!«

      »Und was erweckte diese Hoffnungen? Welche Erfolge begleiteten seine ersten Schritte in dem fremden Lande?«

      »Er kam ohne Freunde, ohne irgendeinen Anhaltspunkt auf dem Boden dieser eigentümlichen Welt voll neuer Entwicklungen und gärender Elemente und voll Verhältnisse an, für die weder seine Erziehung, noch sein Charakter, noch die Art der Kenntnisse, welche er besaß, eingerichtet waren. Kein Wunder, daß er sich innerlich abgestoßen und aufs tiefste niedergeschlagen in ihr fühlte. Aber mit der Elastizität der Jugend suchte er diesen ersten Eindruck zu überwinden und den Gegenstand einer Arbeit aufzufinden, die seine Hoffnungen verwirklichen konnte. Leider erfuhr er bald, daß die Arbeit, der er sich gewachsen fühlte, nicht die sei, welche man in der transatlantischen Welt begehrte, lohnte und achtete. Indem er stufenweise seine Ansprüche herabstimmte, wurde er endlich Gehilfe eines Gärtners; dann Musikdirigent und Lehrer in einer kleinen, eben im Entstehen begriffenen Stadt: darauf Teilnehmer am Geschäft eines Orgelbauunternehmers; endlich Hauslehrer bei einem Plantagenbesitzer im Süden der Union, eine Lage, in welcher sich seine Ansichten aufzuhellen schienen. Aber das Gelbe Fieber und der unerträgliche Anblick der Sklavenbehandlung um ihn her scheuchte ihn von da fort. Mit den Ersparnissen, welche er in seiner letzten Stellung hatte machen können, erkaufte er sich ein Stück Landes und begann es zu einer Farm umzugestalten. Die angestrengteste Arbeit förderte ihn bei diesem Unternehmen so, daß im zweiten Jahre eine erträglich eingerichtete Blockhütte inmitten eines urbar gemachten Terrains dastand, welches eine reiche Mais- und Weizenernte versprach. Da kam in einer stürmischen Gewitternacht eine Indianerhorde und brannte Hütte und Saaten nieder, und Richard entkam nur durch die Schnelligkeit seines Pferdes ihren vergifteten Pfeilen und Tomahawks. Ein deutscher Genosse, der sein Farmerleben geteilt hatte, wurde von ihnen erschlagen.«

      »Weiß Gott – das sind der Wechselfälle genug,« rief Ritterhausen aus. »Der arme Mensch! Und dann?«

      »Dann kehrte er in eine der größern Städte im Norden der Union zurück,« antwortete Sibylle. »Dort nahm er seine frühere Beschäftigung, Unterricht in der Musik zu erteilen, wieder auf. Und aus dieser


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